Umsatz fällt zurück
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Die Bio-Branche ist verunsichert. Die erzielten Umsätze sind in diesem Jahr rückläufig, erstmals seit 2009. Bei einer Öko-Marketingtagung auf Schloss Kirchberg bei Crailsheim ging es neben der Ursachenanalyse auch um eine Bewertung der Vorgänge und um die Frage, ob das Marktanteils-Ziel von 30 Prozent bis 2030 noch erreicht werden kann.
Die Biobranche hat bisher fast nur jährliche Steigerungen erlebt. 2021 hat sie einen Umsatz von 15, 9 Mrd. Euro erzielt. Von 2012 bis 2021 ist der Bio-Anteil am Gesamtmarkt der Nahrungs- und Futtermittel von 4,3 Prozent auf 6,8 Prozent gewachsen. Im bisherigen Verlauf von 2022 hingegen gab es einen Rückgang: Nach Angaben von Prof. Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Heilbronn ist die Gesamtheit des Bio-Umsatzes in den ersten acht Monaten gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um fünf Prozent zurück gegangen.
Der Experte für Lebensmittelhandel verwies dazu auch auf den Markt mit den konventionellen Produkten. Dort beschränkte sich der Rückgang auf 2,6 Prozent. Bei den Marktanteilen kam es deshalb erstmals seit 2009 zu einem leichten Zugewinn für die konventionelle Kategorie. Sieht man genauer hin, dann zeigt sich, dass die Veränderungen beim Bio-Absatz erheblich tiefgreifender sind als die zusammengefassten Zahlen vermuten lassen.
Konsumklima
Nach Angaben von Diana Schaack von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) hat der Kriegsbeginn in Osteuropa und die Inflationsangst das allgemeine Konsumklima deutlich abgeschwächt. Das haben insbesondere die Naturkostläden zu spüren bekommen. Dort sank der Umsatz bis August um 22 Prozent gegenüber den entsprechenden Vorjahreszahlen. Bei der Direktvermarktung fiel der Umsatz fast ebenso, mengenmäßig ging es dort sogar um 31 Prozent zurück.
Im Gegensatz dazu aber konnte der Bio-Warenverkauf in den Discountern sogar zulegen, um insgesamt 13, 2 Prozent. Diese Beobachtung führt zu mehreren Rückschlüssen: Nach Corona und unter dem Eindruck der Krisen zeigen sich die Konsumenten ausgabenscheu und reagieren preissensibel. Nach Einschätzung von Stephan Rüschen halten sie dabei den Bio-Waren zwar meist die Treue, weichen aber beim Einkauf auf die Discounter-Angebote aus. Der Absatz bei den Bio-Handelsmarken stieg um neun Prozent.
Wandel
In Ländern wie Italien, Schweden und Frankreich setzte der Bio-Rückschritt schon 2021 ein. Deutschland folgte erst 2022, mit dem auffälligen Wechsel beim Einkaufsverhalten und der Hinwendung zum klassischen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und zu den Discountern. Nach Beobachtung des BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) ist der anteilige Wandel am Bio-Gesamtmarkt schon seit einigen Jahren im Gang: 2012 wurden noch 31 Prozent der Öko-Lebensmittel über die Naturkostfachgeschäfte verkauft. Bis 2021 war dieser Wert auf 22 Prozent abgesunken. Der LEH hingegen konnte im selben Zeitraum seinen Anteil von 54 Prozent auf 62 Prozent verbessern. Der Anteil der Erzeuger-Hofläden blieb stabil bei rund 15 Prozent.
Den diesjährigen, sprunghaften Umsatzrückgang bei den Naturkostläden hält Rüschen für existenzbedrohend. Wegen der aktuellen Umsatzentwicklung im Biobereich und der ermittelten Preisbezogenheit der Konsumenten wurde auf Schloss Kirchberg viel über das 30-Prozent-Ziel für Bio-Lebensmittel bis 2030 diskutiert. Laut Diana Schaack müsste dafür die Bio-Gesamtfläche pro Jahr um elf Prozent ansteigen. Gleichzeitig müsste die weitere Produktionskette proportional wachsen, somit auch die Ebenen von Verarbeitung und Handel – bis hin zur Aufnahmebereitschaft der Konsumenten.
Umstellung
Im Grünlandbereich zumindest wurde das Flächenzuwachsziel noch nicht erreicht. Seit 2017 entsprach der jährliche Zuwachs kaum mehr als einem Drittel des genannten Erwartungswertes. Aktuell aber bietet die Marktsituation nur wenig Anreize zur Umstellung. Die Marktpreise für Bio sind in dieser Kategorie weniger stark gestiegen als für konventionelle Produkte.
Ein drastisches Beispiel dafür bietet die Milcherzeugung: Laut AMI lag im August der durchschnittliche Auszahlungspreis pro Liter konventioneller Milch weniger als vier Prozent unter dem Preis für Bio-Milch. 2018 bis 2020 betrug die Differenz noch mehr als 26 Prozent. „ Mit dem gegenwärtigen Trend zur Angleichung gerät bei den Konsumenten die Preiswelt zwischen Bio und konventionell durcheinander“, kritisierte Prof. Kathrin Zander. Die Fachgebietsleiterin für Lebensmittelmarketing von der Universität Kassel-Witzenhausen legte dar, dass Bio-Produkte bei den Verbrauchern bisher immer als hochpreisig galten.
Ausblick
Stephan Rüschen schätzt, dass die gegenwärtige Gesamtsituation noch bis Mitte 2023 anhalten wird. Er betonte dazu, dass niemand genau wissen könne, wann es wieder zu einer Normalisierung komme, und wie diese dann aussehen werde. Der Professor hält daher das Ziel von 30 Prozent Bio-Marktanteil bis 2030 für unrealistisch - insbesondere dann, wenn es zu keiner staatlichen Beeinflussung in dieser Richtung kommt.
„Wir befinden uns in einer marktwirtschaftlichen Delle“, stellte auch Alexander Beck fest. Der geschäftsführende Vorstand der AöL (Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller) forderte einen Systemwechsel für den Bereich der Ernährung. Gemeinsam mit Stephan Rüschen war er überzeugt, dass „die Verbraucher Bio nicht abgewählt haben, sondern lediglich eine zusätzliche Preissensibilität zeigen.“
Entweder vom Staat oder von Nahrungsmittelverarbeitern müsse Geld aufgebracht werden für den Start von nachhaltigen Informations- und Ausbildungsoffensiven im Sinne von pro Bio. Bei den Verbrauchern soll damit erreicht werden, dass sie künftig den Bezug von Bio-Erzeugnissen als das Normale ansehen und der Bezug von konventionellen Produkten die Ausnahme bildet. „Wenn wir das schaffen, haben wir unser Ziel erreicht“, so Beck.
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