Haltungsformen: Kraftakt für die Milchbranche
„Immer höhere Auflagen – stark schwankende Preise: Welche Herausforderungen gilt es für die Milchwirtschaft zu bewältigen?“ Darum ging es auf der Fachtagung zur Milch am 16. Februar in Neufra bei Riedlingen. Eingeladen in die Donauhalle hatte der Landesbauernverband gemeinsam mit den Bauernverbänden vor Ort Biberach-Sigmaringen, Ulm-Ehingen, Allgäu-Oberschwaben und Reutlingen.
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Nach der Begrüßung durch LBV-Vizepräsidentin Rosi Geyer-Fäßler sprach als erster Redner Carsten Hümmer von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf über die Zukunftsperspektiven zum Milchstandort Deutschland. Grundlage seines Vortrags ist eine Studie „Perspektiven der Milchproduktion und -verarbeitung in Deutschland bis 2030“, die unter Federführung von Professor Dr. Johannes Holzner am Institut für Angewandte landwirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensplanung an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf durchgeführt und im November 2022 erstmals vorgestellt wurde. Finanziell unterstützt wurde sie vom Deutschen Bauernverband, vom Deutschen Raiffeisenverband und vom Milchindustrieverband. Grundlage der Studie sind die sechs Einflussfaktoren Haltungsmanagement, Nährstoffmanagement, Gesundheitsmanagement, LEH und Markt, Klima und Moorflächen sowie Alternative Proteine.
Milcherzeugung ist gefährdet
Als Schlussfolgerung der Studie und als Botschaft an die Politik warnen die Autoren vor einem Einbruch der Milcherzeugung. Denn nach ihren Ergebnissen fallen die Aussichten für die meisten der sechs Einflussfaktoren, was die Anzahl der Betriebe, Anzahl der Kühe und Milchmenge betreffen, eher negativ aus. Mit dem Referenzzeitpunkt von 2015 ist die Zahl der Betriebe stark zurückgegangen auf rund 53.000 im Jahr 2022. Eine Trendumkehr sei nicht in Sicht. Die Zahl der Milchkühe sinkt weniger stark, aber auch sie ist rückläufig. Die Milchmenge blieb zwar vergleichsweise stabil, es gab Jahre mit mehr Milch und welche mit weniger Milch, tendenziell jedoch würde auch hier mit eher sinkenden Mengen gerechnet, so die Prognose.
Die Handlungsempfehlung aus der Studie an die Politik lautet:
- Unterstützt das privatwirtschaftlich aufgebaute System der Haltungsstufen und baut nicht parallel noch ein neues System auf.
- Erhaltet die Kombihaltung als Option.
- Unterstützt Betriebe, die umbauen wollen.
- Schaut beim Nährstoffmanagement auf das Verursacherprinzip.
- Unterstützt aktiv und fördert das Gesundheitsmanagement.
- Schaut beim Klima auf den internationalen Einfluss.
Chancen beim Gesundheitsmanagement
Im Gesundheitsmanagement sehen die Autoren Chancen durch Digitalisierung und einer besseren Diagnose und Vorsorge. So hätten die Tierhalter in Deutschland ihre Antibiotikaeinsätze bereits deutlich reduziert, um 70 Prozent in elf Jahren. „Das ist eine Erfolgsgeschichte“, lobte Hümmer.
Kombihaltung unbedingt weiter erlauben
Für die Anbindehaltung, bei der rund 75 Prozent aller Anbindehaltungsbetriebe in Bayern und Baden-Württemberg liegen, sehe die politische Zukunft düster aus. Um hier einen Strukturbruch zu verhindern, wird dringend empfohlen, die Kombihaltung weiterhin zu erlauben. Eventuelle Umbaukosten der Ställe auf Haltungsstufe 3 (HF3) würden die Betriebe nach den Berechnungen aus dem Jahr 2022 schwer belasten, um mindestens 6 bis 13 Cent pro kg Milch, je nach betrieblicher Ausganslage. Inzwischen haben sich die Baukosten nochmals deutlich erhöht. Hümmer bezweifelt, dass sich diese Kosten über den Milchpreis wieder reinholen lassen. Auch in der Diskussionsrunde wurde deutlich, dass beim Umbau der Ställe für Haltungsstufe 3 noch viel zu tun sei. „Deutschlandweit schaffen wir die Frischmilch für den LEH aus HF3, aber diese Milch kommt noch verstärkt aus dem Norden und weniger aus dem Süden. Dieser Tatsche müssen wir ins Auge sehen“, hieß es. Auch über die Düngeverordnung liegen die Mehrbelastungen laut Hümmer je nach Betrieb bei 50 bis 150 Euro pro Hektar.
Investiert wird nur verhalten
Diese Kostenexplosion dürfte mit ein Grund dafür sein, dass zuletzt nur noch wenig neu gebaut wurde, was in der anschließenden Diskussionsrunde von Teilnehmern auch bestätigt wurde. Auch Julia Kehrle, Beraterin beim Rinderberatungsdienst Ravensburg, erlebt ein schwaches Investitionsverhalten: „Aktuell haben wir im Beratungsdienst nur einen einzigen Neubau. Das ist sehr wenig. Alles andere geht in Richtung Umbau, aber auch hier fällt die Anzahl der Maßnahmen derzeit eher verhalten aus.“ Denn selbst ein Umbau sei häufig finanziell nur noch schwer zu stemmen.
Haltungsstufen eins bis vier
Carsten Hümmer begrüßte grundsätzlich die Einteilung der Tierhaltung in die vier Haltungsstufen (1 bis 4), wie sie der Handel und die Initiative Tierwohl auf den Weg gebracht haben. Mitte 2022 gab es noch 22 verschiedene Tierwohllabel von 14 verschiedenen Institutionen. „Ein Label-Dschungel, in dem auch wir als Experten schon nicht mehr durchblicken“, so Hümmer. Dass neuerdings auch im Handel noch eine fünfte Haltungsstufe (Bio) über das staatliche Tierwohllabel kommen soll, zeige allerdings, dass eine echte Planungssicherheit für den Milchviehbereich weiter auf sich warten lässt, so der Wissenschaftler. Doch wie ist die Spirale aus immer mehr Forderungen und Auflagen von Seiten des Handels zu durchbrechen? „Ich denke, wir müssen wieder auf ein normales Maß runterkommen“, hieß es in der Diskussion. Laut Hümmer sei es für die Landwirtschaft kaum möglich, die Verkaufsstrategien des Handels zu beeinflussen. Aber: „Ich bin froh, dass wir hier eine gewisse Konsolidierung sehen. Es bleibt zu hoffen, dass uns die staatlich Tierhaltungskennzeichnung nicht nochmals ein neues System überstülpt, sondern dass es konform mit dem Handel läuft. „Bitte nichts komplett Neues“, so Hümmer. Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und weitere Milchpreisschwankungen jedenfalls haben bis zuletzt die Planungssicherheit für Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette weiter geschwächt.
Klimabilanzierung noch uneinheitlich
Was zudem auf die Milchviehbetriebe zukommt, ist eine Klimabilanzierung. „Wir brauchen hier eine klare Richtlinie, ähnlich wie QM++, damit alle wissen, woran sie sind“, hieß es auch von Molkereiseite in der Diskussionsrunde. „Das Problem ist, dass hier jeder noch sein eigenes Süppchen kocht. Es ist eine große Gemengelage von unterschiedlichen Berechnungsvarianten und keiner weiß, ob er alles richtig gemacht hat“, so Hümmer. Zudem komme es bei den Berechnungen sehr darauf an, wie die Kuh gefüttert wird. Möglichst viel Milch aus dem Grundfutter ist auch fürs Klima das oberste Gebot. „Und: Wir plädieren dafür, dass man die Klimafrage in der Milch global betrachten sollte. Denn wir sollten in Deutschland nicht aus Klimagründen auf eine Milchproduktion verzichten“, so Hümmer. Schließlich gebe es hierzulande viele Gunststandorte, auf denen sich hocheffizient Milch erzeugen lässt. „Falls wir eine Nutzungseinschränkung auf Moorflächen bekommen, dann haben wir mit der Tierhaltung ein Problem. Weil es gerade auf den Moorstandorten viel Tierhaltung gibt“, warnte Hümmer. Wie in der Diskussion deutlich wurde, lässt sich der CO2-Fussabdruck einer Kuh nur mit einer extensiven Wirtschaftsweise allein noch nicht verbessern. Stattdessen sind Hochleistungskühe pro Kilo erzeugter Milch effizienter, selbst wenn sie absolut betrachtet mehr CO2 ausstoßen als nur mit Gras gefütterte Tiere.
Milchalternativen
Milchersatzprodukten auf pflanzlicher Basis, wie Hafer- oder Sojadrinks, steht der Wissenschaftler eher gelassen gegenüber. Der Umsatz mit Milchersatzprodukten lag 2022 bei 0,7 Mrd. Euro. Der Umsatz der gesamten Milchbranche erreichte dagegen 37,3 Mrd. Euro. Demnach liegen die Milchersatzprodukte noch meilenweit vom Gesamtumsatz der Branche entfernt. Zu einer echten Gefahr für die Milcherzeugung könnten Zellkulturen und/oder die Präzisionsfermentation werden. Bei diesen Verfahren, mit denen naturidentische Milchproteine entwickelt werden, wird die Kuhmilch komplett ersetzt. Technisch sei dies anspruchsvoll, längst noch nicht ausgereift, aber machbar.
Molkerei stellt Geschäftsmodell vor
Als zweiter Redner sprach Jörg van Loock. Der langjährige Manager bei Arla Foods ist seit fünf Jahren Geschäftsführer beim Milchwerk Bad Wörishofen, das zusammen mit dem Käseverarbeiter Sengele im Elsass zur belgischen Vache Bleue Gruppe gehört. „Wir waren überzeugt, dass Bad Wörishofen von allen Molkereien der damaligen Allgäuland-Käsereien am besten aufgestellt war. Davon profitieren wir heute noch“, erzählt van Loock. Die Übernahme der Allgäuland Käsereien durch Arla erfolgte 2011 bis dann im Jahr 2019 der belgische Käseverarbeiter Vache Bleue SA das Werk in Wörishofen übernimmt und die Milchwerk Bad Wörishofen GmbH gründet.
Emmentalerkäse für Frankreich und Belgien
In Bad Wörishofen wird Emmentaler Käse in Blockware hergestellt. Der Käse wird überwiegend über die Partnerbetriebe in Frankreich (Vertrieb: Gastrobereich) und in Belgien (Einzelhandel) verkauft. Die bei der Produktion anfallenden Nebenprodukte Molkekonzentrat und Rahm werden in Deutschland an andere Verarbeiter weiterverkauft. Der Jahresumsatz mit 65 Mitarbeitern und 181 Mio. kg Milch verarbeiteter Milch liegt bei rund 110 Mio. Euro. „Da sind wir sehr effizient aufgestellt“, findet van Loock. Dies sei dann auch der Grund dafür, warum man einen stabilen Auszahlungspreis auf einem vergleichbar hohen Niveau zahlen könne. „Bei uns liegt die Differenzierung nicht bei den Produkten, sondern in den Märkten“, erläutert van Loock. 88 Prozent der angelieferten Milch sind VLOG-Milch, zwölf Prozent Biomilch.
Absatz ist gesichert
Der Absatz des Käses sei gesichert. Die Schwesterunternehmen würden mehr Emmentaler brauchen, als man in Bad Wörishofen herstellen kann. Und: „Wenn wir Märkte finden, in denen wir unseren Emmentaler noch höherpreisiger verkaufen können, als ihn die Kollegen in Belgien oder Frankreich zukaufen, dann machen wir das, weil es für die gesamte Gruppe einen Mehrwert bringt“, so van Loock. Vielversprechend sei auch der Markt in Italien.
Über die Hälfte der Milch aus Baden-Württemberg
Van Loock verhehlt nicht, dass es für das Milchwerk alles andere als einfach war, genügend Rohstoff zu bekommen. „Wir haben rund 40 Molkereien um uns herum und da war es schwierig nach dem Eigentümerwechsel neue Landwirte zu bekommen. Das war nicht selbstverständlich“, so der Geschäftsführer. Über die Hälfte der Milch kommt aus Baden-Württemberg von der Milchkooperation Süd, der Milchwirtschaftliche Beteiligungs-AG (MWB), der MEG Langenau w.V. sowie der MEG Milchland Ba-Wü w.V.. Künftig soll noch weitere Milch aus dem Schwarzwald dazukommen.
Weniger Marktdruck
„Wir sind glücklich, nicht jede deutsche Diskussion mitmachen zu müssen. In Frankreich und Belgien werde ich zum deutschen Tierwohl nicht gefragt. Deswegen halten wir uns da ein Stück weit raus, immer mit dem komischen Bauchgefühl, dass wir auch davon betroffen sein werden, wenn andere Molkereien hierfür mehr auszahlen. Dann sind auch wir gezwungen, da mitzuziehen“, so van Loock.
Hohe Transportkosten
Insgesamt sei man in Bad Wörishofen einigermaßen glimpflich durch die vergangenen Krisenjahre gekommen. Allein durch die Erhöhung der Lkw-Maut allerdings hätten sich die Kosten fürs Milchwerk in Bad Wörishofen kurzerhand verdoppelt. Neben den höheren Kosten sind die langen Transportwege auch für die Umwelt schädlich, räumte van Loock ein und meinte mit Blick auf das weitverbreitete Umherfahren der Milch: „Wir fahren durch jedes Dorf mit fünf verschiedenen Lkws um Milch abzuholen. Das nervt mich genauso, aber ich kann mich dem nicht entziehen. Die Weitergabe der Kosten ist auf jeden Fall schwierig.“ Wie Hümmer warnte auch van Loock vor neuen Milchalternativen: „Wenn das mit den naturidentischen Proteinen funktioniert, dann sind das keine Produkte zweiter Klasse mehr. Die schmecken genauso so gut wie unsere Produkte. Da kommt noch was auf uns zu.“
Wo der Schuh drückt
Der dritte Vortrag auf der Tagung stand unter der Überschrift: „Wo drückt der Schuh in den Betrieben? Julia Kehrle vom Landwirtschaftlichen Beratungsdienst Ravensburg erläuterte, dass es derzeit an vielen Stellen klemmt. „Die Lage ist unübersichtlich“, sagt sie. Eine Herausforderung sieht sie in erster Linie darin, die knappe Zeit bestmöglich zu nutzen. „Wie kann ich mich aufstellen, dass ich genügend Zeit für mich habe, für meine Familie, für meine Freunde und für meine Hobbies? Wenn die sozialen Kontakte wegbrechen, fehlt viel. Diese Kontakte sind wichtig“, betonte Kehrle und gab zu bedenken: „Weitere Wachstumsschritte sollten gut überlegt sein. Wenn ich immer größer werde, wer macht dann die Arbeit? Wer steht hinter mir?“
Wo sich die Zeitfresser verstecken
„Täglich erreichen uns Anrufe wegen der Stilllegung. Es gibt Fragen zur Erosionskulisse, zu den Anforderungen zum Tierwohl, zur Umwelt“, berichtet Kehrle. Die Tierarzneimittel müssen dokumentiert werden. Der FAKT-Förderantrag ist gerade abgeschlossen und schon geht es mit dem Gemeinsamen Antrag weiter. „Wir müssen immer mehr dokumentieren und Daten bereitstellen“, so Kehrle.
Überforderung vielerorts
Zudem erleben viele Betriebe eine zunehmende Entfremdung von der Gesellschaft und auch die finanziellen Unsicherheiten nehmen zu. „Es gab gute Milchpreise, aber das Milchgeld war dann auch schnell wieder ausgegeben. Die Gefahr, dass die Liquidität unter die Räder gerät, ist groß“, so Kehrle. Bei einer unsicheren politischen Lage und einer schlechten Informationsgrundlage könne man auf die ständigen Veränderungen nicht mehr schnell genug reagieren. „Wenn zum Beispiel jetzt die Stilllegung ausgesetzt wird, dann hätten wir das eigentlich schon im vergangenen Herbst wissen müssen“, so Kehrle. Und: „Wir haben übers Handy eine Informationsflut, die wir nicht richtig filtern können.“
Weniger anfällig – Aufgaben auslagern
Neben diesen äußeren Bedingungen gibt es jede Menge „innere Zeitfresser“, auf die man selbst direkt Einfluss hat. Ziel muss es sein, Stall und Feld gut zu machen und gleichzeitig die Familie nicht aus dem Blick zu verlieren. Kann ich Aufgaben an Dritte abgeben? Falls ja, an wen: innerhalb der Familie, an Fremd-AK oder an den Lohnunternehmer, an den Besamungstechniker, an den Klauenpfleger, den Steuer- oder Bankberater?
Abläufe optimieren
Zuständigkeiten gilt es klar abzugrenzen und die Aufgaben zu definieren. Was ist zu tun? Dazu gehört auch, dass Arbeitsprozesse strukturiert und standardisiert werden und Aufgaben aufeinander abgestimmt und klar kommuniziert werden. Zudem muss man die Mitarbeiter an seinen Gedanken teilhaben lassen, damit sie sich drauf einstellen können. „Wenn man am Wochenende silieren will, sollte man das Anfang der Woche schon mal ansprechen, dass sich alle drauf einstellen können“, so Kehrle.
Digitale Helfer
Was hilft, ist ein fester Wochenplan. Auch die Wochenendschichten lassen sich vorbereiten. Digitale Helfer wie ein Herdenmanagement-Programm, Systeme zur Tierüberwachung oder eine Ackerschlagkartei erleichtern die Dokumentation erheblich. Mittlerweile gibt es viele Anwendungen auch als App. „Bei manchen Betrieben funktioniert das super. Allerdings muss man diese nutzen und pflegen. Sonst können solche Apps auch zu einem Zeitfresser werden“, so Kehrle.
Fazit: Definieren Sie Ihre privaten und betrieblichen Ziele für sich und Ihre Familie. Nehmen Sie sich Zeit, für die Dinge, die Ihnen wichtig sind.
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