Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Regionalvermarktung Baden-Württemberg

Schweine aus dem Ländle

Die Verbraucher wollen immer mehr regional erzeugte Lebensmittel kaufen, sagen Marktforscher. Das gilt auch für Schweinefleisch. Aber können Schweinehalter davon leben? BWagrar hat bei Bauern, Schlachthöfen und im Lebensmitteleinzelhandel nachgefragt.
Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
Montage/Fotos: Amstutz,Singler
Artikel teilen:

Ein Freitag im Spätherbst 2015 morgens um zehn. Auf dem Ferkelerzeuger- und Schweinemastbetrieb Müller in Backnang ist gerade Pause. Um den Küchentisch des Wohnhauses sitzen das Betriebsleiterpaar, einer der Söhne und ein Auszubildender und stärken sich beim Vesper. Rainer Müller (51) führt den Betrieb zusammen mit Sohn Andreas (26), der die Sauenhaltung managt, Vater Rainer die Mast. Den Besucher begrüßen die beiden Landwirtschaftsmeister per Handschlag und einem freundlichen Lächeln.

Zwölfjahres-Tief

Aus wirtschaftlicher Sicht ist den beiden Schweinehaltern nicht zum Lachen zumute. Am Tag zuvor sackte der Leitpreis für deutsche Schlachtschweine auf 1,25 Euro je Kilogramm Schlachtgewicht ab: so wenig wie seit zwölf Jahren in einem November nicht mehr. „Das trifft uns sehr stark“, beklagt Rainer Müller den Tiefpunkt eines wochenlangen Preisverfalls. Um gewinnbringend Ferkel zu gebären und Schweine zu mästen, bräuchte der Betrieb mit seinen 800 Mastplätzen im Südwesten „mindestens 1,60 Euro je Kilo Schlachtgewicht. Dann ließen sich auch Rücklagen für spätere Investitionen bilden“, rechnet der Betriebsinhaber vor.

Jetzt, gut zweieinhalb Monate später, sieht der Schweinefleischmarkt für die Landwirte nicht viel besser aus. Die Preise haben sich immer noch nicht erholt. Seit dem Tiefpunkt vor elf Wochen stiegen sie gerade mal um sechs Cent. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Mehr nicht. Die ersehnten 1,60 Euro wurden letztmals im September 2014 erreicht.

Müllers führen eigentlich einen der krisensichereren Mastbetriebe im geschlossenen System aus Ferkelerzeugung und Schweinemast. Zudem gehören sie einem kleinen Kreis von Mästern an, die ihre Schweine meist ohne Zwischenhandel direkt an selbst schlachtende Metzger verkaufen. Der sogenannte Metzgerabsatz gilt in Baden-Württemberg als einer der ordentlich bezahlten Vermarktungswege für Schlachtschweine. Die Tiere werden lebend abgerechnet, häufig ohne komplizierte Preismaske. Doch Metzger sind auch Kaufleute. Sinken die Mastschweinepreise auf breiter Front, können sich selbst die Handwerksbetriebe dem Sog des preiswerteren Einkaufs kaum noch entziehen.

Müllers verkaufen drei Viertel ihrer Schweine an Metzger, die übrigen an einen Großschlächter. Die Lebendvermarktung schneidet bei normaler Marktlage 15 Cent je Kilogramm Schlachtgewicht besser ab als die Geschlachtet-Vermarktung, sagt Rainer Müller: „Allerdings haben wir auch mehr Aufwand, weil wir unsere Schlachttiere selbst anliefern.“ Der tatsächliche Aufschlag liegt deshalb bei acht Cent je Kilo Schlachtgewicht. In Niedrigpreisphasen haben Müllers mit zwei ihrer drei Metzgerkunden eine Preisuntergrenze vereinbart. Damit liegen sie derzeit bei 60 Prozent ihrer Schweine 25 Cent über der Geschlachtet-Notierung. „Das schützt uns gerade vor dem Ruin. Rücklagen können wir damit aber nicht bilden“, wirft Andreas Müller ein.

Marktforschung

Der für hiesige Schweinemäster lukrative Metzgerabsatz in Baden-Württemberg ist gefährdet. In manchen Landkreisen werden den Handwerksbetrieben unverständlich hohe Fleischbeschaugebühren abverlangt. Rainer Müller musste in den vergangenen Jahren mehrfach den Abnehmer wechseln, weil der bisherige sein Schlachthaus dicht gemacht hatte. Im Grunde ist die Entwicklung verwunderlich. Denn die Marktforschung sagt etwas ganz anderes.

Nach aktuellen Umfragen der Marketing- und Absatzförderungsgesellschaft für Agrar- und Forstprodukte aus Baden-Württemberg (MBW) ist es „81 Prozent der Verbraucher in Baden-Württemberg wichtig oder sehr wichtig“, dass Lebensmittel in ihrer Region produziert und erzeugt werden. „Das gilt auch für Schweinefleisch“, sagt MBW-Geschäftsführer Dr. Alexander Wirsig gegenüber BWagrar. Auch wenn sich der Begriff Region dehnen lässt, ist klar, die Konsumenten wollen Lebensmittel aus ihrer Umgebung. Das müsste den Metzgern doch helfen. Schließlich gelten sie als die Garanten für Fleisch und Wurst aus regionalen Rohstoffen.

Rainer Müller zweifelt an den Umfragen. Er glaubt, dass Verbraucher auf Nachfrage ihr Gewissen beruhigen, wenn sie den Wunsch nach regionaler Kost äußern. Beispielhaft erwähnt er eine Begegnung bei einer Veranstaltung des Lernorts Bauernhof. Eine Lehrerin erzählte, sie wünsche sich Fleisch und Wurst aus der Region, aber bitte alles zentral in einem Laden. Ihr fehle die Zeit, um beim Wocheneinkauf neben dem Supermarkt auch extra zum Metzger zu gehen. Sie sei berufstätig, habe zwei Kinder und sei alleinerziehend.

„Stark im Steigen“

Sind also regionale Fleisch- und Wurstwaren von baden-württembergischen Schweinen vor allem beim Lebensmitteleinzelhandel gefragt? Bei der Einzelhandelskette Rewe wird dieser Trend für die Region Südwest bestätigt. „Ja“, sagt ein Verkaufsleiter, der anonym bleiben will, für regional erzeugtes Schweinefleisch aus Baden-Württemberg sei „der Markt stark im Steigen“. Die Handelskette verkauft sowohl Markenfleisch von Qualivo als auch eine Eigenmarke mit dem Regionalfenster. Das Verbraucherinteresse begründet Rewe mit der Verunsicherung durch Lebensmittelskandale. Die Kunden vertrauen der Herkunft und wollen im übertragenen Sinn wieder näher an das Produkt. Engpässe in der Warenverfügbarkeit bestehen nicht.

Bei der Einzelhandelskette Edeka sieht man die Entwicklung ähnlich: „Ja, es gibt einen Markt für Schweinefleisch aus Baden-Württemberg“, bestätigt Jürgen Mäder, Geschäftsführer von Edeka Südwest Fleisch. Allerdings weisen die Hamburger für ihre Regionalgesellschaft kein abgegrenztes Vertriebsgebiet für Baden-Württemberg aus. Das Vertriebsgebiet Südwest erstrecke sich auf das westliche Bayern, Baden-Württemberg gesamt, die Pfalz, das Saarland und Teile Hessens, sagt Mäder. Der starke Anteil der hiesigen Schweinefleischerzeugung werde am Markenfleischprogramm Gutfleisch deutlich. Von den mehr als 400 Mästern stammten 80 Prozent aus Baden-Württemberg.

Absatzkonzepte entwickeln

„Der regionale Markt wächst“, bestätigt der Geschäftsführer und fügt gleich hinzu, dieses Geschäftsfeld „wollen wir ausbauen“. Landwirte und ihre Organisationen ermuntert er, regionale Vermarktungskonzepte gemeinsam mit dem Einzelhandel zu entwickeln. Gegenwärtig sucht sein Unternehmen händeringend Bioschweine. Zusammen mit dem Ökoverband Bioland würden Biomästern Zehn-Jahres-Verträge angeboten.

Die wachsende Nachfrage nach regional erzeugtem Fleisch spürt der Einzelhändler an seinen Bedientheken, sagt Mäder. Während der Schweinefleischabsatz bundesweit laut aktuellen GfK-Zahlen um ein Prozent gesunken sei, konnte der Schweinefleischabsatz der Edeka Südwest gegen den Trend um drei Prozent zulegen.

Der Metzger und die Konjunktur

Auch die Metzgerbetriebe im Südwesten spüren das wachsende Verbraucherinteresse an Fleisch und Wurst aus regionaler Erzeugung. Ulrich Klostermann führt das auf die gute Wirtschaftslage zwischen Main und Bodensee zurück. Nach seiner Einschätzung „kaufen sich die Menschen ein Lebensgefühl. Wer beim Metzger kauft, kann sich ein gutes Stück Fleisch und gute Wurst leisten“, sagt der Geschäftsführer des Landesinnungsverbands für das Fleischerhandwerk in Baden-Württemberg, der 1300 Betriebe vertritt.

Die Entwicklung ist nicht vor Rückschlägen gefeit. Lahmt die Konjunktur, ändert sich das Einkaufsverhalten schlagartig, fürchtet Klostermann. Der Marktkenner schätzt, dass etwa 80 Prozent der Metzgerbetriebe im Südwesten ihre Schlachtschweine regional beziehen. Dabei ist der Begriff regional eher zu weit gefasst. Viele kaufen die Schweine von Bauern aus der näheren Umgebung. Weil die örtlichen Ladenkunden das wissen, sei Werbung für die Herkunft der Tiere überflüssig. 

In engem Kontakt sprechen sich Metzger und Mäster direkt über Haltung, Fütterung, Gewicht und Bezahlung ab. So bekommt der Metzger die Qualität, die er sich leisten will. Nach Klostermanns Eindruck haben die Metzger kein Nachschubproblem. Der Schlachtschweinemarkt steht auch der Menge nach unter Druck, weil Russland weiterhin auf Schweinefleisch aus der EU verzichtet.

Im Vergleich zum übrigen Deutschland ist der Absatzweg Metzger im Südwesten noch bedeutend. Die MBW schätzt den Mengenanteil auf etwa ein Drittel der im Südwesten geschlachteten Schweine. Die Zahl ist nicht mit der Herkunft Baden-Württemberg gleichzusetzen. Auch die Metzger kaufen längst nicht mehr alle Schlachttiere ab Hof.

Zwei Drittel der hiesigen Schlachtschweine finden laut Marketinggesellschaft MBW ihre Käufer über den Schlachttierhandel, über Versandschlachtereien oder Fleischwarenfabriken. Diese Käufergruppe bevorzugt die Herkunft Deutschland. Bei den Großschlächtern spielt die regionale Herkunft dennoch eine gewisse Rolle im Sortiment.

QZBW – Bremse oder Chance

Auf die Frage nach dem Markt für Schweinefleisch aus Baden-Württemberg antwortet Ulmerfleisch-Geschäftsführer Rolf Michelberger mit einem klaren Ja. Das Unternehmen schlachtet in Ulm 15.000 Schweine in der Woche. Acht Prozent entfallen auf Schweine mit dem Qualitätszeichen Baden-Württemberg (QZBW) einschließlich des Regionalfensters. Die Schlachtmenge ist stabil. Ob der Markt für Schweinefleisch mit dem Landeszeichen wachsen kann, ist laut Michelberger offen.

Dürfen QZBW-Schweine künftig nur noch gentechnisch nicht veränderte Sojabohnen (GVO-frei) fressen, stellt sich die Frage, ob genügend dieser Sojabohnen zu vertretbaren Preisen zu haben sind. Die mögliche Kostensteigerung des Eiweißfutters schätzt er auf vier bis sechs Cent je Kilo Schlachtgewicht. An den Landwirten wird die regionale Schweinefleischerzeugung nicht scheitern, sagt der Schlachtexperte. Lässt sich die Ware kostendeckend erzeugen, finden sich genug Mäster.

Preisfrage

Eine ähnliche Meinung vertritt Dr. Rainer Pflugfelder. Nach Einschätzung des Geschäftsführers der Viehzentrale Südwest (VZ), Stuttgart, ist tatsächlich ein wachsender Bedarf für Schweinefleisch aus Baden-Württemberg zu spüren. Das Interesse größerer und kleinerer Lebensmittelketten gelangt über die Schlachtbetriebe an die Landwirtschaft. Im Grunde könne jeder Mäster im Land auf der Grundlage einer QS-Zertifizierung Schlachtschweine aus Baden-Württemberg erzeugen.

Entscheidend ist nicht die Erzeugung, sondern der Preis. Mehr Geld für regionale Erzeugung wäre wünschenswert, kommt aber meist nicht zustande, bedauert Pflugfelder. Schweinefleisch aus Baden-Württemberg mit dem Regionalfenster erziele als Eigenmarke im Einzelhandel lediglich einen Preisaufschlag von ein, zwei Cent je Kilo Schlachtgewicht.

Herbert Klein sieht „nur mit der Region eine Chance“ die Schweinefleischerzeugung in Baden-Württemberg zu halten. Der Geschäftsführer der Unabhängigen Erzeugergemeinschaft (UEG) Hohenlohe-Franken in Niederstetten setzt „seit zehn Jahren“ zusammen mit der Einzelhandelskette Edeka und Metzgern auf den regionalen Schweinefleischabsatz. Für die Absatzsicherheit regionaler Markenfleischprogramme arbeitet die UEG auch mit Wettbewerbern zusammen.

Ignoranz

Die UEG stellt gemeinsam mit der VZ 70 Prozent der Schlachttiere des Markenfleischprogramms Gutfleisch. Herbert Klein bemängelt ebenfalls, dass die regionale Erzeugung zu wenig honoriert wird. Richtig wütend macht ihn die Ignoranz der Wertschöpfungskette Fleisch, die es nicht schafft, allen Bauern, die für die Initiative Tierwohl investierten und ihre Höfe anmeldeten, den Tierwohl-Bonus zu gewähren: „Das ist ein Armutszeugnis.“

Landwirt Rainer Müller hat den Glauben an die Verbraucher noch nicht verloren. Gelingt es, Schweine nur mit heimischem Getreide und Eiweiß zu füttern, meint er zuversichtlich, könnte Schweinefleisch komplett aus heimischen Rohstoffen erzeugt werden. Dann könnten die Konsumenten mit bestem Gewissen ihr Fleisch beim Metzger kaufen.

 

Mehr zum Thema:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren
Ort ändern

Geben Sie die Postleitzahl Ihres Orts ein.