Betriebe brauchen eine Perspektive
Die Bereitschaft für Veränderungen ist da in der Landwirtschaft. Aber die Politik muss diesen Weg mit begleiten und gerade für die Tierhaltung möglichst rasch Entscheidungen treffen. So lautete ein Fazit auf der digitalen Lichtmesstagung am 3. Februar beim Kreisbauernverband Reutlingen mit rund 100 Zuhörern. Stolz zeigten sich der KBV-Vorsitzende Gebhard Aierstock und Landrat Ulrich Fiedler, dass der neue Bundesminister aus dem Kreis kommt. Damit verbindet man die Hoffnung, dass die Anliegen vor Ort in Berlin Gehör finden werden.
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"Der Umbau der Tierhaltung ist eine Mamutaufgabe, die politisch flankiert werden muss. Doch damit ist es nicht getan", sagte der stellvertretende KBV-Vorsitzende Albert Werner und machte deutlich, dass es aufwändig wird, wenn künftig weniger Tiere auf mehr Raum möglichst auf Stroh gehalten werden sollen. "Das Stroh kostet Geld und Arbeit. Deshalb muss mein Endprodukt einen höheren Preis haben, sonst kann ich das langfristig nicht darstellen", so Werner. Hauptredner und DBV-Vizepräsident Werner Schwarz, der aus seiner Heimat Schleswig-Holstein zugeschaltet war, betonte, dass es jetzt Aufgabe der Politik sei, möglichst rasch eine Tierwohabgabe auf den Weg zu bringen. Wie genau sich sich die Prämie zusammensetzt und wann sie kommt sei noch offen. "Ich vermute, dass die Steuer angehoben wird, plus Geld aus dem Haushalt", schätzt Schwarz. Wichtig sei, dass die Politik gerade bei der Tierhaltung Fakten schaffe.
Anreize statt Verbote
"Transformation erleben wir derzeit in vielen Lebensbereichen. Die Welt ist im Wandel", meinte der KBV-Vorsitzende Gebhard Aierstock. Themen wie Klimawandel, Erhaltung der Biodiversität, Tierschutz, Tierwohl, Düngereform, Erneuerbare Energien und auch die Veränderungen durch die neue GAP 2023 sind enorme Herausforderungen. Der Berufsstand habe sich dazu bekannt, die Ziele hierzu auch zu erreichen, verlangt aber, dass die Landiwrte als Teil der Lösung gesehen werden. Gefragt seien Anreize, statt noch mehr Verbote. Für den Gemeinsamen Antrag 2023 forderte Aierstock eine Informationsoffensive, weil die Betriebsberatung im Zuge der neuen GAP enorm ausgebaut werden muss. Die Bürokratie werde weiter zunehmen befürchtet Aierstock: "Wer von Bürokratieabbau geträumt hat, darf ruhig weiter träumen und wird eines Besseren belehrt werden," so Aierstock.
Blick auf 2021 - Betriebe kämpfen mit explodierenden Kosten
Mit dem kühlen Frühjahr und dem nassen Sommer war 2021 ein schwieriges Jahr für den Pflanzenbau. "Erträge und Qualitäten waren teilweise unbefriedigend, es gab örtlich auch starke Hagelschäden", so Aierstock. Derzeit kämpfen alle Betriebe mit extrem stark gestiegenen Kosten für Düngemittel, Energie und sonstigen Produktionsmittel. Dramatisch sei die Lage in der Schweinehaltung, wo die Corona-Pandemie dazu geführt habe, dass die Absatzmärkte und auch der Inlandverbrauch eingebrochen und die Preise gefallen sind. "Der Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch in Baden-Württemberg liegt mittlerweile unter 50 Prozent. Im Kreis Reutlingen gibt es nur noch eine handvoll Ferkelerzeuger," berichtete Aierstock und zitierte aus einem offenen Brief des Landesbauernverbandes an die Politik, in dem auf die dramatische Lage in der Schweinehaltung aufmerksam gemacht wird.
Nachfrage nach heimischen Produkten soll erhöht werden
"Lebensmittel aus der Region sind nachhaltig, unterstützen Sie 5 mal D was die Kennzeichnung betrifft und noch besser 5 mal für Baden-Württemberg", bekräftige Aierstock. 5 mal D bedeutet: In Baden-Württemberg geboren, gemästet, geschlachtet, zerlegt und verarbeitet. "Wenn es uns nicht gelingt, diese Wertschöpfungsketten auszubauen, mit guten Preisen für unsere Produzenten, dann wird die Entwicklung dramatisch," so Aierstock.
Jede Menge Herausforderungen vor Ort
Auf Landesebene sei die Umsetzung des Biodiversitätsstärungsgesetz eine Herausforderung für die Betriebe. Das FAKT-Programm werde weiterentwickelt, für FFH-Grünland im Kreis gibt es Einschränkungen. Wie stellen wir unsere Bildung neu auf? Wie geht es mit den Schulstandorten weiter: das sind weitere Themen, mit denen sich Gebhard Aierstock als Vorsitzender des LBV-Bildungsausschusses ebenfalls beschäftigt. Aierstock ging in seinem Bericht auch auf erste Äußerungen des neuen Bundesministers Cem Özdemir ein, beispielsweise auf die Forderung nach der Anpassung der Tierhaltung an die Fläche (maximal 2,0 Großvieheinheiten pro ha). "Wir liegen im Kreis knapp unter 0,6 Großvieheinheiten pro ha. Wir hätten hier noch enorm Potenzial nach oben," so Aierstock. Wer eine bessere Tierhaltung will, brauche für die erfolderlichen Neuinvestitionen auch ein angepasstes Baurecht, hieß es. "Wir Bauern brauchen klare Vorgaben und Planungssicherheit", so Aierstock.
Nahrungsmittelsicherheit bleibt nach wie vor wichtiges Ziel
Die Bauern im Kreis sehen ihre Hauptaufgabe nach wie vor darin, die Menschen mit hochwertigen Nahrungsmittel zu versorgen. Im Obst- und Gemüsebereich liege man bei 30 Prozent Selbstversorgung. Mehr Biodiversität auf Stillungsflächen, der Ausbau der Erneuerbaren Energien: Der Kampf um die Flächen ist groß. "Gute Agrarflächen, das gilt auch im benachteiligten Gebiet, sollten der landwirtschaftlichen Produktion vorbehalten werden", findet Aierstock.
Grüner Wasserstoff im Kommen
"Aus unserem HyStarter-Projekt, mit dem Folgeprojekt HyExperts, geht es jetzt darum, Wasserstoff dezentral aus Biogasanlagen herzustellen, berichete Landrat Ulrich Fiedler. Die Wasserstoffgewinnung aus den Erneuerbaren Wind und PV sei ein wichtiges Thema im Kreis. Örtliche Unternehmen könnten diesen regional erzeugten Wasserstoff nutzen. Der Landkreis ist Teil der Modellregion grüner Wasserstoff in Baden-Württemberg. "Ich hoffe, der neue Energieträger wird auch zu einem Mehrwert für die Landwirtschaft führen, so der Landrat. Der KBV durfte sich zusammen mit drei Biogarbetrieben hier einbringen. "Ich bin gespannt, ob und in welcher Form die Landwirtschaft von der Brennstoffzellen-Technologien profitieren wird", meinte Aierstock. Bei der Marke Albgemach seien weitere Betriebe dazugekommen, gleichwohl gebe es hier beim Absatz noch Luft nach oben. "Wir sind hier auf einem guten Weg", so Aierstock. Das gilt auch für das Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Dem Gebiet wollen weitere 40 Gemeinden beitreten, was derzeit geprüft werde.
Neue Schlachtstätte könnte kommen
Unterstützt vom Biosphärengebiet und bezuschusst von der Stadt Metzingen konnte der Bauernverband an einem Business-Plan zum Bau einer Schlachtstätte im Ernstthal mitwirken und die Interessensgemeinschaft Schlachthof Metzingen unterstützen. "Die Frage ist, ob man für den Schlachthof in Metzingen eine Ersatzinvestition auf den Weg bingen kann. Wir träumen nicht von einem großen Schlachthof, sondern von einer Schlachstätte. Gelingt es uns eine Genossenschaft zu gründen? Gelingt es uns ein Grundstück zu finden?", so Aierstock. Diese Pläne werde man weiter verfolgen. Auch der Landrat Ulrich Fiedler bezeichnete die Weiterentwicklung des Schlachthofes in Metzingen als herausforderndes Thema. Sein Zwischenfazit: "Ich sehe die Notwendigkeit einer regionalen Schlachtstätte, aber ich sehe auch die Schwierigkeiten für eine Wirtschaftlichkeit." Positiv sei, dass der Kreis als Bio-Musterregion mit die Förderung aufgenommen wurde. Ziel müsse es sein, die Außer-Hausverpflegung mit ökologischen Lebensmitteln auch in Schul- und Betriebskantinen verbessert werden
Zukunft der Landwirtschaft
"Unsere Zukunft. Land in Sicht oder Land unter", hieß das Thema des Hauptreferats mit Werner Schwarz aus Schleswig Holstein, der als Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) mitgearbeitet hat. Bei der ZKL geht es um die Transformation der Landwirtschaft. Alle Teilnehmer, so Schwarz, stimmen darüber überein, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die Landwirtschaft in dem Veränderungsprozess zu unterstützen und zu finanzieren.
- 1. Wir wollen mehr für Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl leisten.
- 2. Der Markt honoriert diese Leistungen nicht.
- 3. Nachhaltigkeitsleitungen müssen entlohnt werden.
Die Landwirtschaft ist bereit, den Weg der Nachhaltigkeit entschlossen weiterzugehen. Es darf keine Verlagerung der Produktion ins Ausland geben. Nur eine ausreichende Wirtschaftlichkeit sichert die Zukunftsfähigkeit der Betriebe, so Schwarz. Dabei könne die Landwirtschaft die Kosten für Tierwohl und Umweltschutz nicht alleine stemmen. Die Tierhaltung soll erhalten bleiben, und ihr Umbau wird entsprechend dem Borchert-Plan finanziert werden. Auch die neue GAP 2023 unterstütze den Umbau der Landwirtschaft. "Ich bin froh über diesen Konsens. Wir haben klare Verantwortlichkeiten und haben die Chance endlich Perspektiven für unsere Betriebe schaffen zu können", so Schwarz. Ihm zufolge bleibt der Koalitionsvertrag allerdings deutlich hinter den Ergebnissen der ZKL zurück.
Große Veränderungen können funktionieren
Schwarz kann gut nachvollziehen, dass "der staatlich orchestrierte Versuch eines Umbaus der Landwirtschaft" viele Landwirte erst einmal misstrauisch mache. Aber auch der Start der sozialen Marktwirtschft unter Ludwig Erhard sei damals gelungen. "Das war kein Update. Sondern ein Neustart mit ungewissem Ausgang", erinnerte Schwarz. Und: "Große Veränderungen können funktionieren, wenn die Zeit reif ist und die Beteiligten überzeugt sind." Heute spreche man von einer ökologisch sozialen Marktwirtschaft.
Der Plan: Lebensmittelpreise sollen nicht wesentlich steigen
Im Januar 2022 sei die zentrale Koordinierung "Handel Landwirtschaft" mit der Taskforce "Herkunft" gestartet, berichtete Schwarz. Ziel ist eine Herkunftskennzeichnung "Frische Lebensmittel aus Deutschland" zu entwickeln. "Unsere Produkte werden künftig seltener im Billigpreis-Regal zu finden sein als bisher", hofft Schwarz. Billiger werde durch besser, im Sinne einer besseren Prozessqualität ersetzt. "Das erreichen wir, indem wie die Produkte mit dem gesetzlichen Standard nicht mit einem Abschlag versehen, bevor eine veränderte Produktionsweise bewiesen hat, dass sie am Markt bestehen kann", so Schwarz. Laut ZKL, so Schwarz, müssen die Lebensmittelpreise nicht wesentlich steigen. Das Geld für mehr Tierwohl komme dann aus dem Tierwohlfonds. "Der Handel darf unsere Tierwohlanstrengungen nicht nutzen, um sich die Taschen zu füllen. Darauf werden wir achten", versprach Schwarz.
Betriebe unter Druck
Dass der Druck auf die Betriebe groß ist, zeigte die anschließende Dissukssion im Chat. "Wir haben keine Zeit mehr für Debatten, sondern wollen schnell Taten sehen", hieß es. Das gilt besonders für die Schweinehalter, denen ein "extremer Umbau" bevorstünde. Wichtig sei, dass dieser Umbau gut begleitet und gefördert werden muss, nachdem die vergangenen Wirtschaftsjahre sehr schwach waren. "Wir können hier keine guten Zahlen vorlegen", so ein Statement eines Schweinehalters. Aber auch viele Neuinvestitionen in der Rinderhaltung seien künftig kaum noch wirtschaftlich darstellbar. LBV-Vizepräsident Hans Benno Wichert bekräftige, dass es in den vergangenen zehn bis 15 Jahren in der Schweinehaltung höchstens zwei Jahre gab, in denen man so viel Geld verdient habe, um aus eigener Kraft diese Investitionen für die Gesellschaft, wie er es nennt, zu stemmen. In allen anderen Jahren sei dies ist nicht möglich gewesen, weil der Gewinn zu gering war. "Dieser Investionsstau, den es derzeit gibt, den können normale Betriebe nicht auflösen", so Wichert und warnte, dass viele gut geführte Familienbetriebe mit viel Know how die Schweinhaltung einstellen könnten. "Das müssen wir verhindern", so Wichert. Noch gebe es in Baden-Württemberg 1800 Schweinehaltende Betriebe, vor zehn Jahren waren es über zehn Mal so viele. "Wenn die Politik hier nichts macht werden die Betriebe weg sein", so Wichert.
Großes Dienstleistungsangebot
Geschäftsführer Thomas Pfeifle betonte, dass der KBV mit seinen rund 1400 Mitgliedern das Ziel hat, neue Mitglieder gerade auch im Zuge von Betriebsübergaben zu gewinnen. Entsprechend baut der KBV auch sein Dienstleistungsangebot aus. Die Sozialberatungen inklusive Hofübergaben, Verpachtungen, Gesellschaftsgründungen und Betriebsaufgaben blieben 2021 konstant. Es gab 15 Beratungen zur Hofübergabe, vier zur Hofverpachtung, fünf zur Gründung einer Gesellschaft und 25 Beratungen zur Betriebsaufgabe. Auffallend sei, dass viele Betriebe auf eine Verpachtung an die Nachfolgegeneration als Zwischenlösung verzichten. "Der Wegfall der Hofabgabeklausel trägt dazu bei. Der Trend geht zur direkten Hofübergabe", so Pfeiffle.
Nutzungsverträge, Rentenantrag, Steuerhilfen
Spürbar zugenommen habe der Beratungsbedarf für Nutzungsverträge zwischen Grundstückseigentümern und Fotovoltaik und Windkraftanlagenbetreiber. "Die Verträge haben Chancen für beide Seiten, es gibt aber auch einige Fallstricke zu beachten, um die Risiken zu minimieren", so Pfeiffle. Dauerthema seit Jahren sind die FFH-Mähwiesen. Hier würden die Betriebe in rechtlichen Fragestellungen zum Erhalt und Wiederherstellung der Mähwiesen unterstützt. Der KBV ist auch Beratungsstelle der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Hier bestehe gerade bei der Rentenantragstellung großer Beratungsbedarf. Aber auch der Betratungsbedarf für die Antragstellung Gemeinsamer Antrag nehem deutlich zu. Fast 150 Mitglieder hätten diesen Service zuletzt in Anspruch gemommen. Hier geht es neben der Antragstellung des Gemeinsamen Antrags auch um die betriebsindividuelle Optimierung der Prämienzahlungen (dieses Jahr auch noch mal mit einer ZA-Börse). Außerdem geht es um die Erstellung von Humus- und Nährstoffbilanzen nach den Vorgaben der Düngeverordnung sowie um die Erstellung der Agrardieselanträge auf Dieselverbilligung. Künftig will man den Mitgliedern auch beim Erstellen der Stoffstrombilanz behilflich sein. Stark nachgefragt wird auch die steuerliche Beratung. Knapp 570 Steuerfälle bei rund 350 Mandanten wurden 2021 bearbeitet. Ausgebaut wurden die Aktivitäten über Sozial Media und einem Whats-App Nachrichtendienst.
Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit
Das waren und sind die Ziele beim KBV-Reutlingen: "Aber bei der Geschindigkeit der Veränderungen fehlt uns oft die Grundlage für ehrliche und realistische Umsetzung. Eine neue klare Lebensmittelkennzeichnung wäre wichtig. Machen Sie eine Politik der Anreize und nicht der Verbote. So bekommen Sie automatisch höhere Tierwohl-Standards", meinte Albert Werner. Er wünscht sich insgesamt eine Versachlichung in den Diskussionen, dass die Landwirte nicht weiter von außen verunsichert werden und schloß die Versammlung mit einem Zitat von Albert Einstein: "Wenn die Menschen nur über das sprechen würden, was sie tatsächlich verstehen, dann würde es sehr still auf dieser Welt sein".
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