Corona ist noch nicht vom Tisch
Die Beschäftigung von Saisonarbeitskräften hat sich in der Corona-Pandemie aufgrund zahlreiche Regelungen und Gesetze zu einem echten Kraftakt für die Betriebe entwickelt. Worauf es jetzt für die anstehende Anbausaison 2022 ankommt, hat uns Rechtsanwalt Maximilian Brandner vom Landesbauernverband in Baden-Württemberg (LBV) e. V. erzählt. Lesen Sie hier das ausführliche Interview ergänzend zum Printartikel.
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BWagrar: Herr Brandner, was müssen die Betriebe aktuell bei der Einreise von Erntehelfer*innen aus dem Ausland beachten?
Maximilian Brandner: Die Corona-Einreiseverordnung galt bis zum 19. März und wurde nun aber bis 28. April 2022 verlängert. Als Hochrisikogebiete gelten nur noch Gebiete, die eine gefährlichere Variante als die Omikron-Variante aufweisen. Aktuell sind weder Hochrisiko- noch Virusvariantengebiete ausgewiesen. Damit entfallen alle Quarantänepflichten bei der Einreise. Das vereinfacht vieles. Erhalten bleibt die Pflicht, bei Einreise einen negativen Testnachweis oder Immunisierungsnachweis zu haben und bei Bedarf vorlegen zu können. Darüber hinausgehende Testpflichten, etwa von nicht-immunisierten Saisonkräften nach Landesrecht, wie etwa in Baden-Württemberg, galten noch befristet bis zum 2. April. Seit dem 3. April können solche Regelungen nur noch per Landtagsbeschluss in bestimmten Hotspot-Regionen erlassen werden, was jedoch ein entsprechendes Pandemiegeschehen in der jeweiligen Gebietskörperschaft, etwa einem bestimmten Landkreis, voraussetzt.
BWagrar: Mit dem 20. März wurden zahlreiche Corona-Auflagen aufgehoben. Damit sind auch die 3G-Regeln auf dem Betriebsgelände entfallen, oder?
Maximilian Brandner: Genau, die 3G-Regel am Arbeitsplatz waren nur noch bis einschließlich 19. März gültig. Seit dem 20. März müssen die Arbeitgeber*innen das Einhalten der 3G-Regel nicht mehr kontrollieren. Verlängert wurde jedoch bis zum 25. Mai – wenn auch in reduziertem Umfang – die Corona-Arbeitsschutzverordnung. Arbeitgeber*innen haben nun zwar nicht mehr die Rechtspflicht, ihren Beschäftigten zwei kostenfreie Selbsttests pro Woche anbieten zu müssen. Allerdings müssen sie im Rahmen ihrer Gefährdungsbeurteilung prüfen, ob sie im Wege ihres betrieblichen Hygienekon-zepts nicht doch allen Beschäftigten wenigstens einen kostenfreien Selbsttest zur Verfügung stellen müssen. Zudem muss weiterhin geprüft werden, ob man als Arbeitgeber*in kostenfreie Masken an seine Mitarbeitenden verteilen muss. Als tatsächliche Verpflichtung erhalten geblieben ist die Pflicht als Arbeitgeber*in, den Beschäftigten eine Impfung gegen das Coronavirus auch während der Arbeitszeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu ermöglichen.
BWagrar: Es ist bekannt, dass einige Saisonarbeitskräfte aus dem europäischen Ausland sehr skeptisch gegenüber der Corona-Impfung sind. Viele sind gar nicht geimpft, manche einmal mit Johnson & Johnson. Gilt man mit dem Einmalimpfstoff aktuell als vollständig geimpft?
Maximilian Brandner: Aktuell ist eine Einfachimpfung mit Johnson & Johnson nicht mehr ausreichend. Bis zum 30. September gilt man als vollständig geimpft, wenn man zwei Einzelimpfungen mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff oder aber einen im Ausland zugelassenen Impfstoff erhalten hat, der aber mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff von der Formulierung her identisch ist. Ab dem 1. Oktober müssen dann drei Einzelimpfungen mit einem entsprechenden Impfstoff erfolgt sein. Bis zum 30. September kann eine der zwei notwendigen beziehungsweise ab dem 1. Oktober kann eine der drei notwendigen Impfungen in bestimmten Fällen durch eine Erkrankung und Genesung an COVID 19 ersetzt werden.
BWagrar: Wenn sich die Saisonarbeitskraft aus dem Ausland für eine Impfung hier entscheidet, wer übernimmt die Kosten sowohl bei einer sozialversicherungspflichtigen als auch bei einer sozialversicherungsfreien Beschäftigung?
Maximilian Brandner: Die Art der Beschäftigung spielt keine Rolle. Letzten Endes sind es Bundesmittel, aus denen die Impfungen bezahlt werden.
BWagrar: Wird es auch in diesem Jahr eine Ausweitung der 70-Tage-Regelung geben?
Maximilian Brandner: Man weiß es aktuell nicht. Bislang gehe ich nicht von einer erneuten Ausweitung aus, jedoch könnte der Krieg in der Ukraine dazu führen, dass dies doch notwendig wird.
BWagrar: Wenn es bei der 70-Tage oder 3-Montasregelung bleibt – an welche Regelung müssen sich die Betriebe halten? Oder kann der Betrieb selbst entscheiden, welche Regelung er anwendet?
Maximilian Brandner: Ja, der Betrieb kann selbst entscheiden, welche Regelung er anwendet. Da gab es im November 2020 ein Urteil vom Bundessozialgericht, dass Betriebe frei wählen dürfen, ob sie die Betrachtungsweise nach Arbeitstagen oder Monaten wählen.
BWagrar: Eine kurzfristige Beschäftigung liegt unter anderem vor, wenn Arbeitnehmer*innen die Saisonarbeit nicht berufsmäßig ausüben. Darunter fallen Schüler*innen, Studierende, aber auch Hausfrauen/Hausmänner. Den Status der Hausfrau/des Hausmannes stellt allerdings die Deutsche Rentenversicherung zunehmend infrage. Wie kann der Status sicher nachgewiesen werden?
Maximilian Brandner: Man muss immer erst einmal sehen, was denn der Begriff Hausmann/Hausfrau bedeutet. Darunter versteht man eine Person, die vom anderen Lebenspartner finanziell dafür unterhalten wird, dass er/sie sich um den gemeinsamen Haushalt kümmert, ohne dabei eigene Einkünfte zu haben. Daraus abgeleitet fordert die Deutsche Rentenversicherung, dass man einen Nachweis erbringt, dass die Saisonarbeitskraft kein oder nur ein geringfügiges Einkommen hat, also nur geringfügig zum Haushaltseinkommen beiträgt, dass der Lebenspartner sie unterhält und man braucht zudem einen Nachweis über einen gemeinsamen Wohnsitz. Wenn man diese drei Faktoren nachweisen kann, dann ist man als Betrieb sicher. Den gemeinsamen Wohnsitz nachzuweisen, das ist meist nicht schwer. Schwierig wird es dann oft beim Einkommen. Da kommt es drauf an, ob man in den jeweiligen Ländern eine gemeinsame Steuerveranlagung kennt, dann wäre das relativ einfach mit einem einzigen offiziellen Dokument nachzuweisen. Wenn man das nicht hat, muss man mit Kontoauszügen arbeiten und damit vorweisen, dass einmal kein Einkommen und einmal ein Einkommen eingeht. Gerade in ländlichen Regionen ist das aber nicht einfach, weil dort viele nicht einmal ein Konto haben. Und da kann man dann letztlich auch nicht sicher nachweisen, dass es keinen Geldeingang gibt. Das ist also immer ein Risiko in der Betriebsprüfung. Es kann natürlich sein, dass man Glück hat und es bei der Betriebsprüfung nicht so genau geprüft wird. Sollte es doch genau geprüft werden, muss man mit 12 Prozent Strafzinsen pro Jahr zusätzlich zu den Sozialversicherungsbeiträgen rechnen, was sich in einem Vierjahresprüfzeitraum dann natürlich anhäuft.
BWagrar: Ist eventuell der sichere Weg künftig, Hausfrauen/Hausmänner immer sozialversicherungspflichtig einzustellen?
Maximilian Brandner: Wenn man keine anderen Möglichkeiten hat, die Berufsmäßigkeit zu umgehen, dann ja. Der Berufsmäßigkeit liegt ja letztlich die Überlegung zugrunde, dass die zu beschäftigende Person nicht anderweitig abgesichert ist. Und das kommt typischerweise durch ein Beschäftigungsverhältnis und damit zum Beispiel auch während des bezahlten Urlaubs zustande – wenn die Zeitgrenzen eingehalten sind. Das heißt, in dieser Zeit wäre die Saisonarbeitskraft nicht berufsmäßig arbeitend. Eine Selbstständigkeit beispielsweise ist auch einem Arbeitsverhältnis gleichgestellt. In einem unbezahlten Urlaub hingegen hat die auf einem Betrieb beschäftigte Person ja nichts, wo Geld fließen kann und worüber sie sich versorgt. Das bedeutet somit, dass die Person in diesem Zeitraum berufsmäßig im Saisonbetrieb tätig wäre.
BWagrar: Neu ist eine Pflicht zur Krankenversicherung der Saisonarbeitskräfte. Wie soll diese am besten erfolgen?
Maximilian Brandner: Seit diesem Jahr muss bei kurzfristig Beschäftigten der Nachweis geführt werden, wie diese Personen krankenversichert sind. Bei Personen, die nicht versicherungspflichtig sind oder keine A1-Bescheinigung haben, sodass eine Versicherungspflicht nach dem Recht des Herkunftsstaates gilt, ist es dann nötig, dass sie einen anderen (privaten) Krankenversicherungsnachweis mitführen. Dies führt faktisch zu einer Abschlusspflicht einer Erntehelferversicherung. Normalerweise sind auch hier die Arbeitnehmer*innen in der Pflicht, sich darum zu kümmern. Aber da das organisatorisch kaum zu bewerkstelligen ist, ist man als Landwirt*in faktisch in der Pflicht, eine Erntehelferversicherung abzuschließen. Die überwiegende Mehrheit der Betriebe hat diese Policen bereits in der Vergangenheit für ihre Saisonarbeitskräfte abgeschlossen. Die Prämien sind relativ niedrig, teilweise bei unter einem Euro pro Tag und können auch steuerlich nutzbar gemacht werden. Die LBV-U steht als Vermittlungspartner solcher Policen für Interessierte Landwirte zur Verfügung.
BWagrar: Eine Neuregelung gibt es auch zur Aufzeichnung der Arbeitszeit bei Zahlung des Mindestlohns. Was ist dabei zu beachten?
Maximilian Brandner: Die ist tatsächlich vom Tisch. Sie war im früheren Referentenentwurf drin und jetzt im beschlossenen Mindestlohnerhöhungsgesetz ist sie wieder herausgefallen. Nichtsdestotrotz muss ich ja heute schon bei allen geringfügig Beschäftigten und damit bei den Minijobbern und den kurzfristig Beschäftigten, allerdings nur handschriftlich, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzeichnen.
BWagrar: Wie wahrscheinlich sind Ausnahme- oder Übergangsregelungen im Bezug auf den neuen Mindestlohn von 12 Euro?
Maximilian Brandner: Da sieht es sehr schlecht aus. Es gibt ein Gutachten des Bundes der deutschen Arbeitgeber, das besagt, dass die Neuregelung des Mindestlohnes zu sehr in die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie eingreife und das mit diesem Eingriff tiefgreifende verfassungsrechtliche Bedenken einhergehen. Von einer Änderung vor Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Oktober gehe ich jedoch nicht aus. Letztlich wird dies vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden müssen.
BWagrar: Wird sich der Krieg in der Ukraine auf die Saisonarbeit in Deutschland auswirken?
Maximilian Brandner: Davon ist auszugehen. Es steht zu befürchten, dass Saisonkräfte aus Anrainerstaaten der Ukraine etwa aus Polen, Rumänien oder auch Moldawien nicht bereit sein werden, ihre Familie in der Heimat alleine zu lassen, um bei uns zu arbeiten. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten aufgrund der sogenannten EU-Massenzustrom-Richtlinie einen Zugang zum Arbeitsmarkt, der letztlich nur noch von der Zustimmung der Ausländerbehörde vor Ort abhängt. Wie die Ausländerbehörden damit umgehen werden, bleibt abzuwarten. Ob diese Geflüchteten kurzfristig sozialversicherungsfrei oder nur versicherungspflichtig beschäftigt werden können, wird im Einzelfall geprüft.
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