Nicht immer erforderlich
Während nach Praxiserfahrungen die Mehrerträge bei Anwendung der Wachstumsregeln ohne Lager unter sehr günstigen Bedingungen bei bescheidenen 2 bis 3 dt liegen, können bei Anwendung unter ungünstigen Bedingungen deutlich höhere Mindererträge von 4 bis 5 dt, bei Sommerlagerung sogar ca. 10 dt auftreten.
von Dr. Jonathan Mühleisen, Pflanzenschutzdienst am Regierungspräsidium Stuttgart erschienen am 10.03.2025- Anbau standfester Getreidesorten (bei „Lager“ Ausprägungsstufe 3 „niedrig“ oder 4 „niedrig bis mittel“ in der beschreibenden Sortenliste, Hinweise zu Empfehlungssorten der Broschüre „Integrierter Pflanzenschutz 2025 – Ackerbau und Grünland“)
- Auf leichten Böden
- Auf Standorten mit einem geringen Stickstoffnachlieferungspotential
- Keine organische Düngung
- Bei optimalem Aussaattermin
- Bei einer geringeren Aussaatstärke
- Bei Spätsaaten und geringen Bestandesdichten
- Bei trockener Witterung, hohen Temperaturen, starken Temperaturschwankungen und starker Sonneneinstrahlung.
Wesentlich höhere Schäden können jedoch durch die Lager selbst entstehen. Liegende oder gar geknickte Pflanzen wachsen schlechter als stehende. Durch die schlechtere Durchlüftung und Abtrocknung ist auch der Krankheitsdruck höher und es muss mit Qualitätseinbußen gerechnet werden. Außerdem kann der Mähdrescher die liegenden Pflanzen oft nicht mehr erfassen. Die eventuell zurückbleibende Strohmatte kann zusätzlichen Arbeitsaufwand zwischen Ernte und Folgefrucht erfordern. Kurzum: Lager sind in jedem Fall zu vermeiden, weitere positive pflanzenbauliche Effekte auf den Ertrag sind bei Wachstumsreglern vernachlässigbar.
Durch Maßnahmen des integrierten Pflanzenbaus, wie Fruchtfolge, Anbau standfester Sorten und bedarfsgerechte N-Düngung, kann der Einsatz von Wachstumsreglern reduziert oder sogar ganz vermieden werden. Wachstumsregler reduzieren bei richtiger Anwendung das Lagerrisiko bei weniger standfesten Sorten und insbesondere beim Einsatz von Wirtschaftsdüngern, bei denen die N-Nachlieferung schwer abschätzbar ist. Sie sichern damit Ertrag, Qualität und eine reibungslose Ernte. Andererseits können sie bei Wassermangel oder anderen Stresssituationen wie Witterungsextremen oder ungünstigen Herbizidkombinationen zu deutlichen Ertragseinbußen führen. Der Einsatz von Wachstumsreglern ist daher immer kritisch zu prüfen.
Lagerneigung einschätzen
Die Lagerneigung der Getreidearten nimmt in der folgenden Reihenfolge zu: Winterweizen < Triticale < Wintergerste < Winterroggen. Können die genannten pflanzenbaulichen Maßnahmen nicht berücksichtigt werden oder sind die Bedingungen ungünstig, kann durch den Einsatz von Wachstumsreglern noch eine Festigung des Halmes bzw. eine Verbesserung der Standfestigkeit erreicht werden. Bei der Bemessung des notwendigen Einsatzes von Wachstumsreglern sind viele Faktoren zu berücksichtigen. Tabelle 1 hilft bei der Entscheidung über den Einsatz von Wachstumsreglern und die Höhe des Aufwandes. Die Anwendungsgebiete und die empfohlenen Aufwandmengen der verschiedenen Wachstumsregler sind in der Broschüre „Integrierter Pflanzenschutz 2025 - Ackerbau und Grünland“ in Tabelle 18 auf den Seiten 44 und 45 aufgeführt.
So wirken die Wachstumsregler
Chlormequat-Mittel (z. B. CCC720, Stabilan 720, Manipulator, Regulator 720, Shortcut XXL) hemmen die für das Längenwachstum verantwortlichen Pflanzenhormone (Gibberelline) und verkürzen dadurch hauptsächlich die Halmlänge. Sie verstärken aber auch die Halmwand. Das Wachstum des Haupttriebes wird gehemmt und das der Nebentriebe gefördert. Dadurch erhalten mit Chlormequat-Mitteln behandelte Bestände ein einheitliches Aussehen. Für eine gute Wirkung brauchen diese Mittel bei Sonnenschein Mindesttemperaturen von 6 bis 8 °C, bei bedecktem Himmel von 10 °C. Trinexapac-Mittel (Calma, Countdown NT, Moddevo, Moddus, Moxa, Modan 250 EC u. a.) hemmen die Pflanzenhormone später und verkürzen die Abschnitte zwischen den Knoten, die sich gerade im Wachstum befinden. Zudem verstärken sie die Wand des Getreidehalmes und verbessern die Wurzelbildung. Sie wirken gleichmäßig auf Haupt- und Nebentriebe. Behandelte Bestände sind ungleichmäßig und sehen fast wie unbehandelte aus. Für eine gute Wirkung sind sonniges Wetter und Temperaturen von mindestens 12 °C erforderlich.
Aufgrund der guten Formulierung von Moddevo wird der enthaltene Wirkstoff auch bei tieferen Temperaturen aufgenommen. Deshalb eignet sich Moddevo für den frühen Einsatz ab Mitte bis Ende der Bestockung (ES 25 (Gerste 29) bis 31/32). Der frühzeitige Einsatz verkürzt die untersten Stängelabschnitte.
Der Wirkstoff Prohexadion in Fabulis OD hat eine ähnliche Wirkungsweise wie Trinexapac. Er hemmt später, verkürzt die Länge und verstärkt die Wand der Halme. Zudem wirkt er gleichmäßig auf Haupt- und Nebentriebe. Fabulis OD sollte unter wüchsigen Bedingungen eingesetzt werden. Eine Behandlung unter 5 °C bzw. über 25 °C ist zu vermeiden. Einer Behandlung sollten 3 bis 4 frostfreie Tage folgen.
Das Mittel Medax Top enthält zusätzlich Mepiquat-Chlorid. Dieser Wirkstoff wirkt, ähnlich wie das Chlormequat, früh auf die Pflanzenhormone, verkürzt die Länge und verstärkt die Wand des Halmes. Der Haupttrieb wird gehemmt und die Nebentriebe werden gefördert. Die Ansprüche an die Witterung sind mit denen von Chlormequat-Mitteln vergleichbar. Medax Top ist zusätzlich nach Artikel 51 zur Halmfestigung in Emmer, Einkorn und Khorasan-Weizen zugelassen.
In Prodax sind die Wirkstoffe Prohexadion und Trinexapac kombiniert. Die Wirkstoffe verkürzen über einen längeren Zeitraum den Halm und erhöhen auch die Dicke der Halmwand. Das Mittel hat in Winter- und Sommergetreide ein breites Anwendungsfenster und kann auch in Dinkel, Durum, Einkorn, Emmer und Khorasan-Weizen zum Einsatz kommen.
Die Ethephon-Mittel Camposan Extra, Camposan Top, Cerone 660, Karolus WR, Orlicht Plus und Vitoval aktivieren das wachstumshemmende Pflanzenhormon Ethylen. Dadurch wird die Internodienstreckung gehemmt und die die Halmlänge verkürzt. Die Halmwand wird nicht beeinflusst. Es reduziert auch das bei der Gerste gefürchtete Ährenknicken. Von allen Wachstumsreglern hat es die höchsten Temperaturansprüche von mindestens 14 °C und benötigt Wachstum förderndes Wetter für eine sichere Wirkung. Der Einsatz ist erst während des Schossens sinnvoll (frühestens ab 2 Knotenstadium).
Das Mittel Bogota Ge enthält die Wirkstoffe Chlormequat und Ethephon. Die Kombination der beiden Wirkstoffe verkürzt und festigt den Halm.
Früh applizieren
Ist der Einsatz von Wuchsregulatoren erforderlich, ist grundsätzlich zu beachten, dass eine gute Standfestigkeit vor allem durch eine Verkürzung der Knotenabstände im unteren Halmbereich erreicht wird. Dies wird am besten erreicht, wenn die entsprechenden Mittel so früh wie möglich eingesetzt werden. Eine späte Anwendung führt zu einer Verkürzung im oberen Halmteil mit der unerwünschten Folge, dass die Ähren nur wenig über das Fahnenblatt hinausragen. Unter diesen Bedingungen trocknen die Ähren schlechter ab und werden anfälliger für Krankheiten. Chlormequat verkürzt die Halme im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle am wenigsten. Eine Kombination mit Moddus zeigt eine bessere Wirkung. Medax Top + Turbo und Prodax erzielen die stärksten Einkürzungen. In Gerste führt die zusätzliche Anwendung von Ethephon zu einer weiteren Verkürzung der Halmlänge.
Im Winterroggen ist in der Regel eine Maßnahme erforderlich. Es folgen Wintergerste und Triticale. Ein hohes Lagerrisiko besteht auch bei Hafer. In dieser Getreideart können in der Schossphase z.B. Chlormequat, Countdown NT, Flexa, Modan 250 EC, Moddus, Moxa oder Medax Top sowie Prodax eingesetzt werden. Die meisten Winterweizensorten sind sehr standfest und haben den geringsten Bedarf. Bei standfesten Sorten (z.B. Absint, Rubisko EU, Winner EU) ist insbesondere in trockenen Jahren keine Behandlung erforderlich. Unter diesen Bedingungen kann eine Anwendung sogar zu Ertragseinbußen führen.
Vorgaben zum integrierten Pflanzenschutz
Wenn Äckern in Landschaftsschutzgebieten, FFH-Gebieten und Vogelschutzgebieten sowie auf intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen in Kern- und Pflegezonen von Biosphärengebieten, in gesetzlich geschützten Biotopen und bei Naturdenkmalen bewirtschaftet werden, kann z. B. beim Anbau von standfesten Winterweizensorten eine landesspezifische Vorgabe zum Integrierten Pflanzenschutz (Wahlmaßnahme „A 4.4w Verzicht auf Wachstumsregler in Getreide“) erfüllt werden.
Vorsicht ist geboten bei Tankmischungen von Wachstumsreglern mit Fungiziden, die Azole enthalten (z. B. Input Classic, Input Triple, Navura, Pecari 300 EC, Verben u.a.) oder mit Herbiziden, wie z. B. Wuchsstoffen. Die Herstellerfirmen geben hierzu Hinweise in der Gebrauchsanleitung.
In Kombination mit Azolfungiziden wird die Wirkung der Wachstumsregler verstärkt. Deshalb kann mit diesen Tankmischungen trotz reduzierter Aufwandmenge an Wachstumsreglern die gleiche Reduktion erreicht werden. Dies zeigte sich in Versuchen sowohl in Winterweizen als auch in Wintergerste. Auch wenn das Getreide nicht ins Lager geht, kann der Einsatz von Wachstumsreglern zu Mehrerträgen führen. Bei Wirtschaftlichkeitsberechnungen zeigt sich jedoch, dass vor allem Behandlungen mit hohen Aufwandmengen häufig unwirtschaftlich sind oder nur geringe Mehrerträge bringen. Dies gilt insbesondere für Anwendungen in standfesten Winterweizensorten.
Einsatz sorgfältig prüfen
Vor dem Einsatz eines Wachstumsreglers ist zu prüfen, ob die pflanzenbaulichen Maßnahmen eine ausreichende Standfestigkeit gewährleisten. Besteht die Gefahr, dass der Bestand ins Lager geht, erfordert der Einsatz von Wachstumsreglern Fingerspitzengefühl und langjährige Erfahrung mit der Getreideart am jeweiligen Standort. Es sollten nur so viele Mittel eingesetzt werden, wie unbedingt notwendig. Bei Trockenheit und intensiver Sonneneinstrahlung ist der Einsatz von Wachstumsreglern mit Vorsicht zu genießen. Auch bei Nachtfrostgefahr sollten Wachstumsregler nicht eingesetzt werden.
Besondere Vorsicht ist bei der Anwendung von Azolfungiziden geboten. In diesen Tankmischungen sollten die sorten- und standortspezifischen Aufwandmengen an Wachstumsreglern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten reduziert werden. Speziell bei Tankmischungen, aber auch generell beim Einsatz von Wachstumsreglern sind die Hinweise und Empfehlungen der Hersteller zu beachten.
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