Was steht in der Agrarbranche an?
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Prof. Dr. Reiner Doluschitz im Interview
Was steht in der Agrarbranche an?
Prof. Dr. Reiner Doluschitz, seit 1995 Leiter des Fachgebietes Agrarinformatik und Unternehmensführung, seit 2007 auch der Forschungsstelle für Genossenschaftswesen und seit 2017 des Food Security Center an der Universität Hohenheim, scheidet am 31. März 2021 aus dem aktiven Dienst aus. Seine Forschungsarbeit umfasst Politikanalyse, Informationsmanagement, Nachhaltigkeit, Qualitätssicherung, ländliche Entwicklung und vor allem auch Genossenschaftsfragen. Im Gespräch mit BWagrar äußert sich der Betriebswirtschaftler zu aktuellen Herausforderungen in der Agrarbranche.
BWagrar: Herr Professor Doluschitz, wie können die Agrarumweltprogramme des Landes mit Blick auf die künftige Gemeinsame Agrarpolitik gesichert und ausgebaut werden?
Doluschitz: Zu Beginn meiner akademischen Laufbahn in der Agrarfakultät der Universität Hohenheim hatte ich das große Glück, zusammen mit meinem Doktorvater Jürgen Zeddies, die Entwicklung des ersten MEKA-Programms und insbesondere dessen Agrarumweltmaßnahmen wissenschaftlich begleiten zu dürfen. Seinerzeit waren Agrarumweltfragen und -zusammenhänge noch relatives Neuland.
Die Gemeinsame EU-Agrarpolitik zeigt sich seither viel deutlicher an Agrarumweltbelangen orientiert – auch in ihrer ersten Säule. Es ist vor diesem Hintergrund deutlich schwerer geworden, Agrarumweltmaßnahmen zu entwickeln, die hier noch spezifische Zusatzwirkungen erwarten lassen. Häufig gelingt dies nur noch in „Nischen“. Es stellt sich dann die Frage, ob der mit der Maßnahmenverwaltung einhergehende Aufwand noch zu rechtfertigen ist.
BWagrar: Wie kann die Digitalisierung von kleineren und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben kostengünstig eingesetzt werden und Nutzen bringen?
„Immer größer werdende digitale Agrartechnik kann in kleinen und mittleren Betrieben immer seltener wirtschaftlich eingesetzt werden. Als Lösung bietet sich überbetriebliche Arbeitserledigung an.“
Doluschitz: Immer größer werdende digitale Agrartechnik mit großem Leistungsvorrat kann in kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben immer seltener wirtschaftlich eingesetzt werden. Kleine Betriebe sind nicht in der Lage, den gebotenen Leistungsumfang im jeweiligen Einzelbetrieb auszuschöpfen und damit die Kosten des Einsatzes zu minimieren.
Als Lösungsmöglichkeit für kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe bieten sich überbetriebliche Angebote der Arbeitserledigung an. Diese können beispielsweise von Maschinen- und Betriebshilfsringen oder von landwirtschaftlichen Lohnunternehmern angeboten werden.
Auch durch Kooperationen, zum Beispiel in Form von Maschinen- oder Betriebszweiggemeinschaften lässt sich der Technologiezugang ermöglichen. Beispielsweise um-fasst der Leistungsvorrat eines Automatischen Melksystems mit einer Melkeinheit 60 bis 70 Milchkühe. Diese Bestandsgröße wird von Einzelbetrieben in Baden-Württemberg häufig nicht erreicht, kann aber im Zuge einer Betriebszweigkooperation entstehen.
BWagrar: Wie können ländliche Genossenschaften im Wettbewerb der heutigen Zeit bestehen und dabei erfolgreich sein?
Doluschitz: Angesichts insbesondere struktureller Entwicklungen im Agrarsektor wird es für ländliche Genossenschaften immer wichtiger, unternehmensinterne und externe Entwicklungserfordernisse unter Beachtung der rechtsformspezifischen Stärken von Genossenschaften hervorzuheben und weiter zu entwickeln. Im Zentrum stehen hierbei die Mitglieder- und Werteorientierung als Alleinstellungsmerkmale und die kompetente Beratungs- und Serviceorientierung. Dabei müssen insbesondere jüngere Mitglieder gewonnen und für die Genossenschaftsidee begeistert werden.
„Genossenschaftliche Solidarität ist heute nicht mehr selbstverständlich, sondern im partnerschaftlichen Dialog zu erarbeiten.“
Die genossenschaftliche Solidarität ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern will auf Basis eines partnerschaftlichen Dialogs erarbeitet werden. Um bei den Mitgliedern ein genossenschaftliches Bewusstsein hervorzurufen, das sie langfristig an die Genossenschaft bindet, muss die Mitgliedschaft hinreichend attraktiv gestaltet werden.
Transparenz, Mitgliederkommunikation und -partizipation stehen somit im Mittel-punkt bezüglich der Erhaltung des bewährten demokratischen Prinzips in Genossenschaften. Bei der Wahl der Kommunikationskanäle und -medien ist darauf zu achten, dass gerade auch Mitglieder der jüngeren Generation adäquat erreicht werden.
BWagrar: Sie scheiden am 31. März 2021 aus dem aktiven Dienst der Universität Hohenheim aus. Werden Sie die Auslandsaufenthalte vermissen, beispielsweise in China, Südostasien, Äthiopien, Mittelamerika und zuletzt in Brasilien?
Doluschitz: Ich müsste lügen, wenn ich hier mit „nein“ antworten würde. Dienstreisen, insbesondere solche mit fernen Zielen im Ausland, haben mir immer große Freude bereitet und waren quasi das Salz in der Suppe meiner Tätigkeit als Agrarökonom.
„Durch Aufenthalte im Ausland hat sich mein Verständnis gegenüber internationalen Politik- und Wirtschaftsfragen geschärft.“
Ein besonderer Anreiz war es dabei immer, neben den Dienstaufgaben die Möglichkeit zu haben, andere Kulturen und Menschen kennen und schätzen zu lernen. Dadurch haben sich mein Horizont, aber auch mein Urteilsvermögen und Verständnis gegenüber internationalen Politik- und Wirtschaftszusammenhängen erweitert und geschärft. Über jahrzehntelange Kooperation, zum Beispiel mit den Kollegen in China oder auch den strategischen Partnern des Food Security Centers, sind Freundschaften entstanden, die ich gern weiter pflegen möchte, wenn sich entsprechende Möglichkeiten ergeben.
BWagrar: Haben Sie für die neue Lebensphase bereits Pläne geschmiedet?
Doluschitz: Ja, auf alle Fälle. Zunächst ist es allerdings so, dass nicht alle Projekte, insbesondere noch einige Promotionsverfahren, zum 31. März 2021 abgeschlossen sein werden. Meine verlässlich gegenüber den Doktorandinnen und Doktoranden zugesagte Betreuung bis zum Abschluss werde ich einlösen. Auch werde ich Projekte, an denen mir über Jahrzehnte hinweg viel gelegen war, wie unsere Projekte mit chinesischen Partnern, weiter verfolgen und begleiten. Auch die Mitwirkung in einigen Gremien möchte ich noch einige Zeit aufrechterhalten.
Daneben möchte ich mich aber auch stärker ehrenamtlich betätigen, unter anderem im Förderverein des Freilichtmuseums Beuren im Landkreis Esslingen. Meine Frau ist dort schon längere Zeit aktives Mitglied im Gartenteam, ich selbst neuerdings im Genussteam „Alte Sorten“. Hier lassen sich ländliche Kultur und mein Hobby Fotografie sehr gut miteinander verbinden.
Schließlich sind da noch die beiden Enkelsöhne, die sich auf mehr gemeinsam mit dem Opa verbrachte Zeit freuen.
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