Ferkelkastration: Schweinehalter ringen um Lösungen
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Eines der in Frage kommenden Ersatzverfahren ist die Ebermast. Rolf Michelberger von der Firma Ulmer Fleisch in Ulm bemängelte das fehlende Interesse der Erzeuger an der Mast unkastrierter männlicher Tiere. Wie der Geschäftsführer am Donnerstag vergangener Woche mitteilte, betreibe der Schlachthof Ulm eine eigene Preismaske für Schlacht-eber, deren Eingangsgewichte für die Jung-eber auf 80 bis 104 Kilogramm Lebendgewicht gesenkt wurde. Ansonsten würden die Schlachteber wie alle anderen Schlachtschweine bezahlt.
Einen Grund für die verhaltene Reaktion auf das von Ulmer Fleisch vor sechs Jahren initiierte Pilotprojekt zur Jung-ebermast macht Michelberger in der Einstellung der Schweinehalter aus: „Die Jungebermast beginnt im Kopf, nicht im Stall“, machte er vor den gut 100 Teilnehmern der Podiumsdiskussion deutlich. Er forderte ein Umdenken. Künftig sollen mehr Eber geschlachtet werden. Die Absatzmöglichkeiten für die unkastrierten Tiere sind den Erfahrungen Michelbergers zufolge da. „Von unseren Kunden bekommen wir das Signal, dass sie künftig mehr Eberfleisch in ihre Sortimente aufnehmen wollen.“
Eberfleisch: Risiko für Gerüche
Für Ernst Buck, den Vorsitzenden des Kreisbauernverbandes Ulm-Ehingen, birgt die Ebermast Gefahren. Er wies auf die Risiken durch geruchsbelastete Schlachteber hin. Unterstützung bekam der Ferkelerzeuger aus Holzkirch (Alb-Donau-Kreis) dabei von mehreren Berufskollegen, die neben den Vermarktungsschwierigkeiten für sogenannte Stinker auf die Gefährdung durch Verletzungen, wie dem Penisbeißen und Aufreiten bei den männlichen Tieren hinwiesen.
Tierschutzrelevante Verstöße, für die LBV-Vizepräsident Hans-Benno Wichert in der Öffentlichkeit keine Akzeptanz ausmacht und an den Lebensmitteleinzelhandel appellierte, Erzeugern von Eberfleisch Sicherheiten zu gewähren, und „sie nicht bei den ersten Schlagzeilen sofort wieder auszulisten“. Die Diskussion beherrschte denn auch das Für und Wider der Geruchsbelastung von Eberfleisch und den im Vergleich zu Kastraten und weiblichen Tieren hohen Verletzungsrisiken der männlichen Tiere in der Mast.
Während Prof. Dr. Ulrike Weiler vom Hohenheimer Institut für Nutztierwissenschaften auf die Image schädigende Gefahr geruchsbelasteten Fleisches hinwies, hält es Dr. Heinz Schweer für sinnvoll, die Ebermast nicht von vorneherein als Alternativverfahren auszuschließen. Vorausgesetzt, das machte der Vertreter des niederländischen Fleischvermarkters Vion deutlich, die Eber werden getrenntgeschlechtlich gemästet. Ansonsten punkten die männlichen Eber mit einem höheren Magerfleischanteil und einer besseren Futterverwertung.
Zurückhaltung bei Metzgern
Um das aggressive Eberverhalten zu bändigen, rät Prof. Weiler zur Immunokastration, und zwar zur Variante der Biobetriebe, die die Eber bis zum Mastende dreimal impfen. Das verzögert den Eintritt der Tiere in die Pubertät und reduziert unangenehme Nebenwirkungen wie Rangkämpfe und das gefürchtete Penisbeißen. Schweer räumte in diesem Zusammenhang ein, dass es angesichts der in Süddeutschland vorhandenen Strukturen eine Ebermast „im großen Stil“ seiner Ansicht nach nicht geben wird. Dafür fehlten die Kunden. „Von unseren Schlachtbetrieben in Landshut, Vilshofen und Crailsheim beliefern wir viele Metzger. Da brauchen wir über Ebermast nicht zu diskutieren“, betonte er.
Eine Einschätzung, die Fridolin Zugmann vom Landesinnungsverband des Fleischerhandwerks Baden-Württemberg unterstrich. Für die in Süddeutschland noch weit verbreitete Metzgervermarktung komme Eberfleisch nicht in Frage. Den Grund für die Ablehnung lieferte das Innungsmitglied gleich mit: Der geringere Fettanteil und die Zusammensetzung des Eberfettes erschwerten die Herstellung für die bei Kunden beliebten Wurstprodukte. Eber bilden weniger Fett aus. Zudem neige das Fett dazu, ranzig zu werden.
Kritikpunkte, die Nina Flechtker von der Lebensmitteleinzelhandelskette Rewe bei den Kunden ihres Unternehmens bisher nicht ausmacht. Seit Anfang des Jahres will der Lebensmittelkonzern nur noch Fleisch von unkastrierten, männlichen Tieren verkaufen. „Mir sind bisher keine Kundenreklamationen bekannt“, erläuterte die LEH-Vertreterin, die allerdings einräumte, die Kunden nicht darüber zu informieren, welche Art von Schweinefleisch sie genau in ihre Einkaufswagen packten. „Wir klären Verbraucher darüber nicht aktiv auf. Das würde sie überfordern“, begründete sie die Vorgehensweise. Die Risiken für eventuell geruchsbelastetes Fleisch übernehme Rewe, reagierte Flechtker darüber hinaus auf die von LBV-Vizepräsident Wichert zuvor geäußerten Vorbehalte. „Das sichern wir unseren Lieferanten zu.“
Dem mehrheitlich geäußerten Standpunkt, alle Verfahren auszuloten, schloss sich die Rewe-Managerin an und appellierte an die Ferkelerzeuger, sich mit den Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration intensiv auseinander zu setzen. „Wir lassen alle Alternativen zu, die der Gesetzgeber zulässt“, sicherte sie den Landwirten zu. Den Ferkelimporten aus Dänemark und Holland bescheinigte Flechtker eine Absage. Die späteren Schlachtschweine und das Fleisch aus dem Ausland würden von ihrem Unternehmen nur dann abgenommen, wenn sie den deutschen Standard erfüllten. Eine Aussage, die Dr. Heinz Schweer von Vion unterstrich: Importierte Ferkel müssten den QS-Standard erfüllen. „Darauf bestehen die Kunden.“
Ferkel lokal betäuben
So wie der Gesetzgeber, der den Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration für den 1. Januar 2019 definitiv fest geschrieben hat. „Es zeichnet sich derzeit nicht ab, dass sich daran etwas ändern wird“, machte Marco Eberle vom Landesbauernverband Baden-Württemberg (LBV) deutlich. Deshalb müssten sich Schweinehalter jetzt mit allen anerkannten Verfahren auseinandersetzen: Ebermast, Immunokastration oder die Narkose mit zum Beispiel Isofluran, wie sie von Neuland favorisiert wird. Der LBV setzt sich dabei zuvorderst für die Kastration mit lokaler Betäubung ein, eine womöglich vierte Alternative, die Dr. Andreas Randt vom bayerischen Tiergesundheitsdienst ins Gespräch brachte.
Das in Schweden zulässige Verfahren ist hierzulande bislang verboten. Aus tierärztlicher Sicht könnte mit einer solchen örtlichen Betäubung jedoch ein deutlicher Vorteil für den Tierschutz verbunden sein – auch und gerade im Vergleich zur Vollnarkose mit Isofluran. Zudem sei die Methode auch für kleinere und mittlere Betriebe umsetzbar, erläuterte Randt.
Umwidmung als Option
Das wäre der Königsweg für die Betriebe in Süddeutschland, sagte Marco Eberle. Ein vom LBV mitfinanziertes Rechtsgutachten zeige, dass das Gesetz die lokale Betäubung zuließe. Konkret geht es um die Umwidmung des Betäubungsmittels Lidocain, das bisher nicht für die Lokalanästhesie bei Schweinen zugelassen ist. „Ob das Verfahren am Ende anerkannt wird, können wir noch nicht versprechen“, erläuterte der LBV-Referent für Produktion und Vermarktung. Hierfür sei noch politische Überzeugungsarbeit nötig.
„Allerdings“, das merkte TDG-Tierarzt Randt an, „muss bis 2019 ein geeigneter Wirkstoff umgewidmet werden können, damit er Schweinen zur lokalen Betäubung verabreicht werden darf“. Damit stünden den Schweinehaltern nach 2019 – bei einem positiven Bescheid für die lokale Betäubung – vier Verfahren zur Verfügung. Umso mehr komme es nun darauf an, so Eberle, dass sich die Betriebsleiter mit den bereits heute anerkannten Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration auseinander setzen. Denn die Zeit läuft. | pa n
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