Ein sehr sensibler Markt
2017 hat das Thünen-Institut für Ökologischen Landbau gemeinsam mit der Bioland-Beratung die Ergebnisse einer zweijährigen Studie über die Schaf- und Ziegenmilchbranche in Deutschland veröffentlicht. Andreas Kern, Fachberater für Schafe und Ziegen beim Biolandverband Baden-Württemberg, hat an den Erhebungen und Auswertungen mitgearbeitet. Lesen Sie hier, wie er den Markt für Schaf- und Ziegenmilch aktuell bewertet.
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BWagrar: Herr Kern, die Studie des Thünen-Instituts über die Schaf- und Ziegenmilchbranche in Deutschland aus dem Jahr 2017 prognostizierte eine deutliche Zunahme der Erzeugung von Schaf- und Ziegenmilch. Die Autoren sprachen von einem Nachfrageüberschuss auf dem deutschen Markt mit viel Luft nach oben. Hat sich dieseVorhersage bewahrheitet?
Kern: Eine schwierige Frage. Bewahrheitet hat sich, dass sich die Produktion seit der Studie erhöht hat. Allerdings fiel es in den letzten 15 bis 18 Monaten schwer, diese Produktionssteigerung am Markt abzusetzen. Die Branche hat unterschätzt wie sensibel dieser Nischenmarkt auf Produktionsausweitungen reagiert.
Die Schwierigkeiten der letzten eineinhalb Jahre beruhen darauf, dass die Nachfrage in den Jahren davor nach Bio-Ziegenmilch hoch war. Dies führte dazu, dass sowohl bestehende Betriebe ihre Produktion erhöhten, aber auch Neubetriebe in diesen Betriebszweig einstiegen. Allerdings dauert es natürlich immer eine gewisse Zeit, bis diese Produktionssteigerung dann tatsächlich am Markt ankommt. Aber erst dann kann die Milch verarbeitet werden, und dem Kunden angeboten werden. Und natürlich braucht es Zeit, bis der Kunde dann das neue Angebot nutzt. Es ist also eine große Herausforderung, in einem wachsenden Markt Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. Bislang hatten sich die Verarbeiter darauf verlassen, Milch, die sie nicht benötigten, hochpreisig am Spotmarkt abzusetzen zu können. Diese Möglichkeit ist in den letzten Monaten eingebrochen, weil auch in anderen Ländern, etwa in Österreich und den Niederlanden, die Produktionsmengen gesteigert wurden.
Einige Molkereien, auch im benachbarten Ausland, haben deshalb 2019 Kontingentierungen eingeführt. Was letztlich auch gutgetan hat. Nach aktuellen Aussagen von Molkereien wurden die letzten Monate genutzt, um am Markt zu agieren und neue Abschlüsse zu erzielen. Im Moment sieht es so aus, dass der Markt wieder anzieht, die aktuell produzierten Milchmengen können gut am Markt platziert werden. Die Kontingentierung ist aufgehoben.
Die in der Studie genannte Luft nach oben ist sicherlich da, es muss aber nochmals gesagt werden, dass der Ziegenmilchmarkt ein sehr sensibler Markt ist, in dem man mit Produktionssteigerungen sehr vorsichtig umgehen muss. Es braucht eine gute Planung, Marketing und Zeit, um höhere Produktionsmengen und neue Produkte am Markt zu platzieren.
BWagrar: Wie erfolgte die Produktionssteigerung in Deutschland? Hat sich die Zahl der Erzeuger erhöht oder haben die Betriebe nur ihre Tierzahlen aufgestockt?
Kern: Beides. Bestehende Betriebe haben sich professionalisiert. Das heißt, sie haben nicht nur die Herden aufgestockt, sondern auch die Leistung pro Tier verbessert. Gleichzeitig sind auch neue Betriebe hinzugekommen. Auch aktuell weiß ich von einigen Betrieben, die im Aufbau sind. Das findet aber in Absprache mit dem Milchabnehmer statt. Von den Molkereien gesucht sind Betriebe die, hochprofessionell, Ziegenmilch erzeugen können und die nachhaltig und langfristig als Partner zur Verfügung stehen. Neueinsteiger sind zum größeren Teil Betriebe, die abliefern. Es steigen aber auch weiterhin Betriebe in die Hofverarbeitung und Direktvermarktung ein. Denn von der Krise der letzten eineinhalb Jahre haben die Hofverarbeiter und Direktvermarkter deutlich weniger gespürt.
BWagrar: Welche Veränderungen sehen Sie auf Schaf- und Ziegenbetrieben?
Kern: Die Qualitätsstandards auf den Betrieben erhöhen sich stetig. Die Betriebe professionalisieren sich, selektieren ihre Herden und optimieren die Tiergesundheit. Ich stelle fest, dass die Milchleistung pro Tier höher geworden ist. Das ist ein laufender Prozess. Zudem habe ich den Eindruck, dass Neueinsteiger heute auf einem hohen Niveau beginnen. Sie sind gut informiert und wissen, worauf es ankommt.
BWagrar: Welche Faktoren beeinflussen die Wirtschaftlichkeit?
Kern: Das sind die klassischen Faktoren wie in der Kuhmilchproduktion auch: Management, Tiergesundheit, Genetik, Haltung, Fütterung, Vermarktung. Der wichtigste Faktor ist natürlich der Betriebsleiter. Dann braucht es gesunde Tiere mit einer guten Genetik, die unter optimalen Bedingungen gehalten werden und auf Basis von qualitativ hochwertigem Grundfutter leistungsgerecht versorgt werden. Um das alles bewerkstelligen zu können, muss der Betrieb sehr gut organisiert sein. Das sehe ich als größte Herausforderung. Denn die die Arbeitsbelastung ist deutlich höher als in der Kuhmilchproduktion. Und schließlich der Milchverkauf. Ob ich eine gute Hofverarbeitung und -vermarktung habe und mir dort meine Wertschöpfung hole, oder ob und zu welchen Konditionen ich die Milch abliefere. Als abliefernder Betrieb spielt zudem die Betriebsgröße eine wichtige Rolle
BWagrar: Welche Rolle spielt die Vermarktung der Kitze?
Kern: Das ist auch ein wichtiger Faktor. Es ist nach wie vor eine große Herausforderung, von Anfang an gute Vermarktungsmöglichkeiten für die Kitze zu haben. Es sind inzwischen größere Aktivitäten zu beobachten, sowohl von Praktikerseite als auch von Organisationen rund um die Schaf- und Ziegenmilchproduktion, Vermarktungsperspektiven aufzubauen. Bei Projekten im Allgäu (Allgoiß) oder im Spessart (Goatober) wurde festgestellt, dass sich das Fleisch gut über die Gastronomie vermarkten lässt. Bislang fehlt es allerdings an einer Vermarktungsorganisation, die als Ansprechpartner und Vermittler zwischen Landwirten und Abnehmer, zum Beispiel Gastronomen oder Handel, auftritt. Aktuell wird mit verschiedenen Initiativen versucht, diese Lücke zu schließen. Weil die Vermarktung von Kitzen schwierig ist, versuchen immer mehr Betriebe, die Anzahl der geborenen Kitze zu minimieren, indem sie die Zwischenlammzeit erhöhen oder, anders ausgedrückt, die Ziegen „dauermelken“. Das geht bei Ziegen gut und macht den Ziegen nichts aus. Wir haben Betriebe, die belegen ihre Tiere teilweise nur noch zweimal im Leben. Für einer erfolgreiche Umsetzung braucht es aber auch dafür ein gutes Management.
BWagrar: Und zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft. Wie wird sich die Branche und der Markt Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?
Kern: Ich bin optimistisch, dass der Markt, wie in den vergangenen 25 Jahren auch, stetig weiterwachsen wird. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass es weiterhin ein Nischenmarkt bleiben wird. Wenn Betriebe wachsen wollen, sollten sie das immer mit dem Vorsatz tun, erst qualitativ, dann quantitativ zu wachsen. "Milchleistung pro Tier" und "Umsatz pro Kilogramm Milch" sind entscheidend für den Betriebserfolg. Natürlich müssen auch die Kosten im Blick behalten werden. Wichtig für die Branche wird es auch sein, attraktive Vermarktungsmöglichkeiten für die männlichen Kitze zu entwickeln, denn auch für die Ziegenmilchproduktion benötigt es Nachwuchs. Ein Neueinstieg kann lohnen, wenn man einen Abnehmer oder einen Markt vor der Haustüre hat und wenn die Milchproduktion zum Betrieb und seinen Bewirtschaftern passt. Ziegenmilchproduktion macht Spaß, ist aber kein Selbstläufer.
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