Rohmilch – Hofkäsereien liegen im Trend
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Mehr Wertschöpfung bestmöglich auf die Betriebe holen, damit beschäftigen wir uns seit Jahren“, meinte der ALB-Vorsitzende Professor Dr. Wilhelm Pflanz zum Auftakt der Tagung am späten Vormittag. Die Arbeitsgemeinschaft Landtechnik und Ländliches Bauwesen Baden-Württemberg e.V. (ALB), die am frühen Vormittag ihre Mitgliederversammlung abhielt, kümmert sich um den Bereich Stallbau und Technik in der Nutztierhaltung. Hier hat sich auf dem Betrieb von Helmut Rauscher in den vergangenen Jahrzehnten einiges getan. Ausgesiedelt im Jahr 1983 und zunächst angefangen mit Pferden lebt der Betrieb nun bereits seit über 20 Jahren von seiner hofeigenen Käserei und vom Event-Tourismus. Überregional bekannt ist der Bioland-Heumilchbetrieb für seine aus Rumänien stammende Büffelherde, aus deren Milch er seit vielen Jahren leckeren Rohmilchkäse herstellt, unter anderen den „Albzarella“ Käse, eine ganz eigene Mozzarella-Variante aus 50 Prozent Büffelmilch und 50 Prozent Kuhmilch. Aktuell planen Rauscher und sein Mitarbeiterteam einen neuen Kuhstall beziehungsweise einen weiteren speziell für die Büffel.
Käserei-Gründung erleichtert
„Die Milchverarbeitung. Das macht man nicht so nebenbei“, berichtete Marc Albrecht-Seidel, Geschäftsführer vom Verband handwerklicher Molkereien VHM. Pro 100.000 kg verarbeiteter Kuhmilch benötige man ein bis zwei Vollzeitarbeitskräfte. Gegründet im Jahr 1992 mit rund 60 Betrieben hat der VHM mit Sitz in Freising heute fast 900 Mitgliedsbetriebe, die insgesamt rund 40 Mio. kg Milch verarbeiten (darunter 180 Ziegen- und 150 Schafbetriebe, sechs Büffelbetriebe). Es gibt einen europäischen Dachverband namens Face Network. Hier ist unter anderen „die Europäische Leitlinie der Guten Hygiene Praxis für die handwerkliche Milchverarbeitung“ verankert. 80 Prozent der VMH-Betriebe sind Biobetriebe. Verteilt sind diese Betriebe, von denen sich die meisten in Süddeutschland befinden, vor allem auf Deutschland, Österreich und Luxemburg. Laut Albrecht-Seidel wächst die Zahl der Hofkäsereien, nicht zuletzt auch deshalb, weil die EU die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Milchverarbeitung ab Hof wieder erheblich erleichtert habe. Albrecht-Seidel erläuterte, was man beim Aufbau und Zulassung einer Hofkäserei alles beachten muss. Wie soll meine Käserei aussehen? Welche Produkte soll ich herstellen? Damit sich so ein Geschäftszweig lohnt, müsse man bei Kuhmilch eine Mindestmenge von rund 100.000 kg Milch pro Jahr verarbeiten, bei Ziegen- oder Schafsmilch liege die Größenordnung bei rund 50.000 kg. Steuerrechtlich wird eine Hofkäserei als landwirtschaftlicher Nebenbetrieb eingestuft, wenn eigen erzeugte Milch verarbeitet wird – in diesem Fall gebe es auch keine Mengen- oder Umsatzgrenzen.
Viel Arbeit und oft wenig verdient
Thomas Schäfer aus Bodelshausen hat sich auf Trinkmilch spezialisiert. Auf dem Birkenhof haben die Schäfers und vier weitere Bauernfamilien als Nachfolge für das Tübinger Milchwerk, das zu den damaligen Allgäulandkäsereien gehörte, die Tübinger Bio-Bauernmilch GmbH (TüBio) gegründet. Produziert wird regionale frische Bio-Vollmilch für Tübingen und die Region. Insgesamt sind es rund 2 Mio. kg Milch. Der Großteil davon, rund 1,7 Mio. kg, allerdings holt die Molkerei Gropper in Bissingen. Die vor Ort in Bodelshausen in speziellen Schlauchbeuteln abgefüllte TüBio-Milch (pasteurisiert aber nicht homogenisiert) geht zum einen an regionale Läden wie Edeka-Märkte, Bioläden, Bäckereien oder Hofläden. Zum anderen betreibt Schäfer einen Milch-Lieferservice „Die-Milchmanns“. „Ausgefahren wird nachts ab 1.45 Uhr. Da ist am wenigsten los auf den Straßen“, so Schäfer. Bei dieser Vermarktungsschiene wird die Milch in Mehrwegkanister abgefüllt und den Kunden vor die Haustüre gestellt. Neuerdings gibt es auch noch den Verkauf über Milchautomaten. Unterm Strich mache die Vermarktung der Trinkmilch sehr viel Arbeit, bei vergleichsweise geringer Wertschöpfung, daran ließ Schäfer in seinem Vortrag keinen Zweifel. Die Kosten der Milcherzeugung und fürs Personal beeinflussen die Rentabilität der Milchverarbeitung am meisten. Gebäude- und Technikkosten stehen bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung erst an dritter Stelle. Schäfers größte Sorge ist die Funktionsfähigkeit seiner Abfüllanlage für die Schlauchpackungen, wie er erzählt. Dabei handelt es sich um eine hochtechnisierte Maschine, die, wenn sie einmal ausfällt, die komplette Produktion zum Stillstand bringen kann.
Technisierung nimmt zu
Immer mehr ausgetüftelte Technik steckt auch in den Milchautomaten, berichtet Rainer Bertsch, der als technischer Sachverständiger für Molkereiwesen in Baden-Württemberg am Regierungspräsidium Tübingen neue Milchtankstellen und Einrichtungen abnehmen muss. Man sollte ein Verständnis für Technik mitbringen, sagt Bertsch, denn die neuen Anlagen seien zum großen Teil ziemlich komplex. Bertsch betonte auch: „Die Rohmilchqualität muss stimmen. Da muss man hinterher sein. Denn Qualitätsprobleme kann man sich nicht leisten.“
Ebenso erforderlich für den Milchverkauf ab Hof sei eine unbedingte vorherige Absprache mit der Molkerei sowie ein persönliches Feeling für die Direktvermarktung. „Ist Ihnen langweilig?“, lautet seine erste und bewusst etwas provokante Frage, wenn sich bei ihm ein Unternehmer meldet und in den Geschäftszweig Milchvermarktung einsteigen möchte. Bertsch warnte vor zu viel Euphorie bei den Verkaufsautomaten und berichtete, dass es hier in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom gegeben habe. Der Standort des Automaten spiele hier eine ganz entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg. Verschiedene Anbieter mit unterschiedlich technischem Niveau seien mittlerweile auf dem Markt. Während der Rohmilchverkauf und der Verkauf von Rohmilchkäse zunehmen, gebe es mittlerweile kaum noch Betriebe die Vorzugsmilch produzieren.
Die Milchmenge ist nur ein Bruchteil vom gesamten Milchmarkt
Zu Beginn seines Vortrags machte Bertsch deutlich, um welche Größenordnung es sich bei Hofmolkereien und beim Direktverkauf von Trinkmilch innerhalb des gesamten Milchmarkts immer noch handelt. So gab es im Jahr 2018 in Baden-Württemberg insgesamt 190 zugelassene milchverarbeitende Betriebe, davon aber nur 16 Molkereien, die täglich über 10.000 kg Milch verarbeiten. Die anderen 174 Betriebe sind Kleinstbetriebe, die zusammen nur 0,7 Prozent der erzeugten Milchmenge verarbeiten.
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