Brandbrief an die Politik übergeben
"Gib der Krise ein Gesicht – Schicksale der Familienbetriebe": Unter dieser Überschrift haben der Landesbauernverband (LBV) gemeinsam mit dem Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) einen Brandbrief zur Not der Schweinehalter im Land übergeben. Die Übergabe fand am 31. August auf dem Betrieb von Stefan Käppeler im Landkreis Sigmaringen statt.
- Veröffentlicht am

"Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Branche zerschlagen wird. Deshalb dieser Brandbrief an die Politik", erklärte der Vizepräsident des Landesbauernverbandes (LBV) und Präsident des Schweinezuchtverbandes Hans-Benno Wichert und fügte hinzu. "Nehmen Sie diesen Brandbrief sehr ernst. Es geht um die künftige Ernährungssicherheit und einen intakten ländlichen Raum". Dabei läuft den Betrieben längst die Zeit davon. Erwin Heckler, Mitglied im Fachausschuss Vieh und Fleisch vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) meinte: „Vielen unserer Berufskollegen steht das Wasser bis zum Hals. Die ständig neuen Auflagen können in dieser Schlagzahl nicht mehr umgesetzt werden, zumal die damit verbundenen Kosten sich nicht refinanzieren lassen“.
Viele Betriebe vor dem Aus
In einer bereits im Januar 2022 durchgeführten Umfrage unter Schweinehaltern gingen 50 Prozent der Teilnehmer von einem partiellen oder einem kompletten Ausstieg aus der Schweinehaltung aus, so Wichert. Und schon damals gab es offene Briefe an Politik und Handel. Mittlerweile habe sich die Lage noch weiter verschärft. Die Verbände, LBV, BLHV und der Schweinezuchtverband (SZV), haben deshalb jüngst einen Aufruf gestartet, bei dem die Familienbetriebe über ihre Situation berichten, sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form. Ein Ergebnis ist, dass die regionale Erzeugung definitiv in Gefahr ist, so Wichert.
Die Zahlen sind alarmierend
Wie schwierig die Situation ist, wird von den statistischen Zahlen, die einen gravierenden Rückgang der Betriebe in den vergangenen Jahren ausweisen, untermauert. Gab es im Jahr 2000 noch rund 20.000 Schweinehalter im Land, sind es heute nur noch 1700 Betriebe, 700 davon sind Ferkelerzeuger.
Brandbrief enthält sechs konkrete Forderungen
- Wir fordern ein „Stand Still“ und längere Übergangsfristen hinsichtlich höherer Gesetzesauflagen, solange die offenen Fragen, beispielsweise im Bau- und Genehmigungsrecht, nicht gelöst sind.
- Den Betrieben fehlt aktuell jegliche Zukunftsperspektive. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur heimischen Schweinehaltung. Notwendig ist die zeitnahe und vollumfängliche Umsetzung der Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (Borchertplan) verbunden mit der Sicherstellung einer angemessenen und langfristig abgesicherten Finanzierung und Erleichterungen im Genehmigungs- und Baurecht.
- Um die heimische Produktion zu stärken und Transparenz für den Verbrau-cher zu schaffen, braucht es dringend eine verbindliche Herkunftskenn-zeichnung (5D), die alle Stufen der Produktion umfasst und auch für Verar-beitungsware gilt.
- Betrieben, die bereit sind sich weiterzuentwickeln, muss der Zugang zu För-dermitteln erleichtert werden.
- Damit Betriebe ohne Perspektive in der Schweinehaltung neue Betriebskon-zepte umsetzen können, muss eine Umnutzung ehemaliger Schweineställe unbürokratisch möglich sein.
- Das Land muss sich dafür einsetzen, dass zumindest in den Landeskantinen ein höherer Anteil der Zutaten aus regional erzeugten Lebensmitteln stammt und dies auch erkennbar ist. Neben der Politik ist auch der Lebensmitteleinzelhandel gefordert. „Der Handel muss den Verlust der Schweinehaltung im Land durch bessere Erzeugerpreise abwenden und sich klar zu 5xD positionieren“, fordern die beiden Bauernverbandsvertreter Wichert und Heckler. „Vor allem die Ferkelzüchter brauchen dringend ein positives Signal.“
Blick auf den Betrieb Käppeler
Stefan und Dagmar Käppler mit ihren vier erwachsenen Kindern halten insgesamt 1400 Mastschweine (1998 wurde der erste Stall im Außenbereich gebaut und 2006 erweitert). Mit den Tieren ist der Betrieb im Edeka Gutfleisch-Programm angeschlossen. Das Futter für die Schweine (Weizen, Wintergerste, Triticale, Raps und Soja) wird vor Ort auf den Betriebsflächen (rund 150 Hektar) größtenteils selber angebaut und produziert. Vermarktet werden die Tiere und das Fleisch neben Edeka auch direkt ab Hof sowie über regionale Metzgereien. Weitere Standbeine sind ein Agrarhandel, Fotovoltaik sowie landwirtschaftliche Lohnarbeiten. Wie es mit den Schweinen weitergeht, soll sich in den kommenden fünf Jahren entscheiden, wenn Sohn Jonas mit in den Betrieb einsteigen wird.
Betrieben fehlt die Planungssicherheit
Eigentlich ist der Käppler-Stall für 1800 Plätze ausgelegt, aber nach den neuen Tierwohlstandards ist er nur mit 1400 bis 1500 Tieren belegt, erläutert Jonas Käppeler. "Was uns fehlt, ist die Planungssicherheit", sagt er. Bei 2000 Euro pro Stallplatz müsse er beim Investieren richtig viel Geld in die Hand nehmen, was keine einfache Entscheidung sei. Schließlich brauche es Jahrzehnte, bis ein neuer Stall komplett abbezahlt ist. "Soll ich mir diesen Riesenschuh anziehen? Da muss nicht nur die Familie voll dahinterstehen", so Käppeler. Er vermisse oftmals auch die Wertschätzung vonseiten der Verbraucher. Neuerdings wollten viele Menschen offenkundig kein hochwertiges Fleisch mehr, weil sie es sich auch schlicht nicht mehr leisten könnten. Käppeler befürchtet, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht. Es könne übrigens auch nicht sein, dass die Mäster nur noch auf Kosten der Ferkelerzeuger Geld verdienen. Das werde nicht funktionieren. Schwierig dürfte es in den bevorstehenden Wintermonaten werden, wenn vor allem die Ferkelerzeuger teure Energie einsetzen müssten.
Trotz Preisanstieg legen Betriebe immer noch drauf
Dass die Preise für die Schlachtschweine in den vergangenen Wochen zwar deutlich auf 2,05 Euro pro kg Schlachtgewicht angestiegen sind, berichtete Hans-Benno Wichert. Gleichwohl hatten die Tierhalter in den vergangenen zwei Corona-Jahren lange Durststrecken und mussten zeitweise mit Niedrigpreisen von lediglich 1,20 Euro klarkommen. Bei den Ferkeln liegt man aktuell bei 56 Euro, statt bei 20 Euro in der Niedrigpreisphase. Um rentabel zu wirtschaften, reichen die 2,05 Euro und die 56 Euro für die Ferkel angesichts der gestiegenen Kosten längst nicht aus. Damit Mäster und Ferkelerzeuger auskömmlich Tiere erzeugen können, wären Preise von 2,20 bis 2,50 Euro pro kg Schlachtgewicht für die Mäster beziehungsweise von 80 bis 110 Euro für das 25-kg-Ferkel erforderlich.
Strategiedialog soll Ende September starten
"Ohne bäuerliche Tierhaltung keine Kreislaufwirtschaft: Wir haben in der Ukrainekrise gesehen, was es bedeutet, wenn man voll auf die internationale Stickstoffkreisläufe angewiesen ist", meinte Martin Hahn (Grüne), Vorsitzender des Ausschusses für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Auch deshalb sei es so wichtig, die Tierhaltung im Land weiter aufrechtzuerhalten. "Wir wohnen in einem Land, das den Discountlebensmittelhandel erfunden hat und ihn pflegt und gleichzeitig werden unsere bäuerlichen Betriebe mit diesem Handelsgebaren ruiniert", beschrieb Hahn die aus seiner Sicht grundsätzliche Problematik. Deswegen freue er sich, dass der Ministerpräsident am 23. September einen Strategiedialog zur Landwirtschaft eröffnen wird. Hahn bekräftigte die Dringlichkeit einer Haltungskennzeichnung (5D) und die Umsetzung des Borchertplans. Und: "Wir wollen die Verantwortung für die Tiere, die wir essen, nicht abgeben ins Ausland."
Selbstversorgungsgrad unter 50 Prozent
"Die Lage ist ernst: Für die Schweine haltenden Betriebe existenzbedrohend, aber auch für die Verbraucher mehr als ernst", meinte auch CDU-Agrarsprecher Klaus Burger. Denn viele Menschen forderten zwar regionale Produkte, ohne sich aber klarzumachen, dass sie durch ihr Einkaufsverhalten die bäuerlichen Betriebe gefährden, wenn sie zu Billigware greifen. Angesichts der Inflation sei das zwar auf der einen Seite durchaus verständlich, auf der anderen Seite liege man aber beim Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch mittlerweile schon unter 50 Prozent in Baden-Württemberg. "Keine 2000 Schweinehalter mehr bei über 11 Millionen Menschen, die im Land leben", findet Burger besorgniserregend. Um den Betrieben angesichts der Notlage jetzt konkret zu helfen, rät er: "Stopp für weitere Auflagen und mehr Zeit, um die bestehenden Auflagen umzusetzen."
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.