Kastration: Vermarkter geben den Takt vor
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Die Lage ist brisant. Denn ab Januar 2017 will der Lebensmitteleinzelhandel nur noch Tiere, die nach dem neuen Tierschutzgesetz aufgezogen wurden – verpflichtend tritt das Gesetz erst ab 1. Januar 2019 in Kraft. Aldi Süd hat bereits klargestellt, ab Januar 2017 kein Fleisch mehr von kastrierten Tieren zu verkaufen. Nun stehen die Ferkelerzeuger im Land unter Zugzwang und fragen sich: Welches System passt auf meinen Betrieb und was sagt mein Vermarkter?
Künftig einfach nur noch weibliche Tiere mästen, ist für Kerstin Kipp vom Beratungsdienst keine Lösung. Wie die Leiterin der Veranstaltung gleich zu Beginn erläuterte, gibt es bei der aktuellen Diskussion um die Kastration im Prinzip zwei Ansätze: Bei dem einen Ansatz wird an der Kastration festgehalten (siehe unten Variante B) und versucht, die Schmerzen auszuschalten. Bei dem anderen Ansatz wird auf die Kastration komplett verzichtet (Varianten A und C).
Grundsätzlich gilt: Mit Schmerzmitteln allein hat man es bislang nicht geschafft, die Schmerzen, wie im neuen Gesetz vorgeschrieben, gänzlich auszuschalten. Das berichtete Martin Kreutzmann von der Firma Zoetis Deutschland GmbH in seinem Vortrag. Eine Injektionsspritze mit Metacam zum Beispiel, wie sie derzeit auf vielen Betriebe eingesetzt wird, reicht künftig nicht mehr aus. Ein eleganter Weg, bei dem schon im Vorfeld keine männlichen Tiere geboren würden, wäre das Spermasexing. Doch das lässt sich wohl in den nächsten zehn Jahren nicht realisieren, berichtete Hansjörg Schrade, Leiter der LSZ Boxberg. Was bleibt, sind die aktuell diskutierten Verfahren, die alle samt Vor- und Nachteile haben.
Das Impfen hat viele Vorteile
Beim Impfen gegen Ebergeruch mit Improvac (A) bleibt nach der Ablieferung der ersten Tiere an den Schlachthof ein Zeitfenster von etwa fünf Wochen, um die restlichen Tiere abzuliefern, so Kreutzmann. Es darf kein Tier später als zehn Wochen nach der zweiten Impfung den Schlachthof erreichen, sonst nimmt das Risiko der Geruchsauffälligkeit zu. Der Impfstoff wird mit einem Sicherheitsinjektor appliziert. „Eine unabsichtliche Injektion mit der auch der Anwender gefährdet werden könnte, ist so gut wie ausgeschlossen“, sagt Kreutzmann. Weitere Vorteile: Bei den geimpften Ebern ist am Schlachtband keine Geruchsprüfung erforderlich. Die Tiere weisen im Vergleich zu Kastraten eine bessere Futterverwertung mit hohen Zunahmen in der Endmast auf. Die Impfung hat keinerlei Hormonwirkung und auch keine pharmakologische Wirkung. Damit wird die Lebensmittelsicherheit nicht beeinträchtigt.
Improvac wird vom deutschen Markt noch nicht akzeptiert
Die ersten Länder, die die Improvac-Impfung seit 1998 erfolgreich einsetzen, sind Neuseeland und Australien. Breitflächig wird sie seit 2005 auch in Brasilien durchgeführt. In Europa ist sie seit 2009 zugelassen und kommt vor allem in Belgien zum Einsatz. In Baden-Württemberg haben bislang weder der LEH noch die Schlachthöfe Interesse an geimpften Tieren bekundet, hieß es in der Diskussion. Konkret bedeutet dies, dass die Schlachthöfe mit Improvac geimpfte Tiere aktuell nicht abnehmen. Wer also darüber nachdenkt, diese Methode auszuprobieren, muss vorher den Kontakt zum Abnehmer suchen und sollte sich auf jeden Fall beraten lassen. Aktuell wird zum Beispiel bei einem Projekt der Unabhängigen Erzeugergemeinschaft für Qualitätsferkel (UEG) Hohenlohe-Franken mit 4000 Tieren die Improvac-Methode getestet. Preislich erwartet Martin Kreutzmann für Deutschland einen Preis von 4,0 bis 4,50 Euro für die beiden Impfungen und verweist darauf, dass durch die bessere Futterverwertung der geimpften Tiere im Vergleich zu normalen Kastraten im Gegenzug rund sechs Euro pro Tier eingespart werden können.
Isofluran-Methode in der Schweiz erfolgreich
In der Schweiz arbeitet man seit 2010 nach den Vorgaben der Schlachtindustrie und des Handels erfolgreich mit der Isofluran-Narkose (Verfahren B). Ein Verfahren, das Tierarzt Dr. Gottlieb Scherrer aus Überlingen vorstellte. Er darf es in Deutschland aber nur auf Antrag anwenden, Grundlage ist ein so genannter Therapienotstand über den die örtlichen Veterinärbehörden entscheiden. Denn offiziell ist Isofluran zur Ferkelkastration nicht erlaubt. Interessant scheint dieses Verfahren für Biobetriebe und kleinere Betriebe, so die Einschätzung der Teilnehmer. Insgesamt werden dem Isofluran-Verfahren in Deutschland für das Gros der Betriebe eher geringe Chancen eingeräumt. „Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, die Kastration im Freien vorzunehmen“, so ein Teilnehmer.
Ebermast kann ein Weg sein
Schweinezüchter Leander Seitz aus Weisel im Alb-Donau-Kreis hält auf seinem Betrieb 240 Sauen im geschlossenen System und hat seit 2010 über 10.000 Eber gemästet, wie er berichtet. Vermarktet über Müllerfleisch. Unterm Strich sind seine Erfahrungen mit der Ebermast positiv, nicht zuletzt deshalb, weil für ihn die Umstellung auf Ebermast ohne großen Aufwand machbar war. Zwölf bis 16 Tiere hält er je Gruppe, auf Vollspatenboden im Rein-Rausverfahren bei der Mast. Finanziell lohne sich für ihn die Ebermast durchaus. Die Futterverwertung der Jungeber und die Zunahmen seien nachhaltig besser als bei den Börgen und auch der Muskelfleischanteil deutlich um im Schnitt drei Prozent höher.
Gewichtsbereich nach unten geöffnet
Wie Seitz berichtete wurde ab 1. Januar 2016 die Abrechnungsmaske nach unten geöffnet. Sie umfasst jetzt einen Gewichtsbereich von 80 bis 104 Kilogramm. So lassen sich nun ganze Buchten auf einmal ausstallen. Bei den Ebern sei es wichtig, dass die Tiere nicht zu schwer zum Schlachten gebracht werden – je älter die Tiere, desto höher die Gefahr der Geruchsauffälligkeit. Je nach genetischer Herkunft der Tiere schwankt die Geruchsauffälligkeit, so Seitz. Er berichtete von einer Auswertung unter über 5000 jungen Ebern, nach der 1,4 Prozent wegen Geruchsauffälligkeit aussortiert werden mussten. Ziel sei eine Geruchsauffälligkeit von unter 1,0 Prozent, so Hansjörg Schrade.
Umstieg nicht ohne Beratung
„Der Umstieg auf die Ebermast geht nicht ohne Beratung. Sonst muss man ein hohes Lehrgeld bezahlen“ ist Schrade überzeugt. Eber haben zum Beispiel weniger Fett, aber dafür ist das Fett öliger und damit schneller verderblich. Das beeinflusst die Schinkenherstellung und die Qualitäten der anderen Teilstücke. Gibt es künftig eine eigene Abrechnungsmaske für Eberfleisch? Werden überhaupt genügend Eber gemästet und ist der Markt aufnahmefähig genug? In England und Spanien sind die Eber deutlich leichter als hierzulande. Warum machen wir das nicht auch? Das würde den Markt entlasten? Und: Gibt es demnächst noch bessere Kastrationsverfahren und wie werden sie vom Markt angenommen? Jede Menge Fragen, die Tierhaltern und Vermarktern weiter unten den Nägeln brennen dürften und die in Sigmaringen längst nicht abschließend beantwortet werden konnten.
Festzuhalten bleibt: Jeder Unternehmer muss selbst entscheiden, welches Verfahren für seinen Betrieb am besten passt und in Kontakt mit seinem Vermarkter treten. Das Jahr 2016 zumindest sollte genutzt werden, weitere Erfahrungen zu sammeln. „Wir müssen uns alle Möglichkeiten offenhalten“, so ein Fazit. Jetzt geht es darum, mit dem LEH ein funktionierendes System aufzubauen. Sonst kauften die Mäster ab 2019 ihre Ferkel in Dänemark ein.
Das bedeutet: Keiner kann es sich leisten, am Markt vorbei zu produzieren. Die Impfung mit Improvac oder die Betäubung mit Isofluran sind derzeit für die meisten Betriebe keine ernsthaften Alternativen. Propagiert wird der Einstieg in die Ebermast, allen voran von der Müller Gruppe. Außerdem gibt es das neue EU-Programm „Europäische Innovationspartnerschaft - Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-AGRI)“ in dem die Einführung der Ebermast in die Wertschöpfungskette implementiert werden soll. Mit dabei sind neben der Müller Gruppe der Crailsheimer Schlachthof sowie verschiedene Vermarkter, Schinkenhersteller, die LSZ Boxberg sowie Edeka-Südwest.
Variante A : Impfung gegen Geruch
Die unkastrierten Ferkel werden zwei Mal gegen Ebergeruch geimpft. Die erste Impfung mit Improvac erfolgt in der Regel beim Einstallen in die Mast, die zweite gibt es in der Endmastphase, vier bis sechs Wochen vor dem Schlachtermin. So funktioniert´s: Ein Analogon des natürlichen Botenstoff Gonadotropin-Releasing-Faktor (GnRF), welches in seiner Struktur so verändert ist, dass es sich nicht mehr an körpereigene Rezeptoren binden kann, wird an ein Trägerprotein gekoppelt. So erkennt das Immunsystem auch das GnR- Analogon (Eiweiß) als „fremd“ an und bekämpft es. Bei der ersten Impfung („Priming“) werden zunächst nur wenige Antikörper gebildet. Anders bei der zweiten Applikation: Hier neutralisieren viele Antikörper das körpereigene GnRF. Die Produktion von Androstenon (und Testosteron) wird gestoppt. Wichtig ist: Diese Impfung hat keinerlei Hormonwirkung.
Variante B: Kastration mit Isofluran
Gut steuerbar ist die Inhalationsnarkose über die Einatmungsluft. Die Dosis ist gering, Organe werden nicht belastet, die Aufwachphase ist kurz. Isofluran ist eine farblose Flüssigkeit und das meist verwendetste Narkosemittel in der Tiermedizin. 10 bis 15 Minuten vor der Kastration wird zusätzlich ein Schmerzmittel verabreicht. Als Gerät braucht man einen Sauerstoffgenerator. Der erzeugte Sauerstoff fließt durch den Behälter mit Isofluran, so entsteht das Narkose-Gas, das über einen Schlauch in eine Maske geleitet wird. Die Maske wird dem Ferkel über den Kopf gezogen, es atmet das Gas ein und beginnt zu schlafen. In der Praxis wird diese OP am besten im Freien durchgeführt, um die gesundheiltliche Belastung für den Anwender gering zu halten. Die Arbeitsleistung beträgt 60 Ferkel pro Stunde. Kalkulierte Kosten pro Ferkel liegen bei zwei bis bis drei Euro.
Variante C: Ebermast
Die Mast von Ebern wird von vielen als Königsweg aus der Kastration gesehen. Schon seit einigen Jahren werden in Deutschland Eber gemästet und geschlachtet, vor allem in Norddeutschland. Aktuell liegt der Anteil am Gesamtmarkt bei unter fünf Prozent. Derzeit schlachten vor allem die drei Großen, Tönnies, Vion und Westfleisch Eber. Die Müller Gruppe sammelt seit 2010 mit 500 Tieren in der Woche Erfahrungen mit der Ebermast. Hier ist die Maske klar und die Abnahmegarantie auch. Da Eber eine höhere Aggressivität aufweisen, stellt sich die Frage, welchen Einfluss das auf das Tierwohl hat, da die Kastraten in der Endmast ruhiger werden und sich Eber genau gegenteilig verhalten. Sie zeigen vermehrtes Kampf- und Aufreitverhalten. Wegen der Gefahr der Geruchsauffälligkeit wird Eberfleisch von den meisten Metzgern noch kategorisch abgelehnt.
Infos: bei Kerstin Kipp, Tel. 0171 / 2710 499; kerstin.kipp@bd-schwein.de
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