Große Baustellen für Schweinehalter im Süden
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Den Zeitplan zu halten, ist noch möglich. Aber es ist notwendig, sich jetzt schnell abzustimmen und die Mehrheiten zu organisieren“, zeigte sich Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), vor den rund hundert Schweinehaltern und Branchenvertretern aus Bayern und Baden-Württemberg zuversichtlich, dass es mit dem so genannten "Vierten Weg" doch noch klappen könnte. Heidl setzt sich wie auch der Landesbauernverband (LBV) in Baden-Württemberg dafür ein, dass mit dem Auslaufen der betäubungslosen Ferkelkastration zum 1. Januar 2019 eine Lokalanästhesie mit Anwendung durch den Landwirt kommt. Dieser "Vierte Weg" könnte für die Schweinehalter neben der Ebermast, der Immunokastration und der Kastration unter Betäubung eine weitere Möglichkeit werden, die Ferkel großzuziehen. Dazu müssten aber die Arzneimittel Lidocain oder Procain zugelassen werden und nicht wenigen Branchenvertretern fehlt der Glaube, dass dies in der noch verbleibenden Zeit gelingen wird. Die Hürden jedenfalls sind hoch.
Die Zeit drängt
Unterstützung gibt es vom baden-württembergischen Agrarminister Peter Hauk. „Bei der Ferkelkastration wird es allerhöchste Zeit, dass eine Lösung gefunden wird“, so Hauk. Dazu müsse es noch vor der Sommerpause einen Gesetzesentwurf geben. So wollen die unionsregierten Länder eine Bundesinitiative starten, mit dem Ziel, das Tierschutzgesetz so anzupassen, dass eine Verlängerung der Übergangslösung über 2019 hinaus erfolgt. Er versuche gerade die Grünen davon zu überzeugen, damit Baden-Württemberg die Initiative unterstützen kann. „Da bin ich dran an der Thematik“, so Hauk. Auch er setze sich für eine lokale Anästhesie durch den Landwirt ein.
Im Sinne des Tierschutzes
Einig war man sich auf der Tagung, dass diese lokale Anästhesie durch den Landwirt auch im Sinne des Tierschutzes sei. Dr. Andreas Randt vom Tiergesundheitsdienst Bayern e.V. erläuterte die Vorteile der Kastration unter Lokalanästhesie. Er stellte klar, dass das Lokalanästhetikum nicht in den Hoden appliziert wird, sondern in den Hodensack. Danach müsse man 45 Minuten warten, bis das Tier im Operationsbereich keinerlei Schmerzempfinden mehr habe. Die Methode werde von den Ferkeln gut vertragen - keine Beeinträchtigung der Reaktionsfähigkeit, keine Beeinflussung der Motorik, gute postoperative Wirkung und viel risikoärmer als eine Vollnarkose. Landwirte können den Eingriff bis zum 8. Tag vornehmen, danach darf dies nur noch der Tierarzt. In Schweden zum Beispiel sei die Lokalanästhesie mit Lidocain durch den Landwirt seit 2011 möglich und seit 2016 verpflichtend. In der Schweiz werde diese Methode als Alternative zu Isofluran ebenso immer beliebter. In Österreich ist eine Schmerzlinderung mit Metacam verpflichtend, sobald es aber ein Verfahren der Lokalanästhesie mit Anwendung ducrh den Landwirt geben wird, soll dann dieses verpflichtend werden. In Belgien habe sich die Branche zur Schmerzlinderung verpflichtet und Dänemark hat im Januar 2018 die Lokalanästhesie durch den Landwirt ermöglicht.
Alle Beteilgten brauchen Rechtssicherheit
Dr. Andreas Palzer vom Bundesverband praktizierender Tierärzte meinte, dass alle Kastrationsverfahren ihre Berechtigung hätten und eine faire Beurteilung verdienten. „Deswegen sollte man den "Vierten Weg" mit aufnehmen“, so Palzer. Die Betriebe könnten dann selbst entscheiden, welches Verfahren für sie am besten ist. „Wir brauchen Rechtssicherheit, was kommt“, so Palzer. Landwirten, Tierärzten und der Schlachtindustrie jedenfalls laufe die Zeit davon.
Bislang nur geringe Marktanteile bei Premiumfleisch
In den bereits laufenden Premium-Fleisch-Programmen werde schon mit der Immunokastration oder mit Inhalations- und Injektionsnarkose gearbeitet. Die Mehrkosten für diese Methoden und auch die entsprechenden Haltungsbedingungen mit deutlich mehr Platzangebot müssten sich allerdings am Markt erst noch durchsetzen, machte Hansjörg Schrade vom Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg deutlich. Noch liegen die Marktanteile dieser Programme bei lediglich einem Prozent. Laut Schrades Berechnungen liegt der kostendeckende Ferkelpreis in der Premiumstufe bei netto 98 Euro pro 30 kg Ferkel, für Bio-Ferkel sind es 139 Euro. Der kostendeckende Mastschweinepreis liegt entsprechend bei 2,54 Euro netto pro kg SG in der Premiumstufe beziehunsgweise bei 3,92 Euro ökologisch.
Mit Widersprüchen umgehen
Über das Verbraucherverhalten sprach Dr. Johannes Simons vom Lehrstuhl Marktforschung der Universität Bonn. Im Handel und an der Fleischtheke wolle man keine Diskussion über Tierschutz führen, so Simons. „Hat man eine Frage beantwortet und bekommt dafür zwei neue Fragen. Es kennt sich kein Mensch mehr aus. Das Thema ist viel zu kompliziert. Im Detail will das niemand wissen“, meinte Dr. Simons. An der Theke zähle einzig das tolle und umfangreiche Angebot. In den Köpfen der Verbraucher hätten sich zwei Bilder festgesetzt: Auf der einen Seite die Massentierhaltung und auf der anderen Seite die Museumslandwirtschaft. Insgesamt löse die Fleischwirtschaft bei vielen Menschen eine regelrechte Angst-Faszination aus. „Wenn man nichts weiß, kann man alles Mögliche vermuten“, so Simons. Es gebe mit unter regelrechte Schreckensszenarien. Die Museumslandwirtschaft ihrerseits verkörpere eine heile Welt. Ganz nach dem bekannten ehemaligen CMA-Motto: "Fleisch ist ein Stück Lebenskraft." Das bedeutet: Man kauft sich ein leckeres Stück Fleisch und nicht etwa ein totes Tier. Das Grillen mit Fleisch erfreut sich großer Beliebtheit. Psychologisch schafften es die meisten Menschen gedanklich sehr gut, das Tier vom Fleisch zu trennen. Und: „Wir selber sind genauso widersprüchlich wie die Verbraucher insgesamt“, meinte Simons. Mit diesem Phänomen richtig umzugehen, sei alles andere als einfach. Zumal auch die Anforderungen des Handels an die Fleischverarbeiter und an die Erzeuger immer höher werden. Gefragt sei eine möglichst klare Kommunikation.
Staatliche Kennzeichnung und Initative Tierwohl
„Wir haben eine Inflation der Absatzstrategien und Marketingmaßnahmen beim LEH.Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, zerreißt es uns“, meinte Rolf Michelberger, Geschäftsführer bei Ulmer Fleisch, der die Diskussion der Tagung leitete. Mit Spannung blickt die gesamte Branche auf die geplante staatliche Kennzeichnung. Die Kennzeichnung soll es nicht nur für Frischfleisch, sondern auch verarbeitete Ware geben. Bis Herbst 2019 soll das Gesetz stehen, einen ersten Entwurf gibt es bereits, berichtete Dr. Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der Initative Tierwohl (ITW). Geplant ist ein freiwilliges dreistufiges Label geben. Die Eingangsstufe soll ambitioniert aber realistisch und machbar werden. Die ITW-Betriebe sollen hier bestmöglich eingebettet werden, meinte Hinrichs. Er berichete, dass bei der Initative Tierwohl die zweite Programmphase gut angelaufen sei. Sie läuft bis Ende 2020. Die Anzahl der teilnehmenden Betriebe und der Tiere insgesamt wurde verdoppelt. Bei Schweinen und Geflügel sind nun über 6000 Betriebe dabei, mit 25 Mio. Schweinen pro Jahr. Den Marktanteil für Schweinefleisch bezifferte er auf 20 Prozent (Geflügel: 60 bis 70 Prozent). „Das ist ein enormer Schritt nach vorne“, so Hinrichs. Vom LEH bekommt die Initiative 130 Mio. Euro im Jahr. Davon kommen laut Hinrichs über 95 Prozent bei den Bauern an. Zwei Mal pro Jahr werden die Betriebe kontrolliert. „Das ist eine Herausforderung für alle Beteiligten“, so Hinrichs. So will man die Glaubwürdigkeit der ITW sicherstellen. Wer möchte, kann sich für die zweite Programmphase noch bis zum 6. Juli über die zuständigen Bündler bei der ITW anmelden. Ziel sei es, mehr Tierwohl möglichst vielen Betrieben zu ermöglichen. Dazu hat die ITW jetzt auch einen Innovationspreis Tierwohl ausgeschrieben.
Heftiger Strukturwandel vor allem in der Sauenhaltung
In vielen Regionen Baden-Württembergs verschwinden die Zuchtsauen und die Mastschweine, berichtete Richard Riester von der LEL. In Baden-Württemberg zählte man 2017 noch 1369 Zuchtsauenhalter, ein Einbruch von mehr als 50 Prozent gegenüber 2009. 70 Prozent der kleinen Bestände bis 40 Zuchtsauen gingen in den letzten acht Jahren verloren. Unterm Strich habe man in dieser Zeit im Land 35 Prozent der Sauen verloren. Dass die Ferkelbilanz im Land noch ausgeglichen ist, liegt daran, dass auch die Mast zurückgegangen ist. Die Zahl der Mastschweinehalter verringerte sich in den vergangenen acht Jahren um 48 Prozent auf 5101 Halter. Dabei ging die Zahl der Mastschweine um 17 Prozent auf 860.000 Tiere zurück. Anders in Bayern: Hier ist die Produktion der Mastschweine nicht eingebrochen. Sie liegt seit Jahren konstant bei über 6 Mio. Schweinen pro Jahr, berichtete Josef Weiß von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Ein Rückgang gab es bei den Ferkeln von 7 Mio. Mastferkeln im Jahr 2007 auf unter 5 Mio. Tiere im Jahr 2017. Auch viele größere Betriebe hörten auf. „Viele verlieren das Vertrauen in die Marktentwicklung“, so Weiß. Deutschlandweit kommen jedes Jahr rund 10 Mio. Ferkel aus dem Ausland, zum großen Teil aus Dänemark. Innerhalb Deutschlands kommen immer mehr Ferkel aus ostdeutschen Großbetrieben in den Süden.
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