„Bei uns kommt es auf jeden Cent an“
Am 18. Februar lud der Landesbauernverband Milcherzeuger/innen und Branchenexperten zur ersten digitalen Milchfachtagung ein. Das Thema lautete: „Die heimische Milchproduktion – Wo sind die Perspektiven? Im Angebot standen drei aktuelle Vorträge, die von einem dreistelligen Teilnehmerkreis mit großem Interesse verfolgt wurden. Die Gesprächsleitung hatte Ariane Amstutz, LBV-Pressesprecherin.
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Irritationen in der Landwirtschaft, speziell in der Tierhaltung“, so LBV-Vizepräsident Gerhard Glaser machten vielen Berufskollegen derzeit zu schaffen. Bei der Milch, so Glaser, ist es seit je her der Erzeugerpreis, mit dem kein Landwirt angesichts stetig steigender Kosten wirklich zufrieden sein kann. Preisunterschiede zwischen den Milchwerken von oftmals mehreren Cent würden deutlichen machen, wie wichtig die Vermarktung ist. „Und da kommt es bei uns auf jeden Cent an“, betonte Glaser.
Hoher Kostendruck
Andreas Gorn, Marktexperte der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) für Milch und Milchprodukte, bestätigte in seinem Vortrag den enormen wirtschaftlichen Druck auf die Betriebe. So ist der Deckungsbeitrag je Milchkuh im Jahr 2020 deutschlandweit gesunken auf 611 Euro (Vorjahr: 664 Euro). Die sogenannte Kosten-Erlös-Marge lag 2019 schon bei minus 355 Euro pro Kuh (2018: minus 251 Euro) und dürfte 2020 eher noch weiter fallen. „Im langjährigen Mittel liegen die Betriebe im Minus“, so Gorn.
Marken und gute Produkte
In Sachen Vermarktung lobte Gorn die Molkereien im Südwesten. „Wir haben im Süden einen sehr hohen Anteil an Markenprodukten und preislich stabilere Komponenten im Portfolio als im Norden.“ Das führe zu einem insgesamt stabilen Milchgeld, mit dem die Erzeuger hierzulande bundesweit an der Spitze liegen. Im Jahr 2020 waren es nach ersten AMI-Schätzungen in Baden-Württemberg 33,8 Cent pro kg (netto, ab Hof, bei 4,0 Prozent Fett) – 1,4 Cent mehr als der Bundesdurchschnitt und 1,1 Cent weniger als 2019.
Positive Signale vom Markt
Die Signale zum Milchmarkt für 2021 seien laut Gorn insgesamt positiv. Weltweit ist die Milcherzeugung weiter gestiegen. Insbesondere Länder wie China hätten einen enormen Bedarf an Milchprodukten, das internationale Preisniveau steige. In der EU ist die Milchanlieferung 2020 um 1,2 Prozent gestiegen, vor allem in Italien, Irland und Polen, in Deutschland nur schwach um plus 0,1 Prozent. Die Exporte an Milchprodukten legten bis auf Magermilchpulver deutlich zu. Die Märkte 2020 zeigten sich in Deutschland abgesehen von einer Corona-Delle im Frühjahr erstaunlich stabil, auch jetzt über den Jahreswechsel. Ein Grund dafür war die deutlich gedämpfte Anlieferung im Herbst und auch im Winter sowie der weitere Rückgang der Kuhbestände. Nach Einschätzungen des AMI-Marktexperten dürfte der Absatz in den kommenden Monaten anziehen und sich auch die Milchpreise weiter erholen.
Mehr Tests
Die neue Rohmilchgüteverordnung tritt zum 1. Juli 2021 in Kraft, berichtete Dr. Markus Albrecht, Geschäftsführer des Milchprüfrings Baden-Württemberg. Von da an gibt es auch neue Hemmstofftests. „Wir werden künftig doppelt so viele Antibiotika nachweisen können“, so Albrecht. Deshalb wird das Testen der Milch an Bedeutung gewinnen. Für die Eigenkontrolle auf den Höfen empfiehlt Albrecht für die Testung von Einzelkühen nach Behandlung, die bisher bewährten Systeme. Zum Testen der Tankmilch vor der Ablieferung sollten die sensibleren Testsysteme, wie sie auch beim Milchprüfring eingesetzt werden, zum Zuge kommen. Welche Testsysteme es gibt, wird spätestens ab Juli vom Milchprüfring veröffentlicht. Der Hemmstoffabzug wird auf 3 Cent pro kg statt bisher 5 Cent festgelegt. Allerdings werden bei einem weiteren Hemmstofffall mindestens weitere 3 Cent Abzug fällig.
QM-Standard setzt sich durch
Bei der Qualität, so Albrecht, richten sich die Molkereien konsequent nach den Vorgaben des Standards von QM Milch. Preisschlachten beim LEH gingen immer öfter zulasten der Molkereien und der Bauern. Das Ausloben von Tierwohl sei dem Handel zwar ein großes Anliegen, ebenso wie mehr Nachhaltigkeit. Das Umsetzen dieser Kriterien sei dann aber in großen Teilen Aufgabe der Molkereien und der Erzeuger. Über die Initiative Tierwohl (ITW), über QS und QM sei es gelungen, die Interessen zu bündeln und mit dem Handel in einen sachlichen Dialog zu treten.
Zusatzmodul Tierwohl
QM Milch biete mehrere Module an, die der Handel dann zum Ausloben nutzen könne. Auch die Molkereien würden nach QM-Standard 2020 zertifiziert. Der QM-Milchstandard 2020 habe die Haltungsform I. Spannend werde es bei der Haltungsform II. Die Kriterien sollen hier im März rauskommen beziehungsweise werden als Tierwohlmodul verabschiedet. Man habe dann den Standard 2020, plus das Zusatzmodul Tierwohl. Die weiteren Haltungsformen III und IV sollen nach und nach folgen.
Was gibt es dafür? Der Handel habe bekundet, dass er das mehr an Tierwohl auch honorieren möchte. Die Gespräche darüber laufen gerade, so Dr. Albrecht. Mit Ergebnissen wird noch im 1. Halbjahr 2021 gerechnet. Laut Ludwig Börger, Referatsleiter Milch beim Deutschen Bauernverband, wird der Mehraufwand für die Betriebe von den Landesanstalten berechnet und diese Mehrkosten werden dann auch in Richtung LEH kommuniziert. „Das sind anstrengende Diskussionen. Aber es lohnt sich, diese Verhandlungen zu führen“, so Börger.
Wann werden die Haltungsformen ausgelobt? Rund 25 Prozent der Milchviehbetriebe, die ihre Kühe noch in ganzjähriger Anbindehaltung hätten, könnten nicht in die Haltungsform II. Wenn es nach dem Handel gehe, soll die Milch spätestens im Jahr 2025 aus der Haltungsform II kommen, der gesetzliche Termin ist das Jahr 2030. „Wenn der LEH probiert, die Politik in dieser Sache zu überholen, sind die Betriebe die Leidtragenden. Damit ist dem Tierschutz nicht gedient und den Bauernfamilien ebenso wenig,“ hieß es auf der Tagung. Deshalb müsse man beim Ausstieg aus der Anbindehaltung mit Bedacht vorgehen.
Strategie 2030 auf einem guten Weg
In der Branchenkommunikation als Teil der Strategie 2030 habe sich in den vergangenen Monaten einiges getan, berichtete Ludwig Börger. Hier gebe es eine Vielzahl von Akteuren, jede Menge Arbeitsgruppen und Sitzungen, in denen versucht wird, die Interessen der Deutschen Milchwirtschaft gemeinsam unter einen Hut zu bringen. Moderator der Strategie 2030 ist Dr. Theodor Seegers, ihr Sprecher ist Karsten Schmal, Milchpräsident des DBV. Ein Ziel ist es, eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen. Hier soll das Bild der Milch ins richtige Licht gerückt und ihren Wert für Ernährung und Gesundheit herausgearbeitet werden. Zudem geht es um die Weiterentwicklung der Produktionsstandards und um Lieferbeziehungen zwischen Milchbauern und Molkereien. Die Finanzierung für die ersten vier Jahre ist gesichert, so Börger. Sie erfolge freiwillig aus der Wertschöpfungskette heraus, unter anderen mit jährlich 15 Cent pro Tonne angelieferter Rohmilch. Die Beitragserhebung beginnt ab 1. Januar 2021.
Wie kann ich mithelfen, die Branchenkommunikation zu verbessern?, so eine der vielen Teilnehmerfragen im Chat. Laut Börger ist es wichtig, dass möglichst viele Molkereien beim Branchenverband mitmachen. „Überzeugen Sie Ihre Molkerei“, so Börger. Großes Thema seien einheitliche und klar definierte Standards für Milch und Milchprodukte. Höhere Standards könnten den Erzeugern nur dann einen Mehrwert bringen, wenn sie auch honoriert werden. Börger ist es wichtig, dass die Standards aus der Branche heraus erarbeitet werden und nicht von außen, von Dritten, diktiert werden. So gebe es bereits eine regelrechte Labelflut im Markt, die der Verbraucher nur schwer zuordnen könne. Der Handel suche einerseits nach Differenzierung, möchte aber andererseits die Kriterien sauber definiert haben und sich nicht von einem einzigen Anbieter abhängig machen.
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