
Bauern üben Schulterschluss in Oberschwaben
Der Saal im Gasthof „Zum Bräuhaus“ war bis auf den letzten Platz besetzt. Am Abend des 6. November, als das Ergebnis der US-Wahl feststand und in Berlin die Ampel-Koalition platzte, verfolgten auf der Jahreshauptversammlung in Roßberg in der Gemeinde Wolfegg über 100 Mitglieder und Gäste den Vortrag von Urs Schneider, Ehrenpräsident von Agro-Marketing Suisse. Schneider verriet, wie es Schweizer Landwirten gelingt, Volksinitiativen für sich zu entscheiden. Grund für den Erfolg sind unter anderem gute Argumente und eine starke Einigkeit.
von Matthias Borlinghaus, Redaktion BWagrar Quelle Matthias Borlinghaus erschienen am 08.11.2024„Wir müssen ständig antreten beim Volk“, berichtete Urs Schneider. Ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln, mehr Tierwohl, mehr Bürokratie: Die Themen seien in der Schweiz ähnlich wie in Deutschland oder Österreich. Im Sinne einer direkten Demokratie müssten die Schweizer allerdings Volksabstimmungen bestreiten, was mitunter sehr anstregend und herausfordernd sei, insbesondere für den bäuerlichen Berufsstand. Umso mehr ist man beim Schweizer Bauernverband über die Jahre kampagnenerfahren geworden.
Wenn direkte Demokratie an ihre Grenzen stößt
Die Ernährung zu sichern, bleibe angesichts einer wachsenden Bevölkerung und wegen des Klimawandels eine zunehmende Herausforderung. Zudem verändere sich das Ernährungsverhalten der Menschen. „Das ackerfähige Land pro Kopf sinkt. Der Welthunger ist zuletzt wieder gestiegen, was für die internationale Weltgemeinschaft ein Armutszeugnis ist“, findet Schneider. Vor diesem Hintergrund werde die Landwirtschaft für viele Menschen zunehmend zur Projektionsfläche für Wünsche und Erwartungen. Zu unrecht würden Bäuerinnen und Bauern vorschnell für bestimmte Entwicklungen verantwortlich gemacht. Musste man früher jede einzelne Unterschrift für eine solche Volksinitiative an den Haustüren einsammeln, gehe dies heute übers Internet ziemlich einfach, so Schneider, was insbesondere Umwelt- und Tierschutzorganisationen für sich nutzen würden. „Die müssen sich profilieren. Die können ja nicht sagen, dass alles super ist. Dann würden sie sich ja selbst abschaffen beziehungsweise keine Spenden mehr bekommen“, so Schneider. Und: „Die direkte Demokratie ist ein unermesslicher Wert. Aber sie wird zum Teil auch ad absurdum geführt, beispielsweise bei Initiativen zur Frage, ob Kühe Hörner haben müssen oder nicht“, findet Schneider.
Schwierige Abstimmungen
Die Initiative „Sauberes Trinkwasser und Pestizidverbot“ beispielsweise sei für die Bauern zu einer extrem schwierigen Abstimmung geworden. Neben einem Pestizidverbot sollten zusätzlich nur noch betriebseigene Futtermittel eingesetzt werden können, was in der Praxis gerade im Mastbereich völlig unmöglich gewesen wäre. Alle wollen sauberes Trinkwasser. Warum soll man da dagegen stimmen? Hier gab es zunächst Zustimmungswerte von 65 bis 70 Prozent. „Es war ein Kampf David gegen Goliath“, erinnerte Schneider. Dennoch hätten die Bauern diese Abstimmung nach einer zweijährigen Kampagne am Ende mit 62 Prozent Ablehnung gewonnen. Ähnlich schwierig sei es bei der Massentierhaltungsinitative vom Herbst 2022 gewesen. Hier sollten zum Beispiel bei den Legehennen pro Betrieb nur noch maximal zwei Stalleinheiten mit je maximal 2000 Tieren gehalten werden dürfen. „Für uns hätten diese Regelungen enorme Einschränkungen zur Folge gehabt“, so Schneider.
Das sind die Erfolgsfaktoren
Eine straffe Organisation, Einigkeit und gute Argumente seien wichtig für den Erfolg. „Nur mit den schönen Augen des Verbandspräsidenten oder der Landesbäuerin stimmt uns die Schweizer Bevölkerung nicht zu“, so Schneider.
© Matthias Borlinghaus„Zunächst braucht es eine schonungslose Situationsanalyse.“ Urs Schneider, Agro-Marketing Suisse
Vielmehr brauche es jede Menge Herzblut sowie ein professionelles Marketing und Kommunikation. „Zunächst aber braucht es eine schonungslose Situationsanalyse“, verrät Schneider. Denn: Wer die Ausgangslage nicht klar erkenne, werde am Schluss auch nicht das Richtige machen, ist sich Schneider sicher. Ebenso wichtig sei es, frühzeitig zu reagieren. Bei vielen herrsche die Meinung vor, die Dinge erst einmal laufen zu lassen und zu beobachten. Dieses Vorgehen sei absolut fahrlässig und gefährde den Erfolg einer Kampagne. Sechs Wochen vor der Abstimmung noch eine Kampagne zu machen, sei in der Regel viel zu spät. Dies ließe sich auch mit noch so viel Geld nicht mehr wettmachen. „Sie müssen vorher beginnen, um das Thema nach und nach in die Köpfe der Menschen zu bringen“, so Scheider. Er spricht von drei Phasen: In Phase I wird informiert und aufgeklärt. In Phase II gibt es eine Vorkampagne, in der das Narrativ verankert wird, zum Beispiel werden auffällige Fahnen oder Schilder aufgehängt und so eine gewisse Grundstimmung erzeugt. Hier sagen die Bauern „Nein“ zur Initative. Durch Plakatierung werde auf das Thema überdeutlich und etwas provokativ aufmerksam gemacht. Viele Menschen würden sich dann sinngemäß denken: „Schon wieder so eine Initiative. Ist doch alles viel zu übertrieben.“ Beim Aufhängen der Fahnen oder Plakate sei es wichtig, dass möglichst alle mitmachen, Stichwort Einigkeit. Etwa zwei Monate vor der Abstimmung erfolge dann die eigentliche Kampagne (Phase III). Hier müsse man seine Argumente professionell präsentieren. Die Glaubwürdigkeit der Kampagne würde mit Hilfe von Umfragen überprüft. „Es geht nicht darum, was wir gutfinden, sondern darum, die Argumente gut zu priorisieren und damit entsprechend zu jonglieren,“ so Schneider. Seiner Erfahrung nach könnten die Bauern mit viel Herzblut und innerer Überzeugung am besten punkten: „Wir brauchen keine bezahlten Söldner, die für uns die Kampagnen machen“, so Schneider. Bäuerinnen und Bauern müssten sich selbst in Szene setzen. Das sei aus seiner Sicht auch der Grund dafür, warum die Demos in Deutschland zu Jahresbeginn nach der Streichung des Agrardiesels ziemlich erfolgreich gewesen waren.
Positive Bilanz der Bauernproteste
„Eine große Einigkeit unter den Landwirten in Deutschland wurde bei den Bauernprotesten deutlich“, hob Franz Schönberger, Vorsitzender beim Bauernverband Allgäu-Oberschwaben, hervor. Schönberger hätte es sich, wie er sagte, in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass sich tausende Traktoren und zehntausende Bauern gemeinsam in Berlin versammeln. Die Botschaft an die Politik lautete: „Wir stehen mit beiden Beinen auf dem Boden und wollen endlich Gehör finden. Es kann nicht sein, dass wir ständig nur gegängelt werden von allen Seiten.“ Auch die Bauern-Kundgebung in Ravensburg sei laut Schönberger ein großer Erfolg gewesen. Seitdem würden die Landwirte mit ihren Anliegen wieder mehr ernst genommen. „Dieser Schub an gesellschaftlicher Unterstützung habe gutgetan“, meinte Schönberger. Insgesamt sei es ein „Wahnsinns-Kraftakt“ für alle Beteiligten gewesen.
Neugründung
Schönberger hofft nun, dass möglichst viele Vorschläge der Landwirte Gehör finden und letztlich auch umgesetzt werden. Mit Blick auf das angedachte Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben habe sich die bestehende Allianz der Landbewirtschafter und Landeigentümer, die sich gegen so eine Gebietsausweisung ausspricht, notariell als Verein eintragen lassen, berichtete Schönberger. Ihm zufolge sitzen im Vorstand des neuen Vereins neben ihm als Vorsitzenden, Johannes Fürst zu Waldburg-Wolfegg-Waldsee, und Roswitha Geyer-Fäßler, stellvertretende Kreisvorsitzende beim Bauernverband Allgäu-Oberschwaben, und LBV-Vizepräsidentin. Durch die Vereinsgründung hätte das Bündnis jetzt einen offiziellen Rahmen bekommen, so Schönberger. Egal ob Groß oder Klein, alle Landbesitzer hätten gemeinsame Interessen. Man verspreche sich durch den Zusammenschluss mehr Gewicht in der Auseinandersetzung mit den Gemeinden und dem Landkreis, längerfristig wolle man auch über die aktuellen Fragen zum Biosphärengebiet hinaus weiter zusammenarbeiten.
Unterstützung vom Amt
„Hängt nur die Hälfte der Bauern die Fahne auf, werden die Bauern gespalten“. Diesen Satz von Urs Schneider zitierte Andrea Gmeinder in ihrem Grußwort. Die neue Leiterin vom Landwirtschaftsamt Ravensburg versprach, sich für die Belange der Bäuerinnen und Bauern bestmöglich einzusetzen. „Wir vom Landratsamt unterstützen unsere Landwirte“, so Gmeinder. Gmeinder lobte das insgesamt breite ehrenamtliche Engagement vieler Verbandsvertreter, von denen einige auch im Kreistag, im Gemeinderat und in weiteren Vereinen aktiv sind, einzelne, wie der ehemalige Vorsitzende Waldemar Westermayer, es sogar bis in den Bundestag geschafft hatten. Gmeinder bedankte sich bei Geschäftsführer Stefan Loderer, der neben seiner Geschäftsführertätigkeit, zudem weiter an der Fachschule unterrichtet und bei ihrem Vorgänger im Amt, Albrecht Siegel. Die Fachschule, sagte sie, liege ihr besonders am Herzen, die Schüler dort seien hoch motiviert. Im Kreis gebe es sämtliche Formen der Landwirtschaft vom Milchvieh über Ferienwohungen bis zu Agri-PV, Biogas und/oder Dauerkulturen. Diese Vielfalt müsse weiter erhalten werden. Und wie Schönberger betonte auch Gemeinder, wie wichtig es sei, im Berufsstand an einem Strang zuziehen. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen vor denen die Landwirtschaft stünde, dürfe man sich nicht spalten lassen. Nach dem Motto: „Nach außen keine Schwäche zeigen.“ So ließe sich auch die junge Generation begeistern.
Tätigkeitsberichte
Beim Bauernverband Allgäu-Oberschwaben gibt es aktuell 2666 Mitglieder mit 68 Ortsvereinen, berichtete der neue Geschäftsführer Stefan Loderer, der das breite Service- und Dienstleistungsangebot des Kreisverbandes vorstellte. Für die Landjugend, die noch im November ihre Jahresversammlung in Legau abhalten wird, gab Johannes Hutt, Mitglied im Landesvorstand der Landjugend Württemberg Hohenzollern, einen Einblick in die geleistete Arbeit. In den weiteren Grußworten wurden in den Berichten jede Menge Aktivitäten vorgestellt, von denen viele auch in Zusammenhang mit der Landesgartenschau (LGS) in Wangen standen. Es sprachen Christa Fuchs, die just an diesem 6. November zur neuen Landfrauenpräsidentin Württemberg-Hohenzollern gewählt wurde, sowie Gisela Eisele, Vorsitzende der Landfrauen im Kreis Ravensburg.
Erfolgreiche Landesgartenschau
„Auf der LGS fanden an den 164 Tagen mit über einer Million Besuchern viele Aktivitäten statt. Für die Landwirte im Kreis war es eine einmalige Gelegenheit, ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen“, betonte LBV-Vizepräsidentin Rosi Geyer-Fäßler. Und: „Wir haben die Bevölkerung abgeholt. Die Leute sind bei uns am Pavillon vorbeigekommen. Es gab jede Menge gute Gespräche“, freute sich Geyer-Fäßler. Gebündelt unter dem Slogan „Heumahdland“ wurde die gemeinsame Kampagne für die Landwirtschaft zu einem großen Erfolg. Mit dabei waren, koordiniert von der Landesgartenschau, die Landfrauen Württembergisches Allgäu, der Bauernverband Allgäu-Oberschwaben, die Ortsverbände rund um Wangen, das Landwirtschaftsamt, der Maschinenring Allgäu-Oberschwaben, die Landesanstalt LAZBW und die Fachschule. Allein die Vorbereitung lief über zwei Jahre, berichtete Geyer-Fäßler, die sich mit der Durchführung sehr zufrieden zeigte: „Letztlich war es vom ersten Tag an eine tolle Veranstaltung“. Die aus Holz gefertigte Skulptur „Alma“, größte Kuh im Allgäu, und Wahrzeichen für die Milchwirtschaft, konnte dank der Landfrauen vollends finanziert werden, sie befindet sich im Eigentum der Landesgartenschau GmbH und soll künftig weiterhin auf dem Gelände zu bestaunen sein.
Ehrungen
Die Ehrungen auf der diesjährigen Hauptversammlung gingen an Albrecht Siegel, langjähriger Amtsleiter im Landwirtschaftsamt Ravensburg, der im Sommer 2024 in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet wurde, an Rosi Geyer-Fäßler für ihr Engagement an der LGS sowie an die Mitarbeiterin Sibylle Halder für ihre 25 Jahre Tätigkeit beim Bauernverband. Ehrenmitgliedsurkunden überreichten Schönberger und Loderer an Waldemar Westermayer, dem langjährigen ehemaligen Vorsitzenden des Kreisverbandes, sowie an den damals stellvertretenden Vorsitzenden Thomas Hagmann. Hagmann ist heute Vorsitzender der Tierseuchenkasse Baden-Württemberg.
- Stocky 10.11.2024 10:13Interessanter Vortrag: deutlich wird auch, dass alle in und für die Landwirtschaft tätigen Vereine, Verbände , Organisationen nicht nur nach außen, sondern auch für ihre Mitglieder die entsprechenden Informationen weitergeben. (Nicht aktuelle Homepages: dann lieber keine). Es gibt viele Möglichkeiten der Information.Antworten