Sonnenstrom über Obstbäumen
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat zusammen mit Hubert Bernhard auf dessen Obsthof in Kressbronn am Bodensee eine Agri-PV-Anlage in Betrieb genommen. Dabei handelt es sich deutschlandweit um die erste Installation über einer bereits bestehenden Obstplantage. Das Pilotprojekt zählt zu den fünf Anlagen der Modellregionen Agri-Fotovoltaik Baden-Württemberg, die das Land mit 2,5 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren fördert.
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Der erste Strom fließt. Das belegt das rhythmische Klicken der in jeder Reihe angebrachten Wechselrichter. Bei Hubert Bernhard zaubern die leisen Töne ein Lächeln ins Gesicht. Hinter dem Obstbauer aus Kressbronn liegen anstrengende und manchmal auch nervenaufreibende Tage und Wochen, sollte die Agri-PV-Anlage doch unbedingt am Tag des Besuchs des baden-württembergischen Ministerpräsidenten in Betrieb gehen. Sicher war das nicht, denn Lieferkettenengpässe haben den Zeitplan für die Montage der Module in Bedrängnis gebracht. Am Ende hat es doch noch geklappt.
Zwei lichtdurchlässige Module im Test
Die 400.000 Euro teure Anlage, die zur Hälfte durch das Land gefördert wurde, überspannt eine Fläche von 0,4 Hektar über achtjährigen Apfelbäumen der Sorte Gala mit einer installierten Leistung von 232 kWp. „Damit können rechnerisch rund 65 Haushalte in Kressbronn versorgt werden“, freut sich Bernhard. Getestet werden zwei verschiedene lichtdurchlässige Module: die einen mit einer Transparenz von 40 Prozent, die anderen mit 51 Prozent. Durch die Installation auf einer bestehenden Obstkultur erhoffen sich Bernhard und das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee, das das Projekt wissenschaftlich begleitet, schneller belastbare Ergebnisse. „Dieses Modell passt gut nach Baden-Württemberg. Denn wo ‚The Land‘ ist, da ist vorn“, erklärt der Obstbauer bei der Eröffnung in Anspielung auf die Werbekampagne des Landes, wobei er verschmitzt in Richtung des Ministerpräsidenten lächelt.
Doch noch sind viele Fragen offen. Etwa die, wie sich die verringerte Lichtdurchlässigkeit auf die Bäume, auf deren Ertrag und vor alle auf die Ausfärbung der Äpfel auswirkt. Geklärt werden soll auch, ob die Solarpanelen die Schutzfunktion eines Hagelnetzes übernehmen können, um die Kultur vor Hagel und Starkregen abzuschirmen. Ferner geht es um die Frage, ob die Abdeckung die Bäume so gut vor Nässe schützt, dass Pflanzenschutzmittel eingespart werden können. Umgekehrt gilt es zu klären, wie die Bewirtschaftung der Anlage sich auf PV-Module auswirkt, ob beispielsweise Pflanzenschutzmittel zu Verschmutzungen führen, die die Stromproduktion vermindern.
All die Fragen schiebt Hubert Bernhard am Eröffnungstag aber erst einmal beiseite. Wie stark ihn das Projekt umgetrieben hat und wie sehr er sich nun über dessen Fertigstellung freut, macht sein Rückblick deutlich. Ausgangspunkt war das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ im Jahr 2019. Hätte es Erfolg gehabt, hätte es für den Obsthof Bernhard kaum mehr Zukunftsperspektiven gegeben, da 90 Prozent der Anbaufläche im Landschaftsschutzgebiet liegen. Auf der Suche nach Alternativen rückte die Agri-Fotovoltaik in den Fokus. Nicht ganz von ungefähr, da Hubert Bernhard bereits auf den Dächern seiner Wirtschaftsgebäude Sonnenstrom erzeugt.
Doppelnutzung als große Chance
Nach langer Planungsphase, die mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden war, was die Konzeption, Ausführung und bürokratische Hindernisse betrifft, startete Ende Februar die Montage des stählernen Gerüsts. In den letzten Tagen wurden darauf nun die Solarmodule montiert, die die Energie der Sonne einfangen. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, sieht der Obstbaumeister eine Riesenchance in der Doppelnutzung der Fläche. Dies könne, so hofft er, den Betrieben eine zusätzliche Einkommensquelle bieten, was insbesondere für Hofnachfolger wichtig ist. Ebenso ein Anliegen ist ihm, dass die Wertschöpfung aus der Agri-PV in der Landwirtschaft bleibt. „Wir brauchen die notwendige Infrastruktur und die rechtlichen Voraussetzungen, um bei der Energiewende mitwirken zu können“, appelliert er an die Politik und Netzbetreiber, Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Pioniertag für das Land
Sichtlich angetan zeigte sich auch Baden-Württembergs Ministerpräsident von der Pilotanlage in Kressbronn. „Eine Solaranlage über sonnengereiften Äpfeln – mehr Symbolik geht nicht“, meinte Kretschmann. Auch er sieht in der Agri-Fotovoltaik eine große Chance für die Landwirtschaft, für die Nachhaltigkeit und für die Energieversorgung. Die Eröffnung der Anlage in Kressbronn markiere einen Meilenstein und knüpfe an den Pioniergeist, der das Land stark gemacht habe, an. Wer den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen wolle, dürfe nicht nur das fortschreiben, was bereits vorhanden sei, sondern müsse neue Ideen umsetzen. Bei aller Bedrücktheit angesichts des Krieges in der Ukraine dürfe man sich aber freuen, dass solche Innovationen möglich seien. „Es ist ein Pioniertag“, betonte der Ministerpräsident.
„Agri-PV ist prädestiniert für Obstkulturen, da immer mehr Anlagen bereits im geschützten Anbau bewirtschaftet werden“, erklärte Dr. Ulrich Mayr. Der stellvertretende Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB) in Bavendorf betreut mit seinem Team die Anlage in Kressbronn unter wissenschaftlichen Aspekten mit. Zusammen mit der Anlage am KOB, die über neuen Apfelbäumen gepflanzt wurde, könnten nun zeitgleich Ergebnisse als Alt- und Neuanlagen erfasst werden.
Wie sinnvoll eine Doppelnutzung von Flächen ist, unterstrich auch Prof. Dr. Andreas Bett vom Fraunhofer Institut ISE in Freiburg, das die technische Seite des Projekts mitbegleitet. Um bei der Energiewende schneller voranzukommen, müssten bürokratische Hürden beseitigt werden. Außerdem brauche es Menschen wie Hubert Bernhard, die mit Power Ideen zur Agri-PV voranbrächten.
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