Kippt die Pauschalierung der Mehrwertsteuer?
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Andreas Knäuer im Interview mit BWagrar
Kippt die Pauschalierung der Mehrwertsteuer?
Andreas Knäuer, Steuerberater und Diplom-Finanzwirt (FH), ist nach Stationen in der Finanzverwaltung seit 2014 Geschäftsführer bei der Buchstelle LBV GmbH in Stuttgart. Das Unternehmen mit über 430 Mitarbeitern hat Kanzleistandorte in Stuttgart, Aalen, Bad Waldsee, Weinsberg und Boxberg. Im Interview mit BWagrar geht der Steuerexperte der Frage nach, welche Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe zukämen, wenn die Mehrwertsteuerpauschalierung vom Europäischen Gerichtshof gekippt würde. Die EU-Kommission hält nämlich die deutsche Vorsteuer-Regelung nicht mit EU-Recht vereinbar und will deshalb gegen Deutschland klagen.
BWagrar: Herr Knäuer, welche Vorteile hat die Mehrwertsteuerpauschalierung für Landwirte in Deutschland? Führt sie zu Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt, wie Brüssel meint?
Knäuer: Die Mehrwertsteuer Pauschalierung nach § 24 Umsatzsteuer-Gesetz (UStG) ist eine Vereinfachungsregel für alle Land- und Forstwirte. Sie entlastet und entbindet jeden Land- und Forstwirt davon, sich mit der Umsatzsteuer unmittelbar befassen zu müssen. Nach der gesetzlichen Fiktion ist die Steuer aus den Umsätzen gleichhoch wie die Vorsteuer aus den Eingangsrechnungen. Dies führt dazu, dass kein Land- und Forstwirt eine Umsatzsteuer-Voranmeldung beziehungsweise sonstige umsatzsteuerliche Erklärungen gegenüber dem Finanzamt abzugeben hat.
"Die EU-Kommission legt die gemeinsame Richtlinie zum Mehrwertsteuersystem so aus, dass diese Pauschalierungsregelung nur eine Vereinfachungsregelung für kleinere und mittlere Betriebe sein dürfe."
Die EU-Kommission legt die gemeinsame Richtlinie zum Mehrwertsteuersystem jedoch in diesem Bereich so aus, dass diese Pauschalierungsregelung in allen Staaten Europas nur eine Vereinfachungsregelung für kleinere und mittlere Betriebe sein dürfe. Da außer Deutschland nur noch Belgien diese Art der Besteuerung in der Land- und Forstwirtschaft ohne eine bestimmte Größengrenze für alle anwendet, sieht die EU-Kommission darin eine unzulässige Subvention von mittleren und größeren Betrieben.
Mehrfach hat die Buchstelle LBV GmbH bereits Finanzgerichtsverfahren geführt, welche in der Gestaltung von Steuerkonstellationen unter Zuhilfenahme der Durchschnittssatz-Besteuerung in Verbindung mit einer Regelbesteuerung strittig war. Immer wieder haben die Gerichte betont, dass diese Konstellationen korrekt und legitim sind. Insofern kann der Meinung der EU-Kommission absolut nicht gefolgt werden, dass in Deutschland unter Zuhilfenahme der Durchschnittssatz-Besteuerung illegale Gestaltungen möglich wären.
BWagrar: Die EU-Kommission will Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen, weil sie die deutsche Vorsteuer-Regelung nicht mit EU-Recht vereinbar hält. Das hat sie am 25. Juli 2019 angekündigt, nachdem Deutschland nicht auf ihre erste Verwarnung im März 2018 reagiert hatte. Welche Folgen hätte es für Landwirte, wenn die Mehrwertsteuerpauschalierung kippen würde?
Knäuer: Im Falle einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wäre abzuwarten, wie die Richter in Brüssel die Auslegung der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie deuten. Sollte es sich bewahrheiten, dass die unbegrenzte Anwendung dieser steuerlichen Regelung auf alle Betriebe nicht zulässig ist, müsste Brüssel konsequent die bisherige Handhabung in Deutschland als sogenannte „illegale Quersubventionierung" einstufen. In der Konsequenz müsste der deutsche Staat von Brüssel beauftragt werden, diese illegalen Subventionen zurückzufordern, soweit sie noch nicht verjährt sind.
"Die Stimmen mehren sich, die ein Kompromissangebot an die EU-Kommission fordern, um der Klage die Grundlage zu entziehen."
Im konkreten Fall würde dies heißen, dass mindestens zehn Jahre zurück diese steuerlichen Vorteile von den unmittelbar Begünstigten, das heißt den Bauern, zurück zu fordern wäre. Wie solch eine Konstellation überhaupt in der Praxis umzusetzen wäre und wie hoch der tatsächliche korrekte beziehungsweise nicht korrekte Steuerbetrag zu ermitteln wäre, ist nach heutigen Stand komplett offen. Unabhängig von der uneingeschränkten Verteidigung des § 24 UStG auch durch die Bundesregierung in der Vergangenheit mehren sich die Stimmen in der Politik, die ein Kompromissangebot an die EU Kommission fordern, um der Klage die Grundlage zu entziehen.
BWagrar: Bis wann ist mit Einreichen der Klage und mit dem Urteil zu rechnen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland verliert?
Knäuer: Nach heutigem Stand kann nur gesagt worden, dass die Kommission beschlossen hat, die Klage gegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof zu erheben. Eingereicht wurde die Klage noch nicht. Es wird jedoch damit gerechnet, dass in den nächsten sechs Monaten die Klage erhoben wird. Die durchschnittliche Dauer eines solchen Verfahrens beträgt etwa zwei Jahre. Folge könnte somit seien, dass die Umsatzsteuer-Pauschalierung ab einem Zeitpunkt X eingeschränkt wird oder eventuell komplett entfällt.
"Meines Erachtens könnte eine unmittelbare Rückforderung von Steuerbeträgen direkt bei den einzelnen Bauern in der Praxis nicht stattfinden, da sie schlichtweg so gut wie nicht umsetzbar ist."
Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Deutschland verliert, wäre Kaffeesatz-Leserei. Es ist jedoch aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre anzunehmen, dass der EuGH die undifferenzierte Anwendung eines Gesetzes nicht akzeptieren wird. Insoweit bleibt es abzuwarten, ob der EuGH in einem Urteil eine Regelung für die Zukunft aufstellt oder tatsächlich in bestimmten Teilen die Gesetzesanwendung in Deutschland als unzulässig in der Vergangenheit verwirft.
Meines Erachtens könnte eine unmittelbare Rückforderung von Steuerbeträgen direkt bei den einzelnen Bauern in der Praxis nicht stattfinden, da sie schlichtweg so gut wie nicht umsetzbar ist. Wahrscheinlicher wäre eine Strafzahlung der deutschen Bundesregierung an die EU, welche sicherlich zur Konsequenz hätte, dass diese Strafzahlungen in irgendeiner Art und Weise im Haushaltsbereich der Land- und Forstwirtschaft wieder indirekt gegengerechnet wird. Wie gesagt, das ist meine persönliche Einschätzung.






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