Die Rauhhaut ist ein echtes Rauhbein
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Sie wiegt weniger als ein Lippenstift und würde mit ausgebreiteten Flügeln nicht an die Wände eines Ofenrohrs stoßen: Die „Rauhaut“, wie Naturschützer sie zärtlich nennen, gehört zu den Winzlingen unter den gut 20 einheimischen Fledermausarten – und ist jetzt ganz groß herausgekommen: Bei der ersten Wahl einer „Fledermaus des Jahres“ hat sich die europäische Fledermausschutzorganisation BatLife Europe für sie entschieden. Als Stellvertreterin dieser Tiergruppe soll sie auf Gefahren aufmerksam machen, denen alle europäischen Fledermäuse ausgesetzt sind.
Dabei ist die Rauhhautfledermaus trotz ihrer geringen Größe kein Hänfling, sondern verfügt über beachtliche Nehmerqualitäten. So ist sie eine von drei heimischen Arten, die zwischen ihren Sommer- und Winterquartieren zum Teil gewaltige Entfernungen zurücklegt. Mehr als 1000 Kilometer sind keine Seltenheit: „Den bisher bekannten Rekord hält ein Tier, das die fast 2000 Kilometer lange Strecke zwischen Lettland und Südfrankreich innerhalb weniger Tage zurückgelegt hat“, sagt Ingrid Kaipf, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg (AGF) in Tübingen. Das ist umso erstaunlicher, als der Flug für die Tiere äußerst energiezehrend ist. Entsprechend groß ist ihr Appetit: Bis zur Hälfte ihres Körpergewichts an Insekten verleibt sich die Fledermaus im Laufe einer Nacht ein – ein Großteil hiervon die für uns Menschen lästigen Stechmücken.
Auch im Winterquartier liebt es die „Rauhhaut“ spartanisch – außer in den Zwischenräumen von Holzstapeln verbringt sie die kalte Jahreszeit auch in Baumhöhlen oder in den Fugen alter Gemäuer – Orte, an denen die Temperatur schon mal empfindlich in den Minusbereich abrutschen kann.
Freilich hat der Name der Rauhhautfledermaus nichts mit ihrem Hang zum Robusten zu tun, sondern verweist auf die Behaarung ihrer Schwanzflughaut, die sie neben der helleren Färbung ihres Fells von der sehr ähnlichen aber noch etwas kleineren Zwergfledermaus unterscheidet.
Und ihre relative Robustheit schützt die Rauhhautfledermaus auch nicht gegen Gefahren. Im Gegenteil: Wenn die Tiere jetzt erwachen und sich auf die lange Reise nach Norden und Nordosten machen, dürften wieder viele von ihnen an Windkraftanlagen verunglücken. „Neben dem Kleinen und dem Großen Abendsegler gehört die wandernde Rauhhautfledermaus zu den Hauptopfern an Windrädern“, so Ingrid Kaipf. Die AGF und andere Naturschutzorganisationen setzen sich deshalb dafür ein, beim Bau solcher Anlagen genau zu prüfen, ob sie auf einer Fledermaus-Zugroute stehen und gegebenenfalls einen anderen Standort zu wählen. Viele Fledermäuse können auch gerettet werden, wenn den Betreibern vorgeschrieben wird, ihre Anlagen während der Hauptaktivität der Tiere abzuschalten.
Zumindest dafür, dass die Fledermaus des Jahres 2015 daheim etwas sicherer lebt, könne jeder etwas tun, sagt Ingrid Kaipf. „Wer Fledermäuse in Dachspalten oder am Haus hat, darf sich freuen, dass sich die streng geschützten Tiere bei ihm wohl fühlen.“ Mit Fledermauskästen, die man im Handel kaufen oder mit wenig Aufwand selbst bauen kann, lassen sich sogar neue Quartiere schaffen. Muss ein von Fledermäusen mitbewohntes Haus einmal renoviert werden, dann helfen die Naturschutzbehörde und ehrenamtliche Fledermausschützer gerne, eine Lösung zu finden, die sowohl den Besitzer als auch seine nachtaktiven Untermieter zufriedenstellt. Und wenn wir Feuerholz vom Stapel holen, sollten wir aufpassen, dass wir eventuell noch darin schlafende Rauhautfledermäuse nicht verletzen. Entdecken wir ein Tier, lässt sich dieses sanft mit Hilfe eines Handschuhs umbetten – oder wir holen uns Rat vom Fledermausnotruf der AGF.
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