Tierärzte kritisieren dohendes EU-Antibiotikaverbot
Das Europaparlament entscheidet im September, ob vier antibiotische Wirkstoffklassen für die Behandlung von Tieren verboten werden sollen. Aus Tierärztesicht drohen hierdurch gravierende Folgen für die Gesundheitsversorgung von Klein-, Heim- und Nutztieren sowie Pferden: Bestimmte Krankheiten könnten dann nicht mehr behandelt werden, kritisiert der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt).
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Die Interessensorganisation richtet sich deshalb mit einem Appell an die Bundesvorsitzenden von CDU, Armin Laschet, und CSU, Dr. Markus Söder, sowie von Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck. „Unterstützen Sie den von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erarbeiteten, wissenschaftsbasierten Kriterienkatalog der EU-Kommission, der die im internationalen Vergleich weitreichendste rechtliche Regulierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermedizin darstellt? Oder unterstützen Sie den Gegenantrag, der vorsieht, dass vier – für die Human- und Tiermedizin gleichermaßen wichtige – antibiotische Wirkstoffklassen für die Tiermedizin verboten werden sollen?“, fragt bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder die Parteivorsitzenden.
Kranke Tiere können nicht mehr behandelt werden
Die Sorge der Tierärzte: „Wenn der Verbotsantrag angenommen wird, könnte das dazu führen, dass wir kranke Klein-, Heim- und Nutztiere sowie Pferde nicht mehr behandeln können. Tiere müssten im Zweifelsfall sogar euthanasiert werden, weil bei bestimmten Indikationen die erforderlichen Tierarzneimittel nicht mehr zur Verfügung stehen“, sagt Moder und schreibt an die Parteivorsitzenden: „Sie können sich vorstellen, dass uns dieses Szenario mit großer Sorge erfüllt, vor allem weil es unserem Selbstverständnis als Tierärzte, kranken Tieren helfen zu wollen und auch zu müssen, zuwiderläuft.“
Eine Klarstellung der Parteivorsitzenden ist aus bpt-Sicht notwendig, weil sich deutsche EU-Abgeordnete gegen Parteipositionen stellten. So hatte Bündnis 90/die Grünen auf bpt-Anfrage zum Thema EU-Antibiotika-regulierung Mitte August geantwortet (Zitat):„Um Antibiotika gezielt einzusetzen und Resistenzen zu vermeiden, sollen vorrangig kranke Einzeltiere behandelt werden. Reserveantibiotika sollen der Humanmedizin vorbehalten werden, wobei kranken Tieren natürlich gezielt geholfen werden muss. Das deckt sich mit Empfehlungen der EMA (Hervorhebung bpt), bestimmte Kategorien bei Tieren nur dann zum Einsatz kommen zu lassen, wenn die öffentliche Gesundheit sonst gefährdet ist.“
Wissenschaftlich fundierte Reserveliste
Der Verbotsantrag im Europaparlament sei federführend vom Grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling aus Hessen initiiert worden. Dieser Antrag weist die EMA-Empfehlungen als „unzureichend“ zurück. Auch bei der CDU/CSU gebe es abweichende Positionen. Die offizielle Parteiantwort auf eine bpt-Anfrage lautete (Zitat):„CDU und CSU unterstützen diesen Ansatz (Anmerkung bpt: die Kriterien der EMA). Reserveantibiotika sind Arzneimittel der letzten Wahl und werden verabreicht, wenn sonst nichts mehr wirkt. Die Reserveliste muss aber wissenschaftlich fundiert sein. Es darf nicht zu einem Therapie-Notstand in der Tiermedizin kommen, denn auch kranke Tiere müssen behandelt werden können.“
Der Verbotsantrag habe im ENVI-Ausschuss des EU-Parlaments nur eine Mehrheit erreichen können, weil sich die Abgeordneten der EVP-Fraktion, zu der CDU/CSU gehören, mehrheitlich enthielten. Auch der CDU-Politiker Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, hat sich enthalten. Er bestätigt die Sorge der Tierärzte vor gravierenden Folgen bis hin zur Euthanasie. Der Humanmediziner wird in der Westfalenpost vom 21. August 2021 wie folgt zitiert (Passage aus dem Artikel):„Die Frage ist doch: Muss man vielleicht bei einem Tier auf die bestmögliche Behandlung verzichten – oder will man riskieren, dass auch Menschen sterben, weil auch diese Antibiotika irgendwann ihre Wirkung verlieren?“ Liese hat diese Frage für sich beantwortet: Ja, Reserveantibiotika sollen dem Menschen vorbehalten werden – bei der Behandlung von Tieren müsse dann versucht werden, mit normalen Antibiotika zurecht zu kommen: „Im allerschlimmsten Fall muss es eingeschläfert werden. Das ist natürlich hart.“
Angesicht der zunehmend kontroverseren öffentlichen Diskussion über das drohende Antibiotikaverbot fordert der bpt eine klare Positionierung der Parteien vor der finalen Entscheidung im EU-Parlament Mitte September. „Wir Tierärzte unterstützen ausdrücklich den restriktiven Antibiotikaeinsatz in Veterinär- und Humanmedizin. Wir haben den Antibiotikaeinsatz europaweit um 34 und in Deutschland sogar um 60 Prozent reduziert“, betont bpt-Präsident Moder. „Ein pauschales Verbot ganzer Wirkstoffklassen schränkt die Behandlungsmöglichkeiten für Tiere aber unverantwortlich ein und wird deshalb von uns abgelehnt.“
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