
Jeder Zehnte illegal getötet
In Deutschland werden seit dem Jahr 2006 Wölfe im Totfund-Monitoring am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung erfasst und obduziert. Mittlerweile 1000 Tiere – jeder zehnte Kadaver ist auf illegale Tötung zurückzuführen.
von Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) erschienen am 30.07.2024Nachdem vor rund 20 Jahren erstmalig Wölfe in Deutschland wieder heimisch wurden, begann das Leibniz-IZW den Gesundheitszustand und die Todesursachen der Wölfe zu untersuchen. Fast 20 Jahre lang durchlief jeder in Deutschland tot aufgefundene Wolf dieses „Totfundmonitoring“, um den Gesundheitszustand der sich etablierenden Population und die Todesursachen analysieren zu können. Waren es anfangs nur wenige Tiere, landet mittlerweile eine dreistellige Zahl an Wölfen pro Jahr auf dem Seziertisch der Wildtierpathologie im Leibniz-IZW. Mittlerweile sind es so viele, dass nur noch jeder zweite Wolf, der im Straßenverkehr zu Tode kam, untersucht werden kann. Mit dem neuesten Fall, einer aufgrund eines Verkehrsunfalls verstorbenen trächtigen Wölfin, sind es 1000 seit Beginn des Programms.
Die Wölfin starb aufgrund eines Verkehrsunfalls. „Dies ist mit Abstand die häufigste Todesursache. Unsere Daten zeigen, dass rund drei Viertel der toten Wölfe an einer Kollision im Verkehr sterben – zumeist mit Autos auf Landstraßen oder Autobahnen“, sagt Dr. Claudia Szentiks, verantwortliche Pathologin im Wolfsprojekt am Leibniz-IZW. Wölfe leben in großen Territorien, die in unserer Kulturlandschaft von zahlreichen Straßen und Bahntrassen durchzogen sind, welche die Tiere quasi täglich queren müssen. Besonders häufig sterben junge Wölfe im Straßenverkehr, die auf der Suche nach einem eigenen Territorium aus ihrem Elternrudel abwandern und durch für sie unbekannte Gebiete ziehen. „Zusätzlich zu den Verkehrstoten diagnostizieren wir auch immer wieder andere anthropogene Todesursachen“, so Szentiks.
illegale Bejagung
Etwa jeder zehnte eingelieferte Totfund sei illegal geschossen worden, so die Veterinärpathologin. „Tatsächlich finden wir sogar in 13,5 Prozent aller untersuchten Wölfe Hinweise auf eine Straftat wie zum Beispiel den illegalen Beschuss, wobei die Tiere nicht immer daran sterben.“ Die Zahlen zu den erfassten illegalen Tötungen von Wölfen zeigen, dass eine Bejagung des Wolfes seit dessen Rückkehr vor 25 Jahren schon immer, und zwar im Verborgenen, stattgefunden habe.
Weitaus seltener als direkt auf Menschen zurückzuführende Todesursachen sind natürliche Ursachen für den Tod der Wölfe, die im Leibniz-IZW untersucht werden. Unter den natürlichen Todesursachen finden sich in einem guten Drittel der Fälle Kämpfe mit anderen Wölfen, Magen-Darm-Rupturen (durch spitze Knochenfragmente aus der Nahrung), körperliche Auszehrungen oft in Verbindung mit Räudemilben-Infektionen, aber auch Infektionen mit Staupeviren, Parvoviren oder Adenoviren sowie Einzelfälle von Yersinien-, Listerien- und Rotlaufinfektionen. Oftmals werden auch Co-Infektionen verschiedener Erreger festgestellt. Erreger wie die Aujeszkysche Krankheit und Tollwut wurden hingegen bisher nicht nachgewiesen. Deutschland gilt zudem seit 2008 als frei von Tollwut. In Einzelfällen starben Wölfe auch an Verletzungen, die ihnen von ihren potenziellen Beutetieren, etwa von Wildschweinen, zugefügt wurden.
Invasive Arten als Nahrung
Die tote, trächtige Wölfin aus dem Leibniz-IZW gewährte noch einen weiteren Einblick: In ihrem Magen fand das Team eine trächtige Nutria (Myocastor coypus), eine ursprünglich aus Südamerika stammende, invasive Nagetierart. Dies zeige, dass die Wölfe hinsichtlich ihrer Nahrung eine gewisse Flexibilität aufweisen und zum Teil auch dazu beitragen, in die Bestände invasiver Arten einzugreifen. Die mit Abstand häufigste Nahrung sind jedoch heimische Rehe, Wildschweine, Rothirsche und Damhirsche, die über 90 Prozent ihrer Beute ausmachen, wie Nahrungsanalysen am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG) ergeben haben. Am SMNG werden die Ernährungsgewohnheiten der Wölfe anhand von Kotanalysen und der Untersuchung von Beutetierresten erforscht und das Alter von Wölfen anhand von Schädelmerkmalen bestimmt.
Nahrungsquelle Nutztierherde
„Unter der Nahrung der Wölfe befinden sich jedoch auch Nutztiere, in erster Linie Schafe oder Ziegen“, so Prof. Dr. Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-IZW. „Auch wenn dies mit 1,6 Prozent der Nahrung Ausnahmefälle sind, lässt sich ein Konflikt mit der Weidetierhaltung nicht wegdiskutieren und es müssen echte Lösungen gefunden werden. Im Leibniz-IZW haben wir in anderen Kontexten, beispielsweise im Konflikt zwischen Geparden und Rinderfarmern in Namibia, gelernt, wie wichtig dabei ein integrativer, kollaborativer Ansatz in der Lösungsfindung ist. Auf Basis wissenschaftlicher Daten und Erkenntnisse ist es dort gelungen, eine gemeinsame Perspektive mit den Beteiligten auf den Raubtier-Weidetierhalter-Konflikt zu entwickeln und alle Interessen zu berücksichtigen. Das muss auch hier in Deutschland mit dem Wolf gelingen.“
Das Leibniz-IZW ist mit der Erfassung des Gesundheitsstatus und der Analyse der Todesursachen der tot aufgefundenen Wölfe beauftragt und liefert Informationen zum eventuellen Auftreten relevanter Krankheiten wie Tollwut, Räude oder Staupe. Liegt eine illegale Tötung von Wölfen vor, übermittelt das Leibniz-IZW forensische Daten an Polizei und Staatsanwaltschaften, die Auskünfte zu den Todesursachen obliegt dabei stets den zuständigen Stellen in den Bundesländern.
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