Handfestes in Zeiten der Digitalisierung
Gesunde und leistungsfähige Rinder, weniger Emissionen sowie Ställe, die den Tierwohl-Ansprüchen gerecht werden. Wie sich der Spagat aus mehr Tiergesundheit, Tierschutz und den Anforderungen an eine wirtschaftlich rentable Nutztierhaltung künftig in Einklang bringen lässt? Wissenschaftler suchen die Lösung mit Hilfe von Landwirtschaft 4.0. Doch auch wenn sich vieles um Datenmanagement und Co. dreht, bei so manchen Untersuchungen wird auf „handfeste“ Materialen zurückgegriffen.
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Beispiel 1: Weidegang und stallbasiertes automatisches Melken im ökologischen Landbau
Auflagen oder auch Geld sind die besten Lockmittel für die Akzeptanz der Weidehaltung – unter Landwirten. Bei ausgedehntem Weidegang ist es nötig, Anreize zu schaffen, damit die Kühe freiwillig in den Stall zurückkehren, um die angestrebten Melkungen je Kuh und Tag zu realisieren. Dass sich die Ansprüche der Kühe von denen der Betriebsleiter unterscheiden, liegt auf der Hand. Im Rahmen des Projekts „Optimierung des Systems Weidehaltung und automatisches Melken im ökologischen Landbau“ des LAZBW wurden 27 entsprechende Betriebe baden-württembergischer und bayerischer Milcherzeuger bezüglich ihrer aktuellen praktischen Umsetzung untersucht. Auf den Höfen wurde das Weide-, Fütterungs- und Arbeitsmanagement erfasst. Hinzu kam rückwirkend die Generierung von Leistungsparametern aus dem automatischen Melksystem (AMS).
Den meisten der untersuchten Betrieben gelingt es nicht, das AMS nach konventionellen Gesichtspunkten auszulasten. Die Ursachen dafür liegen in einem geringeren Milchleistungsniveau sowie einem kleineren Kuhbestand. Der Weidegang an sich führt in diesen Betrieben um Mittel zwar zu einer geringfügig geringeren technischen Auslastung, allerdings erhöht sich die Milchleistung und somit die Menge an ermolkener Milch je Melkstation und Tag gegenüber der Stallperiode. Der Weidegang trägt nicht zu ökonomischen Nachteilen im Mittel der Betriebe bei. Der Erfolg von Weidegang in Kombination mit AMS hängt stark von den einzelbetrieblichen Gegebenheiten ab. Einzelnen Betrieben kann es gelingen, mit den Kostenvorteilen des Weidegangs die Mehrkosten für ein AMS zu decken, wenn einige Grundvoraussetzungen wie beispielsweise Weidefläche mit direktem Anschluss an den Stall, Weideflächenwechsel/Portionsweide oder auch selektive Steuerung des Zugangs zur Weide gegeben sind.
Beispiel 2: Vergleich von Oberflächen auf Komfort-Liegematten aus Gummi für Milchvieh bezüglich der Hautschonung im Gelenksbereich
Veränderungen an der äußeren Haut (Integument) im Gelenksbereich bei Rindern und Milchkühen sind in Liegeboxenlauf stärken ein aktuelles Thema mit deutlichen ökonomischen Auswirkungen. Nicht nur Rasse, Leistung und Laktationsstadium tragen ihren Part zur Ausprägung des Grades der Veränderungen bei, sonder auch Einstreumenge und –art, Liegeboxenbelag sowie der Pflegezustand. In der Untersuchung an der Lehr- und Versuchsanstalt Köllitsch wurde besonderes Augenmerk auf die Liegeflächengestaltung gelegt. 48 Liegeboxen wurden je zur Hälfte mit der vorerst als Prototyp konzipierten Versuchsmatte „Tarsa“ (Matratzenkörper aus halbschalenförmiger Gummimatte darüber eine Schaumstoffplatte sowie eine Gummideckschicht mit kugelsegmentartig ausgeprägter Oberfläche im hineren Drittel der Matte, dem Liegebereich der Sprunggelenke). Diese wurde mit der Kontrollmatte „KEW+“ (gleicher Unterbau, jedoch mit einer ganzflächig glatten Gummideckschicht) in zwei Durchgängen zu je drei Monaten verglichen. Beide Matratzen waren gleich weich und verformbar.
Das halbkugelartige Profil im hinteren Drittel der Liegefläche hielt Einstreu in größerer Menge, dadurch konnte die vom Tier abgegebene Flüssigkeit besser gebunden werden. Dies führte zu besserem Abtrocknen der Haut und einer erhöhten Widerstandsfähigkeit. So wundert es nicht, dass im Versuch gezeigt werden konnte, dass das ausgeprägte Oberflächenprofil der Versuchsmatte der Versuchsmatte die Hautschonung an einigen Gelenksbereichen der Hinterhand unterstützt. Hautveränderungen um die Tarsalgelenke waren teilweise weniger ausgeprägt. Am dorsalen Fersenbein waren die Verletzungen auf der Versuchsmatte signifikant vermindert.
Beispiel 3: Tierortung mit dem neuen Low-Power-Funkstandard LoRa
Glocken an den Hälsen von Kühen, Schellen tragende Schafe: Bilder, die man vor Augen hat, wenn man von der Almbewirtschaftung spricht. Doch die lautgebenden Instrumente erfüllen nicht nur optisch ihren Zweck, sie haben für die Berghirten einen wichtigen Nutzen. Das Geläut gibt Auskunft über den Standort der Tiere. Wie lange dem noch so ist, hängt von der fortschreitenden Entwicklung der Funktechnologie ab.
Moderne Technologien können Landwirte unterstützen, die Tiere in extensiven und abgelegenen Gebieten zu lokalisieren und zu überwachen, um Arbeitskosten zu senken und den Tierschutz zu gewährleisten. Der Krux an der Sache: Der Energiebedarf und die Kosten der bisher angebotenen Systeme sind zu hoch. In einem Pilotversuch von Agroscope (Schweiz) wurde eine neue kostengünstige Funktechnologie, LoRa (Long Range), mit minimalem Energiebedarf und großer Reichweite getestet. Alle 30 Minuten wurde die Position des Tieres über LoRa gesendet und mit einer eigenen Basisstation empfangen. Mit den eingehenden Koordinaten konnte das Tier live verfolgt werden.
Die Ergebnisse wecken die Hoffnung auf mehr. In den ersten Untersuchungen konnte die Datenübertragung in Berggebieten erfolgreich durchgeführt werden. Waren die Kosten, die Lebensdauer von Batterien und deren Gewicht bis dato noch ein K.O.-Kriterium, so lässt sich heute darüber nachdenken, die kostengünstige und energieeffiziente Datenübertragung künftig für andere Sensoren einzusetzen. Aktives Weidemanagement wäre mit Vegetations- oder Umweltsensoren sowie virtuellen Zäunen möglich. Die Integration von Aktivitätssensoren, um ungewöhnliches Verhalten zu erkennen, könnte die Herdenüberwachung unterstützen. Aktuell interessant in Hinblick auf die Wolfsdiskussion. Die angezeigten Verhaltensveränderungen könnten aber auch für die Früherkennung von Erkrankungen oder die Brunsterkennung herangezogen werden. Ein wichtiger Argument für weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit in diesem Gebiet: Der Arbeitszeitbedarf sowohl für die Tiererkennung als auch für die Betriebsführung kann reduziert werden.
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