Bahrs: Wir brauchen mehr dazwischen
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Weniger chemischen Pflanzenschutz im Ackerbau, im Wein- oder Obstbau: Dieser Forderung der Gesellschaft können sich Landwirte aktiv stellen und sich Gedanken machen: Wie komme ich künftig mit weniger Wirkstoffen und weniger Aufwandmengen aus? Einfach wird das nicht. „Das geht über den normalen Deckungsbeitrag weit hinaus“ meinte Enno Bahrs auf der Versammlung in Engen. Und: „Der chemische Pflanzenschutz greift in jede Facette Ihres Arbeitsablaufes ein. Nehmen Sie ihn heraus, verändert sich ganz viel." Was es bedeute, eine Kultur zu führen, ohne die Chemie im Rücken, würden alle merken, die auf Ökoanbau umstellen. Bahrs zeigte sich zurückhaltend, dass 50 Prozent Ökoanteil realistisch seien: „Ich weiß nicht, ob der Markt das hergibt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber es ist sicher ein sehr schwieriges Unterfangen.“
Pflanzenschutz hat viele Facetten
Im Schnitt geben die Betriebe derzeit noch 115 Euro pro Hektar für Pflanzenschutz aus, im Ackerbau sind es rund 180 Euro, im Gartenbau 500 Euro, im Obstbau 800 Euro und Grünland nur 40 Euro. Anpassungsstrategien im Pflanzenschutz habe es schon immer gegeben. Die Dynamik aber, mit der jetzt verfügbare Wirkstoffe weggefallen, sollte zu denken geben. Nebenerwerbsbetriebe zum Beispiel hätten nur ein sehr enges Zeitfenster für den Pflanzenschutz. Wenn die Betriebsleiter tagsüber in der Industrie oder im Handwerk beschäftigt sind, dürften sie es künftig noch schwerer haben, die Getreidebestände zu pflegen und Umsätze und Liquidität zu sichern.
Technik wird die Reduktion begleiten
Herbizide ließen sich noch am ehesten kostenneutral ersetzen, wichtig seien weitere Fruchtfolgen und reduzierte Aufwandmengen. Mit Hilfe digitaler Unterstützung und Künstlicher Intelligenz lasse sich gerade im Herbizid-Bereich einiges machen, sagt Bahrs. Hier schlummere ein erhebliches Reduktionspotenzial, um den Wirkstoffeinsatz zu reduzieren. „Die Technik ist in der Lage, Sie zu begleiten“, machte er den Teilnehmern Mut. Auch die Resistenzzüchtung werde weiter vorangetrieben. „Die Züchter sind sensibilisiert auf die neuen Rahmenbedingungen“, so Bahrs.
Stückkosten werden steigen
Selbst wenn der steuerliche Gewinn pro Hektar gleich hoch sein sollte, hat man ohne den chemischen Pflanzenschutz eine deutlich schlechtere Stundenentlohnung. Bahrs sagte voraus, dass die Stückkosten im Ackerbau künftig ansteigen werden. Lassen sich höherwertige mit weniger Pflanzenschutz erzeugte Lebensmittel überhaupt im großen Stil verkaufen? Haben sie eine Marktchance? Diese und weitere Fragen stellte Bahrs dem Publikum. Dafür hatte er auf den Tischen Abstimmungsapparate verteilen lassen. Beim Abstimmen räumte lediglich ein Drittel der Teilnehmer den mit weniger Pflanzenschutz erzeugten Produkten eine Marktchance ein. Bahrs, der die Antworten meist unkommentiert stehen ließ, gab sich bei dieser Frage kämpferisch: „Ich werde mich dafür einsetzten, dass dies möglich wird. Wir können es der Landwirtschaft nicht zumuten, sie mit höheren Kosten zu überziehen, ohne einen Ausgleich durch bessere Preise.“
Regionale Programme und Produkte
Bahrs setzt auf regionale Programme als Alternative zum Ökolandbau. „Sie sind wichtig, damit Sie einsteigen können.“ Und: „Wir brauchen mehr dazwischen“. In Baden-Württemberg habe man einen idealen Markt mit vielen mittelgroßen Städten und kaufkräftigen Kunden. „Mit den Lebensmitteln verkaufen wir ein Stück Natur mit. Der Preis muss oberhalb dem normalen Preis liegen.“ Bahrs plädierte für diesen mittleren Weg mit regionalen umweltfreundlichen Produkten. „Überlegen Sie, wie Sie mit Maßnahmen wie aus dem Fakt-Programm einsteigen können. „Das geht nicht von heute auf morgen der Ökoanbau hat auch Jahre gebraucht“, gab Bahrs zu bedenken.
Impulse aus der Landwirtschaft
Laut Bahrs finden in anderen europäischen Ländern die gleichen Diskussionen statt. Ziel sei es, die zusätzlichen Umweltleistungen den Verbrauchern näher zu bringen. Im Idealfall gehen die Impulse von der Landwirtschaft aus, die sich dann auf die gesamte Wertschöpfungskette ausweiten. Nach dem Motto: „Wir in Baden-Württemberg produzieren für Euch Ökosystemleistungen, die kosten mehr Geld und bitte zahlt uns dafür bessere Preise“.
Am Ende des Vortrags erweiterte Bahrs den Blick auf die globale Nahrungsmittelproduktion. Wenn man in Europa künftig einen weniger intensiven Ackerbau betreiben wird, stellt sich die Frage nach den Ländern außerhalb Europas. Würden diese die Intensität hochfahren, wird der ökologische Schaden womöglich viel größer? „Bitte nehmen Sie diesen Aspekt mit in die Diskussionen“, so Bahrs.
VVaG weitet Produktportfolio aus
Bei der VVaG hat man über 200 Jahre Erfahrung mit Hagel. Aber mit Regen, Starkregen, Überschwemmung und Dürre: „Da müssen wir uns langsam herantasten,“ meinte Dr. Jan Keller, VVaG-Vorstandsmitglied. Er warnte vor zu riskanten Geschäften. Bei zu hohen Schadensquoten werde es für die Versicherung schwierig, wirtschaftlich zu bleiben. Keller betonte, dass die Selbstständigkeit der VVaG, deren höchstes Gut sei. Die Gefahr von Überschwemmungen zum Beispiel könne man nicht in allen Gegenden versichern, das Risiko wäre zu hoch. Auch die Dürreversicherung berge ein hohes Risiko für den Versicherer, der sich deshalb auf einen starken Rückversicherer verlassen muss.
Schutz vor Sturm und Starkregen gehört dazu
Der baden-württembergische Bezirksdirektor Hans-Ulrich Eppler appellierte daran, beim Getreide, beim Raps und vor allem auch beim Mais die Kulturen nicht nur gegen Hagel, sondern auch gegen Sturm und Starkregen zu versichern. „Das sind nur wenige Euros mehr, aber das lohnt sich angesichts der zunehmenden Wetterkapriolen“, so Eppler. Mehr zur VVaG finden Sie auch unter Dürreschäden auf dem Vormarsch
VVaG wächst stark im EU-Ausland
Die VVaG ist heute in zehn europäischen Ländern aktiv. In Ländern wie Italien oder Polen zum Beispiel gab es ein deutliches Plus in der Prämienentwicklung. Insgesamt sei das Prämienvolumen auf 209 Mio. Euro angestiegen (Vorjahr: 201). Der Anteil am Auslandsgeschäft liegt bei 46 Prozent. „Sollte Italien und Polen noch mehr Gas geben, könnte sich der Anteil im kommenden Jahr auf über 50 Prozent erhöhen“, so Eppler.
EU-weit Zusschüse zur Mehrgefahrenversicherung: Laut Eppler zahlt Belgien seinen Bauern 65 Prozent Zuschuss zu deren Prämie für die Hagel, Sturm- und Starkregenversicherung. In Italien liegt der Zuschuss bei 65 bis 70 Prozent, in Kroatien bei 70 Prozent, ebenso in Lettland, Litauen und Luxemburg. Die Österreicher haben ihren Zuschuss von 50 auf 55 Prozent erhöht. Polen zahlt 65 Prozent Zuschuss und Rumänien 55 bis 70 Prozent. Nahezu alle EU-Länder zahlen bereits einen erheblichen Zuschuss, so Eppler.
Pilotprojekt im Land: Nach den Erfahrungen durch die Frostschäden im Jahr 2017 im Wein und im Obst und jetzt auch nochmal im Jahr 2019 hat man es in Baden-Württemberg mit Hilfe der Berufsverbände geschafft, dass Landwirtschaftsminister Hauk sich für die Zuschüsse noch mehr eingesetzt hat. So wurde jetzt das Pilotprojekt zur Förderung von Versicherungsprämien im Obst und Weinbau ins Leben gerufen (siehe auch BWagrar 44, Seite 12). Hier kann man die Kulturen nicht nur gegen Hagel, sondern auch gegen Frost versichern (Sturm und Starkregen spielen in den Dauerkulturen keine so große Rolle). Der Zuschuss zur Versicherungsprämie beträgt 50 Prozent. Damit sind die Versicherungskosten für die Betriebe endlich zumutbar. Allerdings soll es Ad-Hoc-Hilfen des Landes (50 Mio. Euro im Jahr 2017) künftig keine mehr geben.
Extreme Trockenheit, kein Grundwasser mehr: In Süd-Württemberg ist das derzeit noch kaum vorstellbar. Hier könne es passieren, dass ein Mähdrescher wegen einem nass verschmierten Boden auch mal "absäuft". Insgesamt werde aber die Trockenheit immer mehr zu einem Problem. Die VVaG hat hierzu die Versicherung „Secufarm Trockenheit“ für alle gängigen Ackerfrüchte auf den Markt gebracht. Der Vertrag (über 30 oder 50 Prozent Schadenshöhe) läuft über ein Jahr, verlängert sich automatisch. Wer einen Schaden hat, muss dann im darauffolgenden Jahr einen um zehn Prozent höheren Beitrag entrichten.
Keine Schadensregulierung auf dem Feld:
Entschädigung ohne Schadenschätzer
Bei einem Schaden wegen Trockenheit sind meist größere Gebiete betroffen, so dass hier keine Schätzer auf den Betrieb kommen können, um die Schadenshöhe zu ermitteln, das wäre arbeitsmäßig nicht zu leisten. Bei Trockenschäden wird deshalb automatisch entschädigt, sobald die Daten des Deutschen Wetterdienstes über Temperaturen, Niederschläge und nutzbare Feldkapazität dies hergeben.
Sollte wegen der Afrikanischen Schweinepest kein Ackerbau mehr auf dem Betrieb möglich werden, kann man dies über den Versicherungspartner R&V absichern lassen.
Meteosol Wetterportal: Im Internet gibt es ein Agrarwetterportal, das die VVaG mit dem Wetterexperten Jörg Kachelmann auf die Beine gestellt hat. Hier kann man Wetterkarten abrufen. Um die Genauigkeit der Vorhersagen zu verbessern, werde das Meldenetz immer weiter ausgebaut. In Baden-Württemberg gibt es derzeit 38 Messstationen, bundesweit sind es über 300. Die Betriebe sind aufgerufen, hier mitzumachen, um die dieses Projekt weiter voranzutreiben. Wetterstationen können über die VVaG bezogen werden.
Eppler bedankte sich bei den Hagelschätzern, bei den Agenturen und bei den Mitarbeitern für die engagierte Arbeit. Bei den Delegiertenwahlen wurde der Bezirksvereinsvorsitzende Klaus Grieshaber sowie dessen Vertreter Volker Faust und Markus Schaub gewählt.
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