
Felßner setzt auf grünen Kohlenstoff
„Was uns Bauern umtreibt, ist die Sorge um die Zukunft unserer Betriebe in einer Zeit der großen Herausforderungen und Veränderungen“, meinte der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Reutlingen, Gebhard Aierstock, auf der Lichtmesstagung in St. Johann-Würtingen. Grund genug, den Blick auf eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu richten. Hierfür hatte Gastredner Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV), einen Vier-Punkte-Plan im Gepäck.
von Matthias Borlinghaus Quelle Matthias Borlinghaus erschienen am 04.02.2025„Vielfältig. Kreativ. Innovativ – Bauernfamilien gestalten Zukunft“, so lautete der Titel des Hauptvortrags mit Günther Felßner. Er beglückwünschte gleich zu Beginn die KBV-Mitglieder im Landesbauernverband zu ihren starken Verbandsvertretern und bekräftigte die Südschiene Bayern und Baden-Württemberg: „Wir haben ähnliche Strukturen, denken ähnlich und versuchen, gemeinsam etwas zu bewegen.“ Zuvor eröffnete der Landfrauenchor im Kreis Reutlingen unter der Leitung von Sonja Szczyrba mit rund zwanzig Sängerinnen und Klavierbegleitung die traditionelle Lichtmesstagung.
Mannschaftsdienlich agieren
Der 58-jährige Felßner kommt aus dem Kreis Nürnberger Land, wo ebenfalls eine kleinstrukturierte Landwirtschaft dominiert. Mit seiner Familie bewirtschaftet Felßner einen 180 Hektar-Marktfruchtbetrieb mit Rinderhaltung, 50 Prozent Grünlandanteil, 25 Hektar Wald sowie PV-Anlagen auf den Dächern. Felßner, seit 2022 BBV-Präsident und seit 2023 Vizepräsident im Deutschen Bauernverband, sieht sich selbst als Bauer mit Leib und Seele. „Die Natur und die Tiere faszinieren mich“, so Felßner. Als leidenschaftlicher Fußballfan, der früher selbst aktiv gespielt hat, legt er großen Wert auf Teamarbeit. „Sowohl als Landwirt als auch als Club-Fan musst du ein großer Optimist sein und daran glauben, dass es irgendwann besser wird“, meint der Anhänger des 1. FC Nürnberg. Und wie Tausende Zuschauer beim Fußball, die alle besser wissen, wie gespielt werden muss, hätten auch die Landwirte das Gefühl, von Außenstehenden gesagt zu bekommen, wie Landwirtschaft funktioniert. „Wir lassen aber nicht nach, als Mannschaft, die Zuschauer zu unseren Fans zu machen. Das muss gelingen. Sonst hast du dauerhaft ein Problem.“
So könnte die Transformation aussehen
Um langfristig erfolgreich zu sein, reiche es nicht aus, der Stärkste oder der Schnellste zu sein. Vielmehr müsse man es schaffen, die Menschen neben sich auch erfolgreich zu machen. „Wir sind dazu aufgerufen, Eitelkeiten hintenanzustellen. Jeder muss mit ganzer Kraft dafür sorgen, dass Deutschland wieder nach vorne kommt“, spannte Felßner einen großen gesellschaftlichen Bogen und vermied es dabei, in einzelne Bereiche der Agrarpolitik tiefer einzutauchen. Wichtiger sei, auf die echten Herausforderungen Antworten zu finden. Dazu legte er einen Vier-Punkte-Plan vor:
- Ernährungssicherung für immer mehr Menschen (täglich steigt die Weltbevölkerung um über 200.000 Menschen) bei gleichzeitig immer weniger Fläche.
- Energie: Mehr erneuerbare Energien, um die fossilen Energieträger zu ersetzen.
- Nachhaltige Rohstoffe: Mehr biogener Kohlenstoff, der laut Felßner als neue Wirtschaftsgrundlage (Recarbonisierung) dienen soll.
- Ressourcenschutz: Nötig ist dafür ein nachhaltiges Anbausystem. Boden, Wasser, Luft, Artenvielfalt, genetische Vielfalt schützen und erhalten, damit die Landwirtschaft enkeltauglich wird. Die Zahl der Ernten muss hoch. Der Raubbau muss aufhören. Plastik muss ersetzt werden.
An diesen vier Zielen müsse sich eine künftige Agrarpolitik orientieren, forderte Felßner. Dabei ist dieser Kohlenstoffkreislauf nichts Neues, er wurde in der Vergangenheit nur zu wenig beachtet. So habe das Heizen mit Holz zum Beispiel eine Jahrtausende alte Tradition. Biogene Antriebe mit Rapsöl gab es schon vor 40 Jahren, ebenso wie Biokunststoffe aus Maisstärke. Leider konnten sie sich am Markt bislang nicht durchsetzen. „Heute wickeln wir den nachhaltig angebauten Salatkopf in Plastikfolie ein. Was für ein Wahnsinn. Wir brauchen hier ein neues Denken. Wir müssen mehr grünen Kohlenstoff einsetzen, sprich, wir brauchen wieder größere Ernten“, so Felßner.
Nicht zum Nulltarif
Dies zu ändern, habe man selbst in der Hand. Wer aus den fossilen Energieträgern aussteigen wolle, finde die Antwort für diese Transformation im Agrarbereich, ist sich der bayerische Bauernpräsident sicher. Diese Transformation gebe es aber nicht zum Nulltarif. Der Slogan „Die Sonne schickt keine Rechnung“ sei falsch. Das werde einem jetzt schmerzhaft bewusst. Die Transformation müsse erfolgen, ohne den Wohlstand zu zerstören. Dazu brauche es eine Strategie. Um diese aufzustellen, müsse man vom Ziel her denken, nach dem Motto: „Der Ball muss ins Tor.“
Forschung und neue Technologien gefragt
Verzichten, weniger produzieren und die Wirtschaft zurückfahren sei keine Lösung und würde die Verlustängste lediglich vergrößern. Flächenstilllegung und der Verzicht auf Pflanzenschutz seien der falsche Weg. Gefragt seien vielmehr Forschung und neue Technologien. Seine Forderungen machte er am Beispiel des Weizenanbaus deutlich: Bei einem Ertrag von acht Tonnen Körner werden insgesamt etwa 16 Tonnen Biomasse erzeugt. Letztlich dient nur der Mehlkörper und damit nur vier Tonnen – ein Viertel der erzeugten Biomasse – der menschlichen Ernährung. Ziel müsse sein, auch den Rest der Biomasse zu nutzen – als Tierfutter und dann mithilfe der Ausscheidungen über die Biogasanlage als Energie beziehungsweise als Dünger für den Boden. So werde der Kohlenstoff mehrfach genutzt und bleibe im Kreislauf. Was noch fehle, sei die Biodiversität. „Vielleicht säen wir künftig auf dem Acker 99 Prozent Weizen aus und zusätzlich ein Prozent Ackerwildkräuter für mehr Biodiversität?“, stellte Felßner als Frage in den Raum, der überzeugt ist, dass über eine multifunktionale Nutzung des Ackers die vier geforderten Punkte umzusetzen sind.
Abhängigkeiten verringern
Felßner hält nichts davon, Tierbestände zu reduzieren, Biogasanlagen abzustellen und den Ackerbau noch weiter zu extensivieren. Für ihn sind das keine Lösungen. Im Gegenteil: Gefragt seien nachhaltige Systeme, in denen man agrarisch weiter produzieren kann. Jahrelang habe man offene Grenzen für Exporte und für günstige Rohstoffimporte genutzt. Heute funktioniere dieses Modell so nicht mehr. Wie sensibel Märkte reagieren, habe sich vor zwei Wochen gezeigt. Wegen der Maul- und Klauenseuche in einer Wasserbüffelherde habe die deutsche Landwirtschaft einen Verlust von einer Milliarde Euro zu beklagen, nachdem andere Länder die Grenzen für deutsche Fleisch- und Milchprodukte geschlossen hätten. Für Felßner ein Fingerzeig dafür, was passiert, wenn Grenzen dicht gemacht werden und der Handel nicht mehr funktioniert.
Bauernproteste: KBV zieht positive Bilanz
Gebhard Aierstock und Geschäftsführer Thomas Pfeifle erinnerten in ihren Berichten an die zahlreichen Bauernproteste und deren Erfolge im vergangenen Jahr. Im Ergebnis, so Aierstock, gab es bei den Bürgern eine große Aufmerksamkeit und Zustimmung für die Proteste. Die geplante Kfz-Steuer für die grüne Nummer wurde zurückgenommen, die von der EU geplante Pflanzenschutzreduktion und die verpflichtende Flächenstilllegung seien weitestgehend vom Tisch und auch beim Bürokratieabbau habe sich einiges bewegt. Ziel sei eine Wettbewerbsgleichheit innerhalb der EU – ohne nationale Alleingänge.
Landwirte sehen Mercosur-Abschluss kritisch
Kritisch sieht Aierstock den Mercosur-Abschluss – den Handelsvertrag zwischen der EU und südamerikanischen Staaten. Zwar sichere der freie Handel unseren Wohlstand. Aber mit den ausgehandelten Bedingungen befürchtet Aierstock einen schärferen Wettbewerb auf dem europäischen Markt für landwirtschaftliche Produkte, zum Nachteil vor allem für die heimische Tierhaltung. „Wir fordern Neuverhandlungen des Abkommens. Produkte, die unsere Standards nicht einhalten, dürfen nicht auf den europäischen Markt gelangen,“ forderte Aierstock. In Deutschland liege die Wirtschaft auch 2025 am Boden. Davon betroffen sei auch die Landwirtschaft. „Wir brauchen dringend Lösungen“, forderte Aierstock und verwies unter anderem auf die aus der 20-jährigen Förderperiode fallenden Biogas- und PV-Anlagen.
Stärkung der heimischen Produktion
Auf europäischer Ebene setzt Aierstock große Hoffnungen in den neuen Agrarkommissar Hansen. Auf nationaler Ebene müsse klar sein, dass ein guter Pflanzenschutz weiterhin machbar bleibe. Auch der Umbau der Tierhaltung müsse wirtschaftlich darstellbar sein. Dass 2024 nur ein Prozent der Schweinehalter in Deutschland einen Förderantrag für einen tiergerechten Stallbau gestellt habe, zeige, dass die Fördervoraussetzungen viel zu hoch gesteckt waren. Auch die geplante Weidepflicht für Rinder im Biobereich dürfte für viele Betriebe nur schwer umzusetzen sein. Die Versorgungssicherheit ist für Aierstock ein zentrales politisches Thema, das ernst genommen werden sollte. Er zitierte dazu den Metro-Chef Steffen Greubel mit den Worten: „Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln wird künftig die größere Herausforderung sein als der Preis.“ Positiv bewertete der Vorsitzende die Selbstverpflichtungserklärungen des LEH, mehr heimische Produkte zu verkaufen. Die im Zuge des Strategiedialogs von der Landesregierung genehmigten Mittel in Höhe von 143 Millionen Euro müssten nun als echter Mehrwert den Betrieben zugutekommen.
Erfolgreiche Arbeit im Kreisverband
Pfeifle berichtete von einer starken Nachfrage nach Dienstleistungen für die über 800 Mitglieder – von der ländlichen Sozialberatung, Hofübergaben und Verpachtungen sowie Neugründungen über Bauvorhaben, zahlreiche Energieprojekte bis hin zur Antragsberatung und steuerlichen Fragen. Dabei stünden die Mitarbeiter des Kreisverbandes den Bauern mit Rat und Tat zur Seite. Ruth Schmid, stellvertretende Vorsitzende der Kreislandfrauen, berichtete über eine breite Palette an Aktivitäten im Jahr 2024 mit insgesamt rund 20 Angeboten und über 4000 Teilnehmerinnen. Dabei spannte sich der Bogen vom Festival der Lieder mit den Nachbarchören, einem Kurs zum Eier färben mit Naturmaterialien, einer Sonderlehrfahrt, dem Besuch des Landwirtschaftsministers über Seminare zur Gesundheit, Ortsvorsitzenden-Tagungen sowie einer mehrtägigen Reise nach Slowenien bis hin zu einem schnell ausgebuchten Motorsägenkurs oder einem Vortragsabend mit der neuen Chefin von Trigema, Bonita Grupp. Ein Highlight war erneut das jährlich stattfindende Biosphären-Frühstück auf verschiedenen Betrieben.
Politiker wollen Bauern im Kreis den Rücken stärken
Bei der Podiumsdiskussion unter der Leitung von BWagrar-Chefredakteur Guido Krisam unterstrichen die sechs Kandidaten zur Bundestagswahl die Bedeutung der Ernährungssicherung, wenngleich der Weg dazu ganz unterschiedlich ausfällt. Rudolf Grams, AfD, und Michael Jäger, BSW, wollen hohe Produktionskosten durch niedrige Energiepreise senken. Jäger will zudem Billigimporte aus dem Ausland stoppen und die Marktmacht in der Verarbeitung und im Handel einschränken. Michael Donth, CDU, möchte die Ernährungssicherung als ein Staatsziel mit ins Grundgesetz schreiben. Und: „Wir müssen die Konzepte ändern und anpassen, so wie Felßner es gesagt hat, im Sinne der Landwirtschaft, insbesondere der kleinbäuerlichen“, so Donth. Damit stand er nicht allein: Alle Parteienvertreter machten sich für regionale Produkte und mehr Wertschöpfung in der Region stark. Die kleinteilige Landwirtschaft liefere einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherung, betonte auch Pascal Kober, FDP. So brauche man zum Beispiel künftig keine pauschalen Stilllegungsflächen mehr, sondern neue ertragreiche Sorten. Für Jaron Immer, Grüne, sind die Zeiten von „Wachsen oder Weichen“ endgültig vorbei. Zur Versorgungssicherheit gehöre für ihn vor allem auch der Klimaschutz dazu, mit gesunden, fruchtbaren Böden, die Wetterextremen standhielten, um Ernteausfälle möglichst gering zu halten. Das sah Sebastian Weigle, SPD, ähnlich, der sich Sorgen wegen des Klimawandels macht. Die Bodenfruchtbarkeit müsse bei der Förderpolitik unbedingt berücksichtigt werden. Weigle setzt sich im Steuerrecht für eine Risikorücklage ein, um Einkommensausfälle auszugleichen. Zum Stichwort Bürokratieabbau meinte Pascal Kober, FDP, dass der deutschen Landwirtschaft wegen bundesrechtlicher Dokumentation jährlich allein 430 Millionen Euro verloren gingen. Geld, das die Betriebe gut gebrauchen könnten, meinte er weiter.

- Stocky 05.02.2025 07:26Der Vortrag von Präsident Günther Felßner ist ein absoluter Höhepunkt: neue Inhalte und zukünftige Möglichkeiten aufzeigend. Leider sind im Bericht einige redaktionelle Fehler: der Kreisbauernverband hat über 1300 Mitglieder (die genannten 800 sind bei den Landfrauen); die Landfrauen machten das Biosphärenfrühstück mit Bonita Grupp; und keine Sonderfahrt sondern Sommerlehrfahrten.Antworten