
Guter Umgang zahlt sich aus
Positive Mensch-Tier-Beziehungen reduzieren den Stress im Rinderstall und erleichtern die Handhabung der Tiere bei medizinischen Behandlungen, Kotprobennahmen, Besamungen und Trächtigkeitsuntersuchungen. Gleichzeitig sinkt das Verletzungsrisiko für Menschen und Rinder. Ganz besonders aber trägt eine positive Mensch-Tier-Beziehung zu einem besseren Wohlbefinden der Tiere bei.
von Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, Fachhochschule Kiel, Fachbereich Agrarwirtschaft Quelle Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, Fachhochschule Kiel erschienen am 21.01.2025Von Natur aus sieht ein Rind in einem Menschen erst einmal ein „Raubtier“, weshalb sein Urinstinkt im Normalfall dazu führt, die Flucht anzutreten. Damit dies nicht passiert, kann man versuchen, den Rindern durch ein Verhaltenstraining die Angst vor den Menschen zu nehmen. Hierfür kommen verschiedene Techniken in Frage.
Gewünschtes Verhalten fördern
Eine davon ist die „Operante Konditionierung“. Diese Lernmethode, die vor allem durch die Arbeit des amerikanischen Psychologen B. F. Skinner in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär wurde, zielt darauf ab, Verhaltensweisen durch Belohnungen oder Bestrafungen zu verstärken beziehungsweise einzudämmen. Dabei geht es darum, ein Tier (oder auch einen Menschen) dazu zu bringen, ein bestimmtes Verhalten häufiger zu zeigen oder es zu lassen, indem die Konsequenzen dieses Verhaltens kontrolliert werden.
Hierfür wird als Verfahren die positive oder negative Verstärkung eingesetzt. Im ersten Fall wird dem Tier eine Belohnung angeboten, sobald es ein gewünschtes Verhalten zeigt. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass das Tier dieses Verhalten wiederholt. Bei einer negativen Verstärkung wird ein unangenehmer Reiz entfernt, wenn das Tier ein bestimmtes Verhalten zeigt. Auch das soll dazu führen, dass das Tier dieses Verhalten fortan häufiger zeigt.
Einfacherer Umgang mit Rindern
In einer Studie von Marchesini et al. (2023) in einem Milchkuhbetrieb in Nordostitalien wurde nun untersucht, ob das operante Konditionieren bei Jungrindern effektiv ist, um Stress bei den Tieren zu reduzieren und den nahen Kontakt und die Handhabung der Rinder durch Menschen zu erleichtern. Zudem sollte ermittelt werden, wie viel Zeit ein Landwirt hierfür aufbringen muss. Die Untersuchung wurde von Februar bis April 2021 durchgeführt. Der Betrieb hielt 230 laktierende Kühe, darunter 40 Prozent (%) Erstkalbinnen im Laufstall. Die durchschnittliche tägliche Milchleistung betrug 33 Kilogramm (kg) pro Kuh. Insgesamt wurden 60 Holstein-Jungrinder, aufgeteilt in zwei Altersgruppen, in das Experiment eingebunden:
1. Gruppe „Jung“: n = 29; 291 plus/minus (±) 39 Tage alt
2. Gruppe „Alt“: n = 31; 346 ± 62 Tage alt
Die Jungrinder wurden in einem Laufstall mit Betonspaltenboden in zwei Abteilen mit je 40 Liegeboxen (Matratzen und Stroh) und je 24 Fangfressgitter-Plätzen gehalten. Neben den Haltungsbedingungen war auch die Fütterung beider Gruppen identisch. Sie wurden einmal täglich mit einer TMR aus Weizen-, Sorghum- und Maissilage sowie Mineralfutter gefüttert.
Unterschiedliche Reaktion auf Menschen
Die 60 Jungrinder wurden für den geplanten Vermeidungsdistanz-Test (ADT) in drei Klassen, sogenannte RTH-Klassen, eingeteilt. RTH bedeutet in diesem Zusammenhang die „Reaktionsbereitschaft auf den Menschen“. Hierfür wurden alle Jungrinder am ersten Versuchstag getestet. Dafür standen sie am Futtertisch und waren in geschlossenen Fangfressgittern fixiert und eine erfahrene, unbekannte Person näherte sich ihnen frontal mit einer Geschwindigkeit von einem Schritt pro Sekunde, beginnend aus einer Entfernung von etwa vier Metern (m). Dies geschah eine halbe Stunde vor der üblichen TMR-Vorlage und wurde zweimal nacheinander durchgeführt.
Sobald die Rinder versuchten wegzulaufen, stoppte die Person, und die Entfernung von ihrer ausgestreckten Hand bis zum Maul wurde mit einem Laserentfernungsmesser gemessen. Falls ein Rind die Berührung am Flotzmaul duldete, aber unmittelbar danach fliehen wollte, wurde als Entfernung 0,05 m festgehalten. Wenn hingegen ein Jungrind diese Berührung mindestens fünf Sekunden akzeptierte, wurde als Entfernung 0 m dokumentiert. Auf diese Weise ergaben sich die drei folgenden RTH-Klassen:
• RTH-Klasse C: Zuversichtlich (n = 20; ADT kleiner/gleich (=) 0,45 m),
• RTH-Klasse N: Neutral (n = 21; ADT größer als (>) 0,45 und = 1,05 m) und
• RTH-Klasse NC: Nicht zuversichtlich, zurückhaltend (n = 19; ADT > 1,05 m).
Konditionierung im Fokus
In dem insgesamt zwölf Wochen dauernden Versuch wurden jeweils ungefähr die Hälfte der Jungrinder jeder RTH-Klasse operant konditioniert („Tr“, n = 31), während die andere Hälfte der Tiere als Kontrollgruppe fungierte, die in kein Training einbezogen wurde („NTr“, n = 29). Die Jungrinder der Versuchsgruppe „Tr“ wurden über neun Wochen in 20 Sitzungen mit operantem Konditionieren darauf trainiert, sich einer Person zu nähern und von ihr angefasst zu werden. Angefasst wurden die Rinder nach dem Verteilen der TMR am Futtertisch. Bei den ersten drei Sitzungen waren die Tiere noch im Fangfressgitter fixiert, danach nicht mehr.
Acht Sitzungen dienten dem sogenannten Zieltraining. Hierfür wurde ein Stock mit einem am Ende befestigten Tennisball vom Trainer dem Maul des Tieres (von 30 bis 60 cm Entfernung) genähert. Das Jungrind wurde jedes Mal mit der Hand des Trainers belohnt, wenn es das Ziel berührte. Jedes Tier sollte innerhalb von zwei Minuten dreimal das Ziel berühren. Die dafür benötigte Zeit wurde aufgezeichnet. Wurde die Aufgabe nicht erfüllt, wurde die Zahl der Berührungen innerhalb von zwei Minuten festgehalten. Anfänglich gab es bei allen „Tr“-Jungrindern eine positive Verstärkung, wobei die Belohnung – je nach Vorliebe – aus einer halben Handvoll Kälberaufzucht-Pellets oder einer Trockensteherration bestand.
Bei den Jungrindern (n = 11), die sich in Gegenwart von Menschen unwohl fühlten (RTH-Klasse NC), kam nach der abgelehnten Futterbelohnung eine negative Verstärkung zum Einsatz. Das bedeutete, dass sich der Trainer einen Schritt vom Tier wegbewegte und seinen Blick vom Tier abwendete (nach unten und zur Seite). Eine positive Verstärkung ersetzte dann eine negative Verstärkung, sobald das Jungrind begann, die Futterbelohnung zu akzeptieren.
Keine Angst vor Berührungen
Neben dem Zieltraining wurde in sechs weiteren Sitzungen versucht, die Tiere mit der Hand am Flotzmaul zu berühren. Akzeptierten die Jungrinder diese Berührung, wurden sie mit Streicheln belohnt. Wenn sich jedoch ein Tier der Berührung verweigerte, zogen sich die Trainer zurück. Schließlich dienten sechs weitere Sitzungen dem Test, ob sich die Tiere am Hinterteil und am Perineum (Bereich zwischen After und Geschlechtsorganen) berühren und sanft am Schwanz greifen ließen. Hier wurde die Zeitdauer vom Ergreifen des Schwanzes bis zum Rückzug des Jungrindes erfasst. Wenn diese Dauer mindestens 15 Sekunden (sec) betrug, wurde die Aufgabe als vollständig erfüllt angesehen, weil durchschnittlich 15 sec benötigt werden, um Blut aus dem Schwanz oder Kot aus dem Rektum zu entnehmen.
Alle Jungrinder wurden erfolgreich darauf trainiert, das Ziel innerhalb von zwei Minuten dreimal zu berühren. Dafür reichten fünf Trainingseinheiten aus, um die Trainingszeit signifikant (p < 0,05) von anfänglich fast 40 auf 20 sec reduzieren. Danach veränderte sich die benötigte Zeit nicht mehr. Bis zur fünften Sitzung gab es in jeder Sitzung ein oder zwei Rinder, die die Aufgabe nicht innerhalb von zwei Minuten erfüllten, ab der sechsten Sitzung schafften es jedoch alle Jungrinder. Während sich das Alter der Tiere nicht auswirkte, gab es zwischen den einzelnen RTH-Klassen jedoch erhebliche Unterschiede.
So benötigten die nicht als zuversichtlich eingestuften Tiere der Klasse NC mehr Zeit als die Jungrinder der beiden anderen RTH-Klassen, um das Ziel dreimal zu berühren. Auch die Streuung zwischen den ängstlicheren Tieren (RTH-Klasse NC) war größer als bei den beiden anderen RTH-Klassen. Das betraf genauso die unterschiedlichen Altersstufen, wobei die jüngeren Jungrinder der RTH-Klassen C und NC die Aufgabe insgesamt schneller erfüllten als die älteren Jungrinder dieser beiden RTH-Klassen. Weitere Ergebnisse der Studie waren:
Am ersten Trainingstag zogen sich 22 % der als zuversichtlich eingestuften Jungrinder (RTH-Klasse C), 36 % der sich dem Menschen gegenüber neutral verhaltenen Jungrindern (RTH-Klasse N) und 50 % der zurückhaltend-ängstlichen Jungrinder (RTH-Klasse NC) jeweils zurück, als ihnen die positive Verstärkung (Futter) nach der absolvierten Aufgabe angeboten wurde. Diese Tiere benötigten eine negative Verstärkung (vorübergehende Entfernung des Betreuers) als Belohnung. Die korrekte Anwendung der negativen Verstärkung bei den misstrauischsten Tieren war wichtig, um diese Tiere weiter erfolgreich in das Training einzubeziehen. Vom zweiten Tag an benötigten die zuversichtlichen Jungrinder (C) keine negative Verstärkung mehr, während die Tiere der anderen Gruppen noch bis zur sechsten (N-Jungrinder) beziehungsweise siebten Sitzung (NC-Jungrinder) warten mussten. C-Jungrinder waren grundsätzlich toleranter gegenüber Berührungen am Maul als die Tiere der anderen beiden RTH-Gruppen. In den letzten vier Konditionierungssitzungen wurden die Jungrinder am Hinterteil angefasst und ihr Schwanz sanft ergriffen. Alle Jungrinder aller RTH-Klassen ließen dieses letztlich (für 15 sec) zu, ohne auszuweichen, wobei die jüngeren Tiere diese Berührung länger zuließen als die älteren Rinder.
Die zutraulichen Rinder (RTH-Klasse C) zeigten zu Versuchsbeginn eine niedrigere Vermeidungsdistanz zu Menschen (ADT) als die Tiere der Klassen N und NC (p < 0,001). Diese Distanz wurde durch das Training nicht beeinflusst, aber durch den Zeitraum; sie verringerte sich im zweiten Versuchszeitraum signifikant im Vergleich zum ersten (p < 0,001). Die Verringerung des ADT am Ende des Experiments, besonders für die N- und NC-Tiere, war auf das während der Trainingssitzungen erworbene Selbstvertrauen zurückzuführen, und wahrscheinlich auch auf die Gewöhnung an die Anwesenheit des Personals bei den nicht trainierten Färsen. Überraschenderweise verringerten auch die nicht trainierten Jungrinder (NTr) ihre Vermeidungsdistanz ganz ähnlich, was sich vermutlich auf nicht-assoziatives Lernen, wie beispielsweise Gewöhnung, und soziales Lernen stützt. Darüber hinaus tendieren Rinder als Herdentiere dazu, das Verhalten ihrer Gruppenmitglieder zu imitieren oder sich daran anzupassen, vermutlich wegen ihrer Fähigkeit, durch Nachahmung zu lernen.
Trainingszeit erforderlich
Legt man die Ergebnisse der Studie zugrunde, könnte ein Landwirt, der zum Beispiel 100 Jungrinder konditionieren möchte, die hierfür nötige Zeit auf sechs Tage pro Woche verteilen. So könnte jedes Jungrind in den ersten drei Wochen zweimal trainiert werden, und anschließend einmal in der Woche, insgesamt vier Wochen lang, dafür trainiert werden, sein Hinterteil berühren und den Schwanz ergreifen zu lassen. Die dafür benötigte tägliche Zeit zur ersten Konditionierung der Jungrinder würde in den ersten drei Wochen im Schnitt etwa 14 Minuten (min) pro Tag betragen (25,3 sec × 100 Tiere × 2 Sitzungen = 84,3 min, auf sechs Tage aufgeteilt = 14 min pro Tag) und dann vier Minuten pro Tag (15 sec × 100 Tiere × 1 Sitzung = 25 min, auf sechs Tage aufgeteilt = 4 min) für die nächsten vier Wochen für das Training zum Berühren des Hinterteils und Anfassen des Schwanzes. Damit hält sich der tägliche Zeitaufwand von 14 Minuten in Grenzen, und das für das erwartbare Ziel, die Jungrinder für klinische Untersuchungen, Blut- und Kotprobenentnahmen, Besamungen oder Gewichtsbestimmungen einfacher handhaben zu können.
In der Studie von Marchesini et al. (2023) zeigten alle 31 Jungrinder nach fünf Trainingseinheiten zufriedenstellende Ergebnisse, wobei jede Sitzung durchschnittlich 25,3 Sekunden dauerte. Ängstlichere Tiere benötigten mehr Zeit, um miteinander umzugehen und die Belohnungen durch Futter zu akzeptieren. Neben der Gesundheitsüberwachung sollte auch das Wachstum der Jungrinder regelmäßig überprüft werden. Hierfür müssen die Tiere fixiert werden, was oft mit Stress für die Tiere und Landwirte verbunden sein kann und immer eine potenzielle Gefahr für Menschen darstellt, weil gerade unerfahrene Rinder die Fixierung und Handhabung als bedrohlich empfinden. Die vorliegenden Studienergebnisse verdeutlichen, dass das operante Konditionieren, auch wenn dieses nur bei einigen Rindern der Herde stattfindet, letztlich nicht nur deren Verhalten beeinflusst, sondern auch die Reaktionsfähigkeit derjenigen Tiere auf Menschen, die nicht trainiert werden – im letzteren Fall beispielsweise durch Gewöhnung. Das kann Stress bei Menschen und Tieren und auch gesundheitliche Gefahren, vor allem für die Menschen, reduzieren.
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