Landwirte blicken nach vorne
Verbraucherwünsche sind das eine. Landwirtschaftliche Betriebe haben im Alltag aber meist ganz andere Sorgen. Warum die Diskrepanz oft groß ist, wurde auf der Jahreshauptversammlung beim Bauernverband Biberach-Sigmaringen e.V. diskutiert. Den Gastvortrag hielt Susanne Schulze-Bockeloh. Die DBV-Vizepräsidentin sprach zum Thema „Perspektive für die Landwirtschaft – Projekt Zukunftsbauer“.
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"Erstens brauchen wir ein verändertes Selbstverständnis, hin zum Anbieter von Lösungen. Und zweitens auch ein neues Rollenverständnis. Wir müssen weg vom reinen Ablieferer hin zum Unternehmer," meinte Kreisobmann Karl Endriß am 3. Februar in der Donauhalle in Neufra bei Riedlingen mit Blick auf das Thema Zukunftsbauer.
Große Sorgen wegen der Tierhaltung
"Wir sagen Ja zum Umbau der Tierhaltung und zu mehr Tierwohl. Was die Politik aber gerade betreibt, ist nicht ein Umbau der Tierhaltung, sondern deren Abbau. Wir brauchen eine Kennzeichnung. Dann aber bitte für alle Lebensmittel, in allen Bearbeitungsstufen und vor allem für jede Herkunft", so Karl Endriß. Für den Umbau der Tierhaltung in der gewünschten Form müssten der Landwirtschaft für die daraus resultierenden Kosten jährlich rund 4 Milliarden Euro bereitgestellt werden. „Es ist fast schon makaber, wenn nun zum Start der Landwirtschaft nur 1 Milliarde Euro bereitgestellt werden“, so Endriß. Tierhaltung müsse Zukunft haben. "Wenn unsere Gesellschaft Wolf, Luchs, Biber, Saatkrähe, Moore, Biotopverbund, und Biosphärengebiete braucht und will, so muss sie aber auch bereit sein, sich den entsprechenden Konsequenzen zu stellen", sagt Endriß. Schäden von Biber und Saatkrähe gingen hier in der Region in die Tausende von Euro. Bisher blieben diese Schäden beim Landwirt hängen.
Wenn Wünsche auf Wirklichkeit treffen
Laut Abschlussbericht zum Strategiedialog Landwirtschaft sei den Bürgerinnen und Bürgern der Erhalt der regionalen Landwirtschaft wichtig. Die gesamte Wertschöpfungskette soll klima-, umwelt- und tierfreundlicher, gesundheitsfördernder, ressourceneffizienter und transparenter werden. Das alles seien ehrenwerte Wünsche. Problem sei nur, dass die Wirklichkeit eine ganz andere ist, sagt Endriß. Mehr Tierwohl wird ausgebremst, Wolf und Biber sind wichtiger als die Existenzen der Betriebe vor Ort, beim Biosphärengebiet bangen Grundstückeigentümer um die Entwertung ihrer Flächen und die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher ist rückläufig. Hier zeige sich deutlich, wie jede Gruppierung in ihrer eigenen Blase unterwegs ist.
Mehr Frauen in den Gremien gefragt
Susanne Schulze-Bockeloh leitet den Fachausschuss Unternehmerinnen beim Deutschen Bauernverband. Sie gestaltet das Projekt Zukunftsbauer aktiv mit. Als DBV-Vizepräsidentin setzt sich dafür ein, dass Frauen in der Landwirtschaft sichtbarer werden. Nach offiziellen Zahlen gibt es elf Prozent Betriebsleiterinnen in Deutschland, „heimliche“ Betriebsleiterinnen, die hinter ihren Männern stehen, gibt es ungleich mehr, berichtet Bockeloh. "Das Großartige am Projekt Zukunftsbauer ist, dass da eine Menge drinsteckt. Eine Menge Herausforderungen für uns als Landwirtschaft, aber auch für die Vertreter aus Politik, Wirtschaft und aus anderen Verbänden“, findet Schulze Bockeloh.
Die Sache mit den Parallelwelten
Was machen Landwirte in ihrer Freizeit? Sie arbeiten oder treffen sich mit anderen Landwirten. Diese Abschottung, mit nur wenigen Kontakten zu anderen Gesellschaftsgruppen sei der ideale Nährboden für Vorurteile. "Wenn ich den anderen nicht richtig kenne, kann ich auf ihn alles abladen, was mir nicht gefällt. Und kann dann sagen: der ist schuld. Schuld sind ja bekanntlich immer die anderen. Und genau so machen wir Landwirte das auch, mit der Gesellschaft, mit den Verbrauchern. Wir sagen: Du, Verbraucher, willst mehr Tierwohl. Dann musst du aber dafür zahlen. Der Verbraucher sagt: Wir würden mehr bezahlen, wenn ihr mehr Tierwohl machen würdet, aber wir können es nicht erkennen, es gibt keine Kennzeichnung.“ Mit diesem Schwarzen-Peter-Spiel geht jeder raus aus der Verantwortung und zeigt immer schön einfach auf den anderen. Diese Polarisierung bietet kurzfristig große seelische Entlastung, weil man alles auf den anderen schiebt. Und demnach braucht sich auch nichts zu ändern. Doch diese Haltung ist langfristig fatal, weil sich was ändern muss, sonst geht die Landwirtschaft komplett den Bach runter. „Wir brauchen dringend mehr Wertschätzung und mehr Wertschöpfung auf unseren Betrieben", so Schulze-Bockeloh.
Stereotype Bilder
Erschreckend ist das Bild, das der Nicht-Landwirt von der Landwirtschaft hat. In dessen Auge ist der Landwirt Umweltverschmutzer, Tierquäler oder Bullerbü-Landwirt vom Biobetrieb, auf dem die Tiere nie geschlachtet werden oder der dumme Bauer von RTL. Welches Bild haben wir Landwirte von uns selbst? Ergebnis: Ernährer der Nation, leidenschaftlicher Naturbursche, Bewahrer familiärer Traditionen oder der ackernde Manager. Hier zeigt sich, wie weit die Vorstellungen zwischen Landwirten und Nicht-Landwirten auseinandergehen. Und wie kommuniziert man in der Branche. Den Slogan: „Wir machen Euch satt“, hört sich fast schon wie eine Drohung an. So kommt das Bild „Ernährer der Nation“ beim Verbraucher nicht gut an, weil es keine Emotionen beinhaltet und weil er es meist nicht versteht, geht er doch bei Rewe oder Edeka einkaufen und nicht beim „Ernährer der Nation“. So ist den wenigsten beim Einkaufen bewusst, dass die Grundnahrungsmittel aus der Landwirtschaft kommen.
Gute Geschichte gefragt
Um diesen unguten Kreislauf zu durchbrechen, müssten neue „Narrative“ gefunden werden, die verfestigte Bilder erweitern und eine Basis schaffen, die beide Seiten mitnimmt. Das zumindest empfiehlt der Autor der Studie, Jens Lönneker. Als Narrativ (lateinisch: narrare = erzählen) werden sinnstiftende Darstellungen von Zusammenhängen bezeichnet, die Einfluss haben auf die Art, wie die Welt wahrgenommen wird. „Wir müssen ein anderes Bild finden für die Landwirtschaft und wir müssen auch anders kommunizieren“, sagt Bockeloh. Entsprechend dieser Überlegungen ist das Gestalten der Zukunft, das Bild, das sich laut Studie die meisten von der Landwirtschaft wünschen. „Wir Landwirte können Zukunft gestalten, für uns selber und für die Gesellschaft als Ganzes. Jetzt gilt es, dieses Narrativ mit Inhalten zu füllen,“ so Schulze-Bockeloh. Der Bauernverband habe sich entschieden, das Projekt gemeinsam mit seinen Landesverbänden anzugehen.
Umdenken im Kopf
„Wir müssen raus aus der Opferrolle, wir sind nicht für alles verantwortlich: Wir müssen selbstbewusst zu dem stehen, was wir tun und was wir können, zu unserer Ausbildung und zu unseren jungen Leuten. Wir müssen raus aus der Verteidigungshaltung und aktiv nach vorne schauen. Gefragt ist eine starke Perspektive für die Betriebe“, so Schulze Bockeloh. Demnach sind die Landwirte nicht mehr die Blockierer und die Entscheidung-Herausschieber, sondern die Mitgestalter. Gewinnerthemen laut Rheingold-Studie sind: Tierwohl, Artenvielfalt und regionaler Handel. Mit diesen Themen unter dem Dach als Zukunftsbauer will man künftig punkten. „Besprechen Sie diese Themen mit ihren Mitgliedern“, meinte Schulze-Bockeloh. Dabei gebe es keine Beschränkungen. Der Zukunftsbauer hat kein Geschlecht, kein Alter, keine Mindestzahlen an Tieren oder Hektaren. Der Zukunftsbauer ist Brückenbauer und baut die Kommunikation zu anderen auf und geht Kooperationen ein, er ist sozial verbunden und vernetzt. Schulze Bockeloh´s Fazit lautete: „Wir sind gerne Landwirte und wir wollen Zukunft“.
Blick auf die Grußworte
Neue Herausforderungen sieht der langjährige stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes und CDU- Bundestagsabgeordnete Josef Rief auf seine Berufskollegen zukommen, wenn Landwirte sich zum Beispiel nach einer Musikprobe über ihre Tierhaltung rechtfertigen müssen „Ich glaube, dass wir hier eine ganze Menge tun müssen“, so Rief. Er habe festgestellt, dass mit dem Ukrainekrieg das Thema Ernährungssicherung selbst bei „den Zeitgenossen in Berlin-Mitte“ plötzlich einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat. Statt Einzelaktionen „Tag des offenen Hofes“ kann sich Rief künftig auch wieder mehr Gemeinschaftsaktionen vorstellen, wie zum Beispiel wieder mehr Erntedank-Feiern. Politisch bleibe die Lage schwierig. „Viele schöne Worte, aber wenig Substanz“, so sein Fazit aus Berlin. Es könne nicht angehen, dass man in Bezug auf mehr Tierwohl bei den Bauern einen Porsche bestellt und dann nur bereit ist, ein Mofa zu bezahlen. Rief wünscht sich, dass mehr fachliche und praktische Erfahrungen in den Parlamenten eingebracht werden. „Wir müssen unsere Themen voranbringen“, forderte Rief.
Gemeinsam im Dialog
Ein Krieg in der Ukraine, das Artensterben, der Klimawandel: „Da müssen wir uns bewegen, denn stehenbleiben bedeutet Rückschritt“, meinte die Landtagsabgeordnete der Grünen aus dem Kreis Sigmaringen, Andrea Bogner-Unden. Und: „Mir ist es wichtig, dass beim Gestalten der Zukunft niemand unter die Räder kommt. Wenn Landwirte gegen die Umweltverbände schimpfen und umgekehrt und am Ende die Politik schuld ist, dann bringt uns das nicht weiter. Im Gegenteil. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, über die Verbände und über die Parteigrenzen hinweg“, forderte die Abgeordnete in Neufra.. Im Land habe ein vielbeachteter Dialogprozess zwischen Landwirtschaft und Naturschutz begonnen, was zum Biodiversitätsstärkungsgesetz geführt hat, darauf aufbauend startete im Herbst 2022 der Strategiedialog Landwirtschaft, um so zu einem Gesellschaftsvertrag zu kommen, der möglichst allen gerecht wird. „In Baden-Württemberg tut sich schon was“, so Bogner-Unden. Die Vorschläge der EU für die Verordnung zur Reduzierung des Pflanzenschutzeinsatzes müsse überarbeitet werden, es muss das Verbot von Pflanzenschutzmittel in allen Schutzgebieten überdacht werden. Förderung und Umbau von Ställen für mehr Tierwohl sowie die regionale Vermarktung sollen besonders gefördert werden. In der Berufsausbildung und in der Fortbildung werden die Themen Tierwohl, Nachhaltigkeit, Ökolandbau, Digitalisierung und Biodiversität Einzug halten, um den jungen Landwirten eine Perspektive zu geben. Die Lehrpläne für die Fachschulen wurden angepasst. In Oberschwaben soll mit der Dualen Hochschule in Ravensburg sowie den Schulen in Aulendorf, Sigmaringen und Biberach ein Zentrum für die duale Ausbildung werden. „Mir ist es auch wichtig, den Lernort-Bauernhof zu stärken, um das Bewusstsein für die Landwirtschaft in der Gesellschaft zu fördern.“
Aus der Verbandsarbeit
"Steigende Kosten belasten erheblich unsere bäuerlichen Familienbetriebe, die Aussichten auf das laufende Wirtschaftsjahr sind in allen Bereichen als ernüchternd und besorgniserregend zu sehen. Wir haben mit deutlich höheren Ausgaben für Energie- wie auch Futter- Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu rechnen. Nach wie vor ist die Situation für Schweinehalter existenz-bedrohend und für die betroffenen Familien eine persönliche Katastrophe", brichtete Geschäftsführer Niklas Kreeb. Laut Kreeb war der Kreisverband auch 2022 wieder stark in der Öffentlichkeitarbeit aktiv.
Beratung und Dienstleistung
Der Kreisverband berät aktuell 3273 Mitglieder, wobei sämtliche Dienstleistungsangebote stark genutzt werden, so Kreeb. "Die Bereiche Steuer, Rechts-, Renten- und Antragsberatung haben eine wichtige Rolle bei den Beratungswünschen unserer Mitglieder gespielt", so Kreeb. Allein bei der Antragsberatung wurden 500 Anträge mit um die 20.000 ha Fläche von den Geschäftsstellen bearbeitet, 28.000 Flurstücke wurden dabei grafisch erfasst. Auch die Angebote für die Düngebedarfsermittlung und die Stoffstrombilanz werden gut angenommen.
Vielzahl von Aktivitäten
Laut Tätigkeitsbericht 2022 des Landfrauenkreisverbandes Biberach-Sigmaringen zählt der Verband 1251 Mitglieder und ist wie die Landjugend Teil des Bauernverbandes, berichtete die Landfrauenvorsitzende Doris Härle. Im vergangenem wurden zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt, ausgerichtet wurde auch der Verbandstag des Landesverbands mit Jubiläum 40+1 Jahren LandFrauenverband Württemberg-Hohenzollern in Sigmaringen. Es gab unter anderen eine Fahrt zum Musical Zeppelin nach Füssen, die beliebte Lehrfahrt ging nach Tübingen und Ende Dezember wurde der Europapark in Rust besucht.
Sorgen und Nöte der Frauen
Bei vielen Veranstaltungen, so Härle, suchen unsere Bäuerinnen Kontakt zum Ehrenamt, um uns ihre Sorgen und Nöten mitzuteilen. Laut Studie „Frauen in der Landwirtschaft“ leiden die Bäuerinnen zuallererst an den schlechten Erlösen für ihre Produkte. "An zweiter Stelle der Nennungen stand das schlechte Image der Landwirtschaft, welches den Frauen schlaflose Nächte verursacht! Dies ist umso trauriger, hat doch Baden-Württemberg eine wirklich nachhaltige und kleinstrukturierte Landwirtschaft, eigentlich genauso, wie es sich die Menschen wünschen", gab Härle zu bedenken.
Werbung für weitere Seminare
Dass die sozio-ökonomische Beratung ausgebaut werden soll, begrüßt Härle ausdrücklich. "Wir LandFrauen in Baden Württemberg, freuen uns sehr, dass wir dafür Fördergelder zur Verfügung gestellt bekommen haben, mit denen wir die Frauen auf den Höfen mit dem Projekt „Starke Frauen – starkes Land“ unterstützen können", so Härle. Das nächste Treffen ist am 10. Februar 2023 in Albstadt mit dem Thema „Erfolge werden nicht nur geerntet, sondern auch gesät. Sichere Finanzstrategien für Bäuerinnen und Unternehmerinnen“.Und: "Mehr Frauen wünschen wir uns auch bei den Hofnachfolgerinnen! Hier sollte es spezielle Coachings und Seminare geben, um jungen Frauen Mut zum Hof zu machen. Die vielen Unwägbarkeiten in der Landwirtschaft zeigen, dass auch Frauen erfolgreich sind, indem sie mit pfiffigen neuen Ideen, den Markt für sich erobern! Dazu bieten wir Existenzchoaching an", so Härle.
Für gute Stimmung zum Auftakt der Versammlung sorgte die Schülerkapelle der Fachschule Biberach. Das Schlusswort hielt die erste stellvertretende Vorsitzende, Martina Magg-Riedesser, bevor der Mundartdichter Hugo Breitschmid witzige oberschwäbische Lyrik zum Besten gab. Die Sponsoren der diesjährigen Versammlung waren die LBV-Unternehmensberatungsdienste GmbH, die LGG Steuerberatungsgesellschaft mbH, die Ulmer Fleisch GmbH und der Vereinigten Hagel.
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