Von realen und eingebildeten Gefahren
Noch nie waren die Lebensmittel in Deutschland so sicher wie heute. Dennoch sorgen sich immer mehr Verbraucher um ihre Gesundheit. Woher diese Ängste kommen und wie ihnen zu begegnen ist, darüber berichtete auf der Mitgliederversammlung des Geflügelwirtschaftsverbands (GWV) in Weilheim/Teck Dr. Torsten Herold vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
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Schon morgens droht die erste Vergiftung: Kaffee enthält Furane, im Toast steckt Acrylamid und das Frühstücksei ist dioxinbelastet. Alles nachgewiesen, aber beim Konsum in normalen Frühstücksmengen nicht gesundheitsschädlich. Denn, wie schon Paracelsus wusste, die Dosis macht das Gift. Und genau hier beginnt die Arbeit der Abteilung Risikokommunikation im BfR und damit von Torsten Herold.
Nachweisgrenzen verschoben
Moderne Analyseverfahren erhöhen die Nachweisgrenzen immer weiter, sodass ubiquitär verbreitete Stoffe wie Dioxin immer nachweisbar sind. „Die Anwesenheit sagt aber noch nichts über die Gefährlichkeit aus“, betont Herold. Schließlich bewegt man sich bei diesen Nachweisen im Nanogrammbereich. „Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen hinter dem Komma.“ Was nun für den Wissenschaftler eindeutig ist, kommt beim Verbraucher jedoch nicht an. „Der Verbraucher hat ein Problem mit Zahlen“, sagt Herold. Deswegen greift das Bundesinstitut für Risikobewertung gerne zu Vergleichen: Bei Nanogramm ist es dann das berühmte Stück Würfelzucker in einer Talsperre.
Mit Vergleichen Zahlen erklären
Ein solch griffiger Vergleich half jetzt auch im Sommer, die Aufregung über Glyphosat in Bier einzufangen. Den Schlagzeilen „Verseucht mit Glyphosat“ schickte das BfR eine Pressemitteilung hinterher, dass die Glyphosatrückstände erst ab einem Konsum von 1000 Liter am Bier am Tag schädlich sind. Obwohl schon länger im Job, ärgert sich Torsten Herold nach wie vor über die „unverantwortliche Panikmache“ der Medien. Die fast immer Resonanz findet, weil der deutsche Verbraucher im Verzehr von Lebensmitteln das drittgrößte Risiko für seine Gesundheit sieht, wie Herold aus einer Befragung zitiert. Noch mehr Angst hat der Verbraucher nur vor Umweltbelastung und Klimawandel.
Doch woher kommt die Angst? Nach Herolds Einschätzung ist der Lebensmittelbereich so anfällig für Krisen, weil Lebensmittel elementar sind, an ihnen kommt schließlich keiner vorbei. Darüber hinaus hat sich der Verbraucher immer weiter vom Herstellungsprozess entfernt. Auch hat er stets genug zu essen, Stichwort Schlaraffenland-Effekt. „Wir diskutieren in Europa Luxusprobleme“, so der Wissenschaftler.
Die Gefahren lauern woanders
Gleichzeitig lässt sich eine aus objektiver Sicht falsche Risikoeinschätzung beobachten. Unter anderem zeigen Befragungen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Risiken durch Dioxin und EHEC gleich hoch einordnen, obwohl nur eine Belastung von Lebensmitteln mit dem Bakterium EHEC eine echte Gefahr ist. 2011 sind deswegen 50 Menschen in Deutschland gestorben, wie Herold herausstellt. Unterschätzt werden seiner Meinung nach außerdem die Risiken, die in der heimischen Küche durch falsche Lagerung, Behandlung und Zubereitung von Lebensmitteln lauern. „Denken Sie nur an das Brett, auf dem hintereinander Geflügelfleisch, Gemüse und Salat geschnitten werden.“
Die Arbeit wird der Bundesbehörde also so schnell nicht ausgehen. Das Hauptziel der Abteilung Risikokommunikation ist es dabei, wie Herold es formuliert, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu übersetzen und sachlich-neutral an den Verbraucher heranzubringen, sei es mit Broschüren, Pressemeldungen, über den Twitteraccount, Youtube-Filme oder auch über Apps.
Populistische Panikmache
Wenn das BfR denn gefragt wird. Klaus Mugele, der Vizepräsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg, hat gerade erst erlebt, dass auf die neutrale Fachexpertise des Bundesinstituts scheinbar bewusst verzichtet wurde, um dem Radiobericht zu Glyphosat eine negative Färbung zu geben. In einem öffentlich-rechtlichen Sender sollte Journalismus anders aussehen, meinte Mugele im Rahmen seines Grußwortes an die Mitglieder des baden-württembergischen Geflügelwirtschaftsverbandes. Dass mehr auf Fachleute gehört wird, wünscht sich Mugele auch für die kommende Legislaturperiode. Die vom Bundeslandwirtschaftsministerium ins Leben gerufene Nutztierhaltungsstrategie müsse nun endlich im Gespräch mit allen Beteiligten der Branche mit Leben gefüllt werden. „Wir müssen von der Verunsicherung als Tierhalter weg kommen, um uns wieder auf unsere Arbeit konzentrieren zu können“, erklärte er.
Schwachstellen der Biosicherheit
Auf die praktische Arbeit als Geflügelhalter konzentrierten sich dann auch die beiden weiteren Vorträge der Mitgliederversammlung. Dr. Miriam Knauer, Mitglied der Task Force Tierseuchenbekämpfung Baden-Württemberg, berichtete von der Evaluierung der Biosicherheitsmaßnahmen auf Putenbetrieben, die die Task Force in diesem Sommer im Nachgang der Geflügelpestepidemie durchgeführt hat. Besucht wurden 68 der 80 Puten haltenden Betriebe in Baden-Württemberg mit 2500 bis 30.000 Tieren je Durchgang.
Die größten Schwachstellen bei der Biosicherheit taten sich Knauer zufolge beim Kadavermanagement sowie dem Fernhalten von Wildvögeln auf, während die Anforderungen rund um die Hygieneschleuse weitgehend erfüllt werden. Als problematisch sehen die Tierärzte der Task Force insbesondere die baurechtlich vorgeschriebenen Sickergruben an den Ställen an, die Wildvögel geradezu anlocken. Beim Umgang mit toten Tieren sollten wenigsten extra Handschuhe angezogen werden, nach besser wäre eine separate Schutzkleidung. Knauer empfiehlt außerdem Reinigung und Desinfektion der Kadavertonnen nach der Leerung.
Eigenkontrollen fördern das Tierwohl
Die Landesbeauftragte für Tierschutz, Dr. Julia Stubenbord, wies auf die Pflicht des Tierhalters zur Eigenkontrolle tierbasierter Indikatoren hin, festgeschrieben in Paragraf 2 des Tierschutzgesetzes. Gleichzeitig warb sie dafür, die Eigenkontrollen nicht nur als lästige Pflicht zu sehen, sondern die Ergebnisse auch als Hinweise auf betriebliche Schwachstellen zu nutzen, die es im Sinne des Tierwohles abzustellen gilt. Geflügelhalter haben derzeit die Wahl zwischen drei Kontrollprotokollen: dem KTBL-Leitfaden für Geflügel, den Welfare Quality Assessment Protokollen oder den MTools Beurteilungskarten für Legehennenhaltung der Universität Kassel. Jedes hat Stärken und Schwächen, eine Empfehlung sprach Stubenbord darum nicht aus. Für sinnvoll hält sie es allerdings, sich zur Bonitierung schulen zu lassen und den Austausch mit Kollegen zu suchen. Ein Ansprechpartner in Sachen Schulung ist in Baden-Württemberg das Beratungsprojekt Haltung unkupierter Legehennen, das bei der Landsiedlung angesiedelt ist, Tel. 0711/6677-4160.
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