Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Lebensgeschichten

Mit dem Milchauto zur Entbindung

Romilda Radina aus Unterfranken hatte ein bewegtes Leben mit vielen Höhen und Tiefen. Ihr Sohn Richard hat dies in einem kleinen Buch zusammengefasst.

von Josef Kleinhenz erschienen am 09.12.2024
Romilda Radina in jungen Jahren. © Kleinhenz/Richard Radina
Artikel teilen:

Wenn Richard Radina seine Mutter Romilda mit einem Satz beschreiben sollte, so würde er sagen: „Gute Menschen sind wie Sterne; sie leuchten noch, obwohl sie längst schon erloschen sind.“ Sie war für ihn und seine Geschwister eine herzensgute Mutter, sie opferte sich auf und setzte sich in schwerer Zeit mit allen Kräften für die Familie ein, damit sie überleben konnte. In Radinas Buch „Romilda – oder das Leben meiner Mutter“ beschreibt er ihr bewegtes Leben.

Romilda Seit wurde am 25. April 1899 im unterfränkischen Althausen (Landkreis Bad Kissigen) geboren. Schon früh lernte sie den Ernst des Lebens kennen, denn die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen und es musste an allen Ecken und Enden gespart werden – auch am Essen. Weil die Versorgung von fünf Kindern schwierig war, musste die fünfjährige Romilda im Winter 1904 ihre Sachen packen, um bei ihrer Tante im 15 Kilometer entfernten Kleinbardorf zu leben. Alleine und zu Fuß lief sie die lange Strecke, sie sollte nur den Telefonmasten folgen. Was heute unvorstellbar ist, war zur damaligen Zeit nicht unüblich.

„Dort hatte sie aber wenigstens ein richtiges Bett und ein Zimmer, wenn auch ungeheizt“, schreibt Radina und fährt fort: „Es war nicht unter dem Ziegeldach und die Zudecke nicht mit Lumpen ausgestopft, sondern mit Bettfedern. In ihrem Herkunftsort Althausen sei das Bett unter einem mit Hohlziegeln gedeckten Dach gewesen, durch die in kalter Jahreszeit der Wind den Schnee trieb. Abends beim Zubettgehen musste Romilda immer erst die weißen Flocken abschütteln.“

Als Magd in der Mühle

Mit Kleinbardorf freundete sich Romilda an. Sie lebte sich ein, half hier und da mit, Freundschaften entstanden. Nachdem sie mit 14 Jahren ihre Schulzeit beendet hatte, arbeitete sie als Magd in der Burdians-Mühle bei Althausen. Sie hatte Glück, denn die Müllersfamilie war sehr herzlich und nahm Romilda in ihren Familienkreis auf.

Der Buchautor weiter: Außer den Pferden gab es dort Kühe und Rinder sowie einige Ziegen zu versorgen. Teil der Arbeit war auch, brünstige Geißen zum Bock des nächstgelegenen Ziegenzuchtvereins zu bringen. Die Tätigkeit war ihr recht verhasst, weil der Bock einen „bestialischen Gestank“ verströmte. Nach getaner Arbeit trat sie immer schnell wieder den Heimweg an. Ebenso versorgte Romilda regelmäßig die Kühe. Radina erinnert sich an eine Geschichte, die seine Mutter immer mit großem Lachen erzählte: In der Nacht war ein Kalb zur Welt gekommen und Romilda sollte am frühen Morgen die Mutterkuh ausreichend mit Heu versorgen. Doch als sie sich in der Scheune einen Arm voll Heu zurechtmachte, griff sie plötzlich anstatt ins trockene Heu an ein Männerbein. Erschrocken ließ sie alles fallen und rannte davon. Ein durchs Land ziehender Handwerksgeselle hatte sich die Scheune als Übernachtungsmöglichkeit ausgesucht.

1931 gab es im Leben von Romilda eine Wende. Sie wurde von der Mühle in dringender Eile in die Familie Radina nach Großbardorf gerufen. Dort erwartete sie ein trauernder und überforderter Mann, der seine Frau nach der Geburt des vierten Kindes im Kindsbett verloren hatte. Die damals 32-Jährige und der Witwer Richard Radina (gleichnamig mit dem Buchautor) waren sich sympathisch, sie begegneten sich auf Augenhöhe. Aus der anfangs reinen Zweckgemeinschaft wurde mehr und schließlich heirateten sie. Vier Kindern schenkte Romilda das Leben.

Vom Krieg gebeutelt

Doch es dauerte nicht lange, als die Familie wieder von Schmerz und Trauer heimgesucht wurde. Richard Radina sen. hatte am Polen-Feldzug teilgenommen, erkrankte und musste bereits 47-jährig sterben. Schon vier Wochen danach verstarb Richards Halbbruder Paul im Alter von 16 Jahren an Herzversagen.

Doch Freud und Leid liegen bekanntlich oft eng beieinander: Romilda war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger. Als sich die Geburt ankündigte, war niemand da, um sie zur Entbindung nach Königshofen ins Krankenhaus zu fahren. In ihrer Not bat Romilda den Milchautofahrer, sie in die Kreisstadt mitzunehmen. Noch im Oktober 1941, sieben Monate nach dem Tod seines Vaters, kam Sohn Richard junior zur Welt.

Nach einem arbeitsreichen Leben starb Romilda am 3. Oktober 1984. Sie wurde 85 Jahre alt. Um sie in lebendiger Erinnerung zu behalten, befasste sich Radina intensiv mit der Familiengeschichte. Erinnerungen und Erzählungen seiner Mutter schrieb er auf, recherchierte in der Familie, sammelte alles, was mit der Familiengeschichte zu tun hatte. Die Idee zum Buch entzündete sich, nachdem seine älteste Tochter Maria seine handschriftlichen Notizen heimlich in ein lesbares Manuskript übertragen und ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Richard Radina verfasste daraufhin eine Lebensgeschichte gegen das Vergessen.

Für Buchbestellungen: Richard Radina, „Romilda – oder das Leben meiner Mutter“, Telefon 09773/755.

Mehr zum Thema:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren
Ort ändern

Geben Sie die Postleitzahl Ihres Orts ein.