
Pflanzen gesund erhalten – aber wie?
Die Reduzierung chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes wird als Folge des Klimawandels, neuer Schädlinge und Krankheiten zur herausfordernden Aufgabe in der Praxis. Wie Pflanzen wirksamer gesund erhalten werden können, darüber informierten sich über 200 Teilnehmende aus der Praxis, Beratung und Wirtschaft auf der Pflanzenbaulichen Vortragstagung am 20. November 2025 in Sindelfingen.
von Heiner Krehl erschienen am 28.11.2025Aufgrund zunehmender Lückenindikationen, also des Fehlens geeigneter Pflanzenschutzmittel (PSM) insbesondere für Kulturen mit kleinerer Anbaufläche, und infolge des Klimawandels wird der Pflanzenschutz schwieriger. Zugleich nehmen die Zielkonflikte wie Ertragssicherung contra Umweltschutz und gesellschaftliche Akzeptanz zu. Darauf verwies Dr. Wilfried Hermann, Leiter der Versuchsstation Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim in seiner Begrüßung auf der 56. Pflanzenbaulichen Vortragstagung am 20. November 2025 in Sindelfingen (Landkreis Böblingen). Umso mehr sei es erforderlich, die Forschung zu intensivieren, Innovationen umzusetzen und neue Verfahren zu entwickeln und in der Praxis anzuwenden.
„Entscheidend ist, was in der Praxis umgesetzt werden kann.“ Dr. Konrad Rühl, MLR
Diesen Gedanken greift Dr. Konrad Rühl in seinem Impulsreferat auf und unterstreicht die Bedeutung des technischen Fortschritts und der Forschung, beispielsweise im integrierten Pflanzenbau. „Hier sind wir zwar intensiv unterwegs. Doch das ist nur die eine Seite. Entscheidend ist jedoch, was davon in der landwirtschaftlichen Praxis umgesetzt werden kann“, betont der Leiter der Abteilung Landwirtschaft im Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR). Mit Bezug auf den neuen jährlichen Bericht zur Pflanzenschutzmittel-Ausbringung dankt Rühl ausdrücklich den landwirtschaftlichen Betrieben, der Forschung und der Verwaltung. „Wir haben es geschafft, die Mengen weiter zu reduzieren“, freut er sich.
Die Zulassungsverfahren beschleunigen
Das Spannungsfeld der Zielkonflikte beim Pflanzenschutz war ein Schwerpunktthema bei der jüngsten Agrarminister-Konferenz (AMK) in Heidelberg, berichtet der Ministerialdirigent. Eine besondere Herausforderung seien die Bekämpfungslücken und neue Schädlinge. Es sei dafür Sorge zu tragen, solche Lücken zu schließen und auch für „kleinere Kulturen“ Pflanzenschutz zu ermöglichen. Teils könne das mit Notfallzulassungen erfolgen, aber vor allem sei es notwendig, die Zulassungsverfahren zu beschleunigen.
„Notfallzulassungen allein reichen gegen die Glasflügelzikade nicht“, meldet sich Landwirt Albert Gramling in der Diskussion zu Wort. Auf seinem Betrieb hätte das Mittel gegen diesen Schädling auch Nützlinge getroffen. Der Vorsitzende des Bauernverbandes Neckar-Odenwald-Kreis plädiert für die Wiederzulassung von Beizmitteln. Dann könnte auf mehrere Insektizid-Spritzungen, welche die Nützlinge treffen würden, verzichtet werden.
Spot-Spraying bietet präzise Herbizid-Ausbringung
Höhere Kosten, zunehmende Auflagen, gesellschaftlicher Druck zur Reduzierung chemischer Pflanzenschutzmittel (PSM) und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit führen zu steigenden Herausforderungen beim Pflanzenschutz. Um diese Anforderungen umzusetzen, „braucht die Landwirtschaft praxistaugliche Lösungen“, betont Dr. Robin Mink, Geschäftsführer bei der Sam-Dimension GmbH in Stuttgart.
- Dr. Robin Mink gründete mit seinem Kollegen Dr. Alexander Linn 2020 aus der Phytomedizin der Universität Hohenheim heraus die Sam-Dimension GmbH in Stuttgart. Dieses Start-up wurde bereits mehrfach mit Innovationspreisen ausgezeichnet. Beide Gründer sind Experten für Sensoranwendungen im Pflanzenschutz.
- Hinter Sam-Dimension steckt ein internationales Team aus Agrarwissenschaftlern, Piloten, KI-Trainingsspezialisten und Programmierern. Das Unternehmen will „datenbasierte Entscheidungen mit umsetzbaren Erkenntnissen für eine zukunftsorientierte und regenerative Pflanzenproduktion vorantreiben“, wie es auf der Webseite heißt.
Spot-Spray Maps werden in drei Schritten erstellt
„Praxistaugliche Lösungen bieten wir“, ist Mink überzeugt. „Mit präzisen, KI-basierten Spot-Spray Maps wird der Herbizideinsatz punktgenau gesteuert.“ Appliziert werde also „nur dort, wo tatsächlich Unkraut wächst.“ Das spare Kosten, schone die Umwelt und erhöhe das Ertragspotenzial. In drei Schritten werden dabei Spot-Spray Maps generiert: 1. Kartieren: Das SAM-CAM AI Mapping System bietet luftbildgestützte Unkrautkartierung mit Drohnen und eigenem Kamerasystem. Die leistungsstarke 6-fach Optik ermöglicht dabei Auflösungen im Millimeterbereich und Flächenleistungen bis zu 80 Hektar pro Stunde. Mit Künstlicher Intelligenz (KI; englisch AI, „Artificial Intelligence“) werden Unkräuter identifiziert und lokalisiert und in Spot-Spray Maps übersetzt. 2. Erkennen: Die hochauflösenden Bilder mit 1,6?mm pro Pixel und die integrierte Echtzeit-KI erstellen zügig die Spot-Spray Maps mit ihrer präzisen Unkrauterkennung bereits im Keimblattstadium. Dikotyle Unkräuter und Gräser werden dabei unterschieden und bei Bedarf in separaten Karten ausgegeben. 3. Applizieren: Die Spot-Spray Maps werden inklusive einer Übersichtskarte mit allen Behandlungszonen im terminalkonformen Format für ISOBUS-Feldspritzen geliefert. Die Angabe der zu behandelnden Fläche ermöglicht exaktes Anmischen der benötigten Spritzbrühe. Durch gezielte Applikation werden die Kulturpflanzen weniger gestresst
Kartierungstechnik bringt Vorteile für den Ackerbau
Mit den Spot-Spray Maps wird die flächendeckende Anwendung von Pflanzenschutzmitteln vermieden. „Dadurch kann der Herbizidverbrauch in der Praxis um bis zu 90 Prozent reduziert werden“, erklärt Mink. Durch diese Mittelreduktion werde gleichzeitig die Flächenleistung der Feldspritzen erhöht. Zudem würden die Kulturpflanzen geschont, indem unnötiger Stress durch Überdosierung vermieden werde. „Die frühzeitige Bewertung der Unkrautsituation auf dem Feld ermöglicht zudem die Berechnung ökologischer und ökonomischer Schadschwellen“, ergänzt der Geschäftsführer. Die Befliegung der Flächen übernehmen die landwirtschaftlichen Betriebe selbst oder Servicepartner der Sam-Dimension. Nach dem Befliegen berechnet Sam-Dimension die Herbizidapplikationskarten, die Spot-Spray Maps.
Über die präzise Unkrauterkennung hinaus verfolgt Sam-Dimension als langfristiges Ziel, das Schadpotenzial verschiedener Unkrautarten zu klassifizieren. Daraus sollen Empfehlungen für weitere Maßnahmen wie mechanische Verfahren oder Kulturstrategien abgeleitet werden. Dadurch könnten Bekämpfungsmaßnahmen weiter angepasst und zur Erhöhung der Biodiversität in Agrarökosystemen beigetragen werden. Ziel ist ein intelligenter, wirtschaftlicher und nachhaltiger Pflanzenschutz.
Projekt NOcsPS forscht für den Pflanzenschutz von morgen
„Die Zukunft des Pflanzenschutzes liegt in der Kombination von Vorbeugung, Züchtung, integrierter Produktion, Ökologie und Digitalisierung.“ Davon ist Prof. Dr. Ralf Vögele überzeugt. „Nur so können Pflanzen dauerhaft gesund erhalten werden“, meint der Leiter des Fachgebietes Phytopathologie am Institut für Phytomedizin der Universität Hohenheim. Das Ziel seien stabile Erträge, gesunde Lebensmittel und ein Landwirtschaftssystem, das sowohl den Menschen als auch der Umwelt diene.
Um die Frage zu beantworten, wie sich Pflanzen effektiv sowie zugleich umwelt- und ressourcenschonend gesund erhalten lassen, gelte es, folgende Strategien zu verknüpfen: Vorbeugung. Gesunde Böden bilden die Basis. Humusaufbau, Fruchtfolgen und organische Düngung fördern eine stabile Bodenstruktur und erhöhen die Widerstands-kraft der Pflanzen. Züchtung. Neue, angepasste Sorten, die gezielt auf Krankheitsresistenz oder Trockenheitstoleranz gezüchtet sind, tragen entscheidend dazu bei, Stressfaktoren abzumildern. Integrierte Pflanzenproduktion. Sie kombiniert mechanische, biologische und chemische Maßnahmen. Letztere sollen nur zum Einsatz kommen, wenn sie unbedingt notwendig werden, um wirtschaftlich relevante Ertragsverluste zu vermeiden. Mechanische Methoden wie Hacken, Mulchen oder Untersaaten verringern den Unkrautdruck und fördern die Bodenbedeckung. Biologische Verfahren gewinnen zunehmend an Bedeutung. Beispiele sind der Einsatz von Nützlingen gegen Schädlinge oder von Antagonisten gegen Pilzkrankheiten. Ökologie. Blühstreifen, Hecken und Mischkulturen fördern Nützlinge und schaffen ein stabiles Agrarökosystem. Zudem wird der Gedanke der Kreislaufwirtschaft – von der Kompostierung bis zur Nutzung biologischer Reststoffe – immer stärker in die Praxis integriert. Digitalisierung. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten: Drohnen, Sensoren und KI-gestützte Systeme ermöglichen die präzise Befallsüberwachung und teilflächenspezifische Behandlung. Dadurch lässt sich der Einsatz von Betriebsmitteln reduzieren, was sowohl Kosten spart als auch Umweltbelastungen minimiert.
Agrarsystem verzichtet auf chemischen Pflanzenschutz
Das Projekt „Nachhaltigere Landwirtschaft 4.0 Ohne chemisch-synthetischen PflanzenSchutz“ (NOcsPS) will genau diese Kombination von Strategien für den Pflanzenschutz der Zukunft erforschen. „Ein solch modernes Agrarsystem der Zukunft verzichtet auf den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel, nutzt dafür aber Ertragsvorteile des gezielten und verantwortungsvollen Einsatzes von Mineraldüngern“, erklärt Vögele. „Die Vision lautet, ein Anbausystem zu entwickeln, das eine hohe Versorgungsleistung mit gesunden Nahrungsmitteln gewährleistet und gleichzeitig wichtige Aspekte wie die Biodiversitätsförderung, Bodenfruchtbarkeit, Ökosystem-Resilienz und den Klimaschutz vereint.“
Pflanzenschutz braucht effizienten Einsatz von Ressourcen
Um eine ökologische und ökonomische Landwirtschaft zu verwirklichen, sei ein effizienter Ressourceneinsatz beim Pflanzenschutz notwendig. „Die Erkennung von Pflanzenkrankheiten im Feld ist komplex, da Pilze auf oder im Pflanzengewebe wachsen und zu Beginn einer Infektion mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind“, erklärt der Hohenheimer Pflanzenpathologe. Die frühzeitige Erkennung sei deshalb wesentlich, um durch schnelle und geeignete Gegenmaßnahmen Ertragsverluste zu minimieren.
„Dazu zählt auch der Einsatz biologischer Antagonisten, die eine Alternative darstellen. Sie haben das Potenzial, chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel mittel- bis langfristig zu ersetzen, ohne dabei von einer Rückstandsproblematik oder der Entwicklung von Wirkstoffresistenzen betroffen zu sein“, betont Vögele. „Hierzu ist es notwendig, die Pathogene im Pflanzenbestand frühzeitig zu quantifizieren und zeitnah Kontrollmaßnahmen einzuleiten, was mittels KI-basiertem Remote Sensing (Fernerkundung; d. Red.) grundsätzlich umsetzbar ist.“
Zeitpunkt und Ort wichtig für die Wirkung
Für einen praxistauglichen Einsatz im Feld bedürfe es jedoch weiterer Forschung. „Außerdem bedarf es der Entwicklung neuer Biological Control Agents (BCA), die durch innovative Formulierungen die Performance im Feld verbessern“, erklärt der Pflanzenschutz-Spezialist. Der richtige Applikationszeitpunkt solcher biologischen Schädlingsbekämpfungsmittel sowie Anwendungsart und -ort hätten ebenfalls einen großen Einfluss auf ihre Wirksamkeit. In der aktuell laufenden zweiten Förderphase (2025 bis 2028) folgen die Forschenden der Vision, Rahmenbedingungen zu identifizieren, wann und wie NOcsPS- im Vergleich zu anderen Anbausystemen besonders nachhaltig und vermarktbar sein können. Dies erfolgt im Verbund mit den Projektpartnern Universität Hohenheim, Universität Göttingen und Julius Kühn-Institut sowie mit zusätzlichen, für den Transformationsprozess wichtigen Praxispartnern.
Pflanzenschutzmittelreduktion aus Schweizer Sicht
In der Schweiz steht die Landwirtschaft zunehmend unter gesellschaftlichem Druck, die mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risiken für die Umwelt zu verringern, berichtet Dr. Thomas Steinger von der Forschungsgruppe Entomologie und Nematologie an der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope. Mit dem Ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) und verschiedenen Verzichtsprogrammen stehen wirksame agrarpolitische Instrumente zur Steuerung und Kontrolle des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln zur Verfügung. Dennoch würden immer wieder ökotoxikologische Grenzwerte überschritten, vor allem in Oberflächengewässern.
Um die Umweltbelastungen weiter zu reduzieren, wurde in der Schweiz 2017 der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel eingeführt. Dieser umfasst Zielvorgaben und Maßnahmen. Die bisher erzielten Fortschritte seien erfreulich, zieht Steinger eine Zwischenbilanz. Für viele Kulturen stehen jedoch auch in der Schweiz nur noch eingeschränkt Pflanzenschutzmittel zur Verfügung. Die „Strategie für einen nachhaltigen Schutz der Kulturen 2035“ benennt Maßnahmen, die den Engpass beseitigen sollen. Der Agroscope-Wissenschaftler stellt mehrere Forschungsprojekte vor, mit denen Schadinsekten im Ackerbau wirksam bekämpft werden sollen.
Das Projekt PestiRed verfolgt einen besonders praxisnahen Ansatz. Die beteiligten Wissenschaftler, Landwirte und Berater sollen die Möglichkeiten und Herausforderungen der konsequenten Umsetzung des integrierten Pflanzenschutzes auf Landwirtschaftsbetrieben in drei Regionen untersuchen. Dabei soll der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel über eine sechsjährige Fruchtfolge um 75 Prozent reduziert und zugleich ein Ertragsverlust von maximal zehn Prozent nicht überschritten werden. Um das Ziel zu erreichen, werden insbesondere Maßnahmen priorisiert, welche natürliche Regulationsmechanismen von Schädlingen ausnutzen.
„Das Auge des Herrn mästet das Vieh.“ Mit Verweis auf dieses Bibel-Zitat meint Moderator Dr. Wilfried Hermann in seinem Schlusswort, die Landwirtschaft werde durch die Künstliche Intelligenz (KI) nicht überflüssig. Da sei er „guten Mutes“. Künftig finde die Pflanzenbauliche Vortragstagung in Hohenheim statt, im Jahr 2026 am 19. November, lädt Hermann zur erneuten Teilnahme ein.






















Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.