
Die ganze Herde im Blick – mit einem Kartenspiel
Obsalim steht für „Observations alimentaires“, abgeleitet aus dem Französischen, und beschreibt „Fütterungsbeobachtungen“. Die beiden Anfangssilben bilden Obsalim. Es geht darum, Kuhsignale zu erkennen, zu interpretieren und dann die Fütterung entsprechend anzupassen. Es ist ein Feintuning der Fütterung. Die Obsalim-Methode hilft, Mängel in der Fütterung aufzudecken, bevor die Kühe krank werden. Es geht um Prävention und um Tierwohl.
von Edith Luttner, Agrarjournalistin, München Quelle Edith Luttner, Agrarjournalistin, München erschienen am 16.07.2024Der Tierarzt Bruno Giboudeau hat in den 1990er Jahren damit angefangen, die Methode zu entwickeln. Er war praktischer Tierarzt und hat die Symptome von kranken Kühen und Kühen mit auffälligem Verhalten auf 61 Karten (nicht größer als Spielkarten fürs Schafkopfen) erfasst, in Gruppen eingeordnet und katalogisiert. Auf jeder Karte ist das jeweilige Symptom mit einem Foto abgebildet und kurz beschrieben. Die Obsalim-Karten gibt es auch als Handy-App.
Die Bayerischen Staatsgüter stellten im Rahmen der Seminarreihe „Praxiswissen aktuell“, unter Federführung von Wolfgang Müller, mit einem Workshop die Obsalim-Methode vor und hatten dafür Mechthild Knösel vom Hofgut Rengoldshausen in Überlingen am Bodensee eingeladen. Sie ist eine der wenigen autorisierten Obsalim-Ausbilderinnen im deutschsprachigen Raum und kontrolliert die Fütterung ihrer eigenen Kühe seit vielen Jahren mit der Obsalim-Methode, die sich auch für die Beurteilung von Ziegen und Schafen eignet.
Bevor Knösel die Methode genauer vorstellte, wies sie darauf hin, dass nur mit gesunden Kühen gesunde Milch produziert werden kann und davon hänge die Wirtschaftlichkeit ab. Denn bei einer ausgewogenen Fütterung seien die Kühe entspannt, verbunden mit einer höheren Lebensleistung und einem längeren Leben. Sie berichtete von ihren Erfahrungen mit Obsalim in ihrer eigenen Herde sowie in Herden von anderen Landwirten. Demnach gebe es in fast allen Herden Probleme mit der Pansenstabilität, also instabilen pH-Werten im Pansen (meist Pansenübersäuerung), sodass die Verdauung nicht optimal funktionieren kann. Dies gelte es zuerst in Ordnung zu bringen. „Stellschrauben sind Futtermittel, Rationen und Fütterungszeiten. Wird ein Futtermittel nur alle 24 Stunden vorgelegt, müssen sich die daran angepassten Pansenbakterien immer erst wieder neu aufbauen, weil sie 24 Stunden nicht überleben – also ein und dasselbe Futtermittel besser zweimal am Tag vorlegen“, empfahl Knösel. Bei Maßnahmen, die stark in die Arbeitswirtschaft des Betriebes eingreifen, sei allerdings stets die Verhältnismäßigkeit im Blick zu halten.
Intervallfasten für Kühe
Oftmals würde den Tieren auch zu wenig Zeit zum Wiederkäuen eingeräumt, der Futtertisch dürfe ruhig mal leer sein. Die Tiere sollten hungrig zur Mahlzeit kommen und nicht im Futter herumselektieren, weil sie eigentlich satt sind. „Das widerspricht zwar allem, was man als Landwirt in der Ausbildung lernt“, räumte Knösel ein, „aber bei den Kühen bilden sich die Symptome zurück mit gleicher Milchleistung und weniger Futter und Arbeit.“
Auf ihrem eigenen Betrieb haben die Kühe im Sommer Vollweide und sie geben sich selbst den Rhythmus von Fressen und Ruhen zum Wiederkäuen. Im Winter bekommen ihre Kühe nur Heu, zwei Hauptmahlzeiten – morgens und abends zur Melkzeit – und zwei kleinere Zwischenmahlzeiten. Dazwischen ist Futter- und Fresspause. Knösel sagte: „Wiederkauen ist Arbeit, die Zeit beansprucht.“ Die Fresspausen würden die Futter- sowie die Energieeffizienz verbessern und den Pansen stabilisieren.
Kühe genau beobachten
Knösel erklärte in ihrem Vortrag, welche Symptome für die Tierbeobachtung wichtig, wie sie zugeordnet und bewertet sind. Die wichtigsten Anzeichen sind in 15 Bereiche zur Beobachtung eingeteilt. Da sind zum Beispiel die allgemeinen Beobachtungen, die Körperkondition, die allgemeine Sauberkeit, der Zustand des Fells oder das Verhalten der Kühe. Bewegen sich die Kühe sehr langsam oder gehen welche eher aufgeregt durch den Stall? Sind Kühe dabei, die eher mager sind oder solche mit dauerhaft aufgeblähten Flanken? Hinzu kommen Kot, Harn, Augen, Nase, Klauenerkrankungen, Futteraufnahme und Wiederkäuen. Beispielsweise beschreibt die Karte 34 eine blasse Nase, die Kuh hat einen zu niedrigen Blutdruck. Auf jeder Karte wird jedem Symptom ein Wert zwischen minus (-) 2 und plus (+) 2 gegeben.
Vier Schritte zum Erfolg
1. Die Herde: Der Milchviehhalter beobachtet immer die ganze Herde beziehungsweise eine Kuhgruppe, die beispielsweise die gleiche Ration gefüttert bekommt. Je einheitlicher sich die Kuhherde präsentiert, umso ausgeglichener ist die Fütterung.
2. Das Kniekreuz: Mit der Beurteilung des Kniekreuzes können Fütterungsdefizite und Umweltmängel entlarvt werden. Das Kniekreuz ist eine gedachte horizontale Linie zwischen Buggelenk und Knie und bildet auf Höhe des Knies eine vertikale Linie. Sind die Kühe unterhalb der horizontalen Kniekreuzlinie verschmutzt, muss die Fütterung unter die Lupe genommen werden. Sind die Kühe hinter dem Kniekreuz verschmutzt, sollten die Liege- und Laufflächen in Augenschein genommen werden.
3. Einzelsymptome erkennen: Sie sind gegliedert in verschiedene Bereiche – vom Kopf über den Körper bis zu Milch, Kot und Harn. „Tritt ein Symptom vermehrt auf, muss man prüfen, ob die Hälfte, besser noch zwei Drittel der Herde das Symptom zeigt“, sagte Mechthild Knösel. „Nur dann nimmt man das Symptom in die Bewertung.“ Lässt sich ein Anzeichen nicht eindeutig erfassen, wird es nicht gezählt.
4. Die Auswertung: Hier helfen die Karten beziehungsweise die Handy-App. „Weil es meistens mehrere Möglichkeiten gibt, was an der Fütterung geändert werden könnte oder sollte, sei es wichtig, immer nur einen Baustein zu verändern. Denn: Obsalim funktioniert nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“. Das heißt: Nur einen Punkt ändern und abwarten, ob und wenn ja, wie sich die Symptome entwickeln. Erst im nächsten Schritt kann nachjustiert werden.
Auch wenn es anfangs viel Zeit kostet, die Obsalim-Methode zu erlernen, hat der Landwirt auf der anderen Seite den Vorteil, dass er sein Fütterungsmanagement selbst in der Hand hat. Im Gegensatz zu Futteranalysen, Rationsberechnungen und Auswertungen der Milchleistungsprüfung (MLP) kann der Milchkuhhalter mit der Obsalim-Methode zeitnah und präzise den Stoffwechselzustand der Herde beurteilen. Er lernt seine Kühe besser kennen und mit der Zeit kennt er immer mehr Symptome und weiß um die Ursachen. Mechthild Knösel empfiehlt mindestens einmal im Monat die Herde mit der Obsalim-Methode zu beurteilen, bei Problemen häufiger.




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