Kein Entweder-oder
Das Geschäft mit pflanzlichen Milchalternativen boomt. Immer mehr Verbraucher greifen zu Milchersatzprodukten, allen voran zu Haferdrinks. Mengenmäßig zum gesamten Milchmarkt noch vergleichsweise wenig, könnten diese veganen Ersatzprodukte schon bald die Biomilch eingeholt haben. Aber halten die veganen Drinks tatsächlich das, was sie versprechen?
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„Keinesfalls“, meint Gerhard Glaser. „Wurst ohne Fleisch. Milch ohne Kühe“: Das kann und will sich der LBV-Vizepräsident und Vorsitzende des Milchausschusses so nicht vorstellen. Für den 65-jährigen Milchviehhalter aus dem oberschwäbischen Schemmerhofen gehören Milch und Milchprodukte seit jeher zum bewährten Speiseplan, und so dürfte es wohl den meisten Menschen gehen – nicht nur in seiner Generation. Was Glaser nicht gutheißen kann, ist der aus seiner Sicht teilweise völlig überzogene Auftritt einiger Vegan-Hersteller, die Klima-, Gesundheits- und Weltrettung alles in einem versprechen und das bei gleichzeitig unglaublichen Gewinnmargen der Produkte. Die Herkunft des Rohstoffs, das Futter, die Art der Tierhaltung, die Reinheit und dann auch die Zubereitung der Speisen – das alles spielt für Glaser eine wichtige Rolle und hat etwas mit Heimat zu tun, mit Kultur und mit Geschmack, den man nicht ohne Grund aufgeben möchte. Dabei weiß auch Glaser, dass sich die Essgewohnheiten verändern in Deutschland. Kinder und Enkel der Elterngeneration ernähren sich wieder häufiger vegetarisch oder reduzieren ihren Fleischkonsum.
Tierhaltung bleibt wichtig
Aus Sicht des Klimaschutzes klingt das plausibel. Ist es aber nicht automatisch: „Man kann nicht einfach sagen, Kühe rülpsen Methan, die sind Klimakiller, die müssen weg. Das ist ein bisschen sehr einfach, wenn man sich die Komplexität der Natur genauer anschaut“, sagt die Sterneköchin und Politikerin Sarah Wiener in einem Interview gegenüber n-tv, in dem sie über Kunstfleisch befragt wird und dabei die sogenannte Agrarindustrie wie Cargill, JBS aus Brasilien, der größte Fleischproduzent der Welt, oder auch Nestlé scharf angreift, weil diese Konzerne die Menschen von ihren Produkten abhängig machen würden. Sarah Wiener plädiert für eine bäuerliche Landwirtschaft mit Tierhaltung, nicht zuletzt auch deshalb, weil zwei Drittel der Welt Weideflächen seien: „Da können Sie nicht einfach Gemüse anbauen. Das heißt, die Abschaffung der Tiere bedeutet nicht, dass sie dann mehr Fläche für etwas anderes haben, sondern ganz im Gegenteil: Sie haben weniger hochwertige Lebensmittel, nämlich tierische Eiweiße, die Sie für die Ernährung nutzen könnten.“ Tierische Milch und Milchprodukte sind wichtige Lieferanten von Calcium, Vitamine B2, B12, A und D sowie Jod.
Zu viele Zusatzstoffe
Nicht nur im Kunstfleisch, auch in den veganen Milchersatzprodukten sind die eingesetzten Zusatzstoffe meist kaum zu durchschauen. Sind bei Milch- und Milchprodukten maximal sieben bis acht zusätzliche Stoffe wie zum Beispiel Vitamine erlaubt, sind es bei den veganen Drinks bis zu 50 Verbindungen, die bei der Herstellung eingesetzt werden dürfen. Angefangen vom zusätzlichen Zucker bis zu bestimmen Stabilisatoren, Säureregulatoren und Emulgatoren sind diese zwar einzeln gesehen unbedenklich, ihre Wechselwirkung auf den menschlichen Organismus jedoch kenne keiner, sagt Torsten Sach, Syndikusrechtsanwalt vom Milchindustrie-Verband e.V.. Die Aufschrift „hergestellt in Deutschland“ bedeute keinesfalls, dass auch alle Zutaten aus Deutschland kommen.
Keine Berührungsängste beim MIV
Beim Milchindustrie-Verband e.V. ist man sich darüber im Klaren, dass pflanzliche Milchersatzprodukte für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe große Bedeutung haben. Etliche Mitgliedsbetriebe im MIV stellen selbst schon diese Produkte her. Deshalb hat der Verband damit im Prinzip auch überhaupt kein Problem hat, sagt Sach. Die Molkerei Karwendel zum Beispiel, bekannt mit der Marke Exquisa, hat mit der neuen Marke NOA vegane Aufstriche im Angebot. Beim Käsehersteller Hochland investiert Firmenchef Peter Stahl in Alternativen zu Käse aus Kuhmilch und ist mit der Marke „Simply V“ Marktführer für veganen Käse in Deutschland.
Klare Abgrenzung in der Kennzeichnung
Einwände vonseiten des MIV gibt es immer dann, wenn Produkte aus dem veganen Bereich mit Bezeichnungen versehen werden, die eigentlich den Milchprodukten vorbehalten sind. Butter zum Beispiel ist ein reines Milchprodukt. „Da kann man nicht einfach hergehen und sie als Tofu-Butter bezeichnen“, sagt Sach. Klar ist: In Europa dürfen pflanzliche Produkte nicht als Milch vermarktet werden, denn der Begriff Milch ist rechtlich geschützt. Der Ausdruck „Milch“ ist ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten. Deshalb heißt es nicht „Hafermilch“ sondern „Hafergetränk“ oder „Haferdrink“.
Start-up verliert im Prozess um „Milck“
So genießen Milchprodukte über die gemeinsame Marktordnung einen umfassenden Schutz. Ganz im Sinne der Milchbauern lautete unlängst ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen ein Start-up, das seine Produkte aus Hanfsamen als "hemp milck" kennzeichnete. „Immer mehr Hersteller versuchen, sich an die Milch „heranzurobben“ und das geht natürlich nicht“, sagt Sach. Hier habe eine kleine Start-up-Firma den Aufstand als David gegen Goliath geprobt. „Dieses Narrativ hat nicht funktioniert“, freut sich Sach, weist aber darauf hin, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Gemeinsame Entscheidung
Ein positives Beispiel, wie hochwertige Haferdrinks die Markenprodukte aus Kuhmilch ergänzen können, lässt sich bei der Schwarzwaldmilch beobachten. Die genossenschaftliche Molkerei in Freiburg ist vor rund drei Jahren über ihre Tochtergesellschaft Black Forest Nature mit der veganen Marke „Velike!“ in das Geschäft mit pflanzlichen Alternativprodukten eingestiegen. „Wir können bei dem neuen Markt zusehen, wie uns die Felle wegschwimmen, oder wir können selbst mitmischen“, sagt Dr. Andreas Helm, Geschäftsführer von Black Forest Nature. Er betont, dass die Milcherzeugergenossenschaft von Beginn an hinter der veganen Marke stand. Die Erträge fließen über eine Gewinnabführung ins Mutterunternehmen zurück und kommen so dem Milchgeld zugute.
Mit Hafer aus dem Südwesten
„Es gibt Mandeldrinks, da kommen die Mandeln aus Kalifornien, es gibt Sojadrinks, da kommen die Bohnen aus Asien: Beim Ausloten der potenziellen Rohstoffe sind wir fast schon über den Hafer gestolpert“, erinnert sich Dr. Helm an die Anfänge. Mit dem Thermomix haben er und sein Team die Rohstoffe getestet und geschaut, welche Mischungen am besten schmecken. Dabei hatte der Hafer klar die Nase vorn und neben der Regionalität war von Anfang an klar, dass man mit maximal wenigen Zutaten arbeiten möchte, sagt Helm. Dem Unternehmen kam zupass, dass die Regionale Bioland Erzeugergemeinschaft GmbH (Rebio) in Rottenburg Biolandhafer vertreibt und es auch im Schwarzwald genügend Anbaubetriebe gibt. Verarbeitet und aufbereitet wird der Hafer an der Rubin-Mühle in Lahr-Hugsweier nur unweit vom Offenburger Standort der Black Forest Nature GmbH. „So hat sich alles gefügt“, sagt Helm. Einzigartig kurze Wege und ein hochwertiger Rohstoff aus der Region. Produziert wird der Drink mit einem 15-prozentigen Haferanteil in umweltfreundlichen Mehrwegflaschen.
Rasantes Wachstum
Preislich liegen diese Haferdrinks bei über zwei Euro pro Liter im Ladenregal. Es handelt sich um ein Premiumprodukt mit einer engteiligen Erfassung und Verarbeitung bei vergleichsweise kleinen Mengen. „Wir zahlen nicht nur den Bioland-Poolpreis, sondern noch einen Extraobolus an die Landwirte, die an uns liefern“, sagt Helm. Wie der Handel die Preisempfehlung allerdings umsetze, könne man nicht beeinflussen. Das Geschäft laufe gut. „Wir haben unsere Anfangsplanung zweimal nach oben korrigiert und 2021 in der Menge verdoppelt“, sagt Helm. In den ersten beiden Jahren sei man stärker gewachsen als der Gesamtmarkt. Der Gesamtmarkt wächst im Hafersegment etwa 60 Prozent pro Jahr. Haferdrinks machen anteilsmäßig mittlerweile etwa ein Viertel aller veganen Drinks aus.
Transparent und ehrlich
Insgesamt geht es für Helm um nicht weniger als um die zukunftsfähige Weiterentwicklung der regionalen Landwirtschaft. „Wir versuchen, unseren Markenwert transparent und ehrlich zu gestalten. Unsere Kommunikation ist nachvollziehbar und nachprüfbar," so Helm. Bei der Umstellung der Produktion auf Klimaneutralität gebe es keinen Unterschied zwischen Hafer- und Milchprodukten. Schließlich werde im Verbund produziert. Das gilt gleichermaßen auch auf den Höfen. Die CO2-Kompensation (Carbonfarming mit CO2-Einlagerung durch Humusaufbau) ist sowohl auf den Milchviehbetrieben als auch auf den Ackerbaubetrieben ein großes Thema. "Generell sind wir eine vegane Tochter der Mutter, die keine Phalanx auffährt gegen die Milch. Da wird nicht das eine gegen das andere ausgespielt“, sagt Helm.
Aggressives Marketing bei den Marktführern
Die prallgefüllten Marketingkassen börsennotierter Unternehmen mit einer PR vom Feinsten wie zum Beispiel bei Beyond Meat, einem US-amerikanischen Nahrungsmittelproduzenten, der als Erfinder der pflanzlichen Fleischalternativen gilt oder bei Oatly, dem schwedischen Weltmarktführer für Haferdrinks, kann sich die Schwarzwaldmilch nicht leisten. Oatly zum Beispiel präsentiert sich in der Werbung als Klimaretter. Der Konzern verlangt die gesetzliche C02-Kennzeichnung von Lebensmittelmitteln. Verbraucherschützer jedoch kritisieren die Marketing-Maschen vieler Hersteller schon lange: Produkte „ohne Zuckerzusatz“ enthalten nicht zwingend weniger Zucker als andere, da der natürliche Zuckergehalt höher sein kann. Verwirrend sind auch Werbeaussagen – wie „Natur“ oder „Natural“, diese Bergriffe seien keinesfalls gleichbedeutend mit „ohne Zusatzstoffe“ oder „frei von Zuckerzusatz“. Überhaupt seien die Verpackungen der Milchersatzprodukte oftmals mit Werbung „überladen“. Unter dem Wust von Versprechungen, Labeln und „frei von“-Aussagen seien die wirklich relevanten Inhalte für den Verbraucher nur noch schwer zu finden. Dies alles könnte ein erstes Anzeichen dafür sein, dass auch bei den veganen Drinks die Bäume nicht in den Himmel wachsen werden.
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