Biodiversität ist in schlechtem Zustand
Der „Faktencheck Artenvielfalt“ attestiert der Biodiversität in Deutschland einen „ernüchternden“ Zustand. Der vom Bundesforschungsministerium geförderte Bericht ist den Autoren zufolge die bislang umfassendste Arbeit seiner Art. Neben einer ausführlichen Bestandsanalyse zeigt er auch auf, welche Maßnahmen gegen das Artensterben wirken können. Der intensiven Landwirtschaft wird eine herausgehobene Rolle zugewiesen.
von age erschienen am 08.10.2024Der Zustand der Biodiversität in Deutschland ist „ernüchternd“. Zu diesem Schluss kommt der vergangene Woche veröffentlichte „Faktencheck Artenvielfalt“, den die Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) angefertigt hat. Demnach sind von den 93 untersuchten Lebensraumtypen 60 Prozent in einem unzureichenden oder schlechten Zustand. Ein Drittel der untersuchten Arten sind gefährdet, etwa drei Prozent gelten als ausgestorben. Dramatisch sei die Lage vor allem in den ehemals artenreichen Äckern und Grünlandflächen, in Mooren, Moorwäldern sowie Sümpfen und Quellen, heißt es in dem Bericht. Eine der wenigen guten Nachrichten: Die biologische Vielfalt kann sich laut den Autoren durch die richtigen Natur- und Umweltschutzmaßnahmen auch wieder erholen.
Das rund 1200-seitige Dokument ist nach Angaben der Autoren der bislang umfassendste Bericht seiner Art. Beteiligt waren 150 Personen von 75 Institutionen und Verbänden. Mehr als 6000 Publikationen wurden in einen laut den Wissenschaftlern „noch nicht da gewesenen“ Datensatz überführt und darauf aufbauend rund 15.000 Trends und 6200 Zeitreihen erstellt und analysiert. Der Faktencheck zeigt zudem, welche Maßnahmen dem Artensterben entgegenwirken können.
Landwirtschaft einer der Haupttreiber
Ursächlich für den Verlust von Lebensräumen und Arten in Deutschland sind laut Faktencheck vor allem Flächenversiegelungen, Flurbereinigungen, Plantagenwirtschaft, Flussbegradigungen, ungereinigte Abwässer, Küstenschutzmaßnahmen und die großflächige Entwässerung der Landschaft. Auch der Klimawandel verändere die biologische Vielfalt zunehmend. So würden kältetolerante Arten zurückgehen und Arten, die an warme Temperaturen angepasst seien, aus südlichen Regionen einwandern.
Eine herausgehobene Rolle bescheinigen die Autoren zudem der intensiven Landwirtschaft. Die Aufgabe von Fruchtfolgen, der vermehrte Maisanbau und Einsatz von Dünger, Pflanzenschutzmitteln und schweren Maschinen auf Ackerflächen sowie der Anbau von Kulturgräsern im Grünland und der Rückgang der extensiven Beweidung hätten eine klar negative Auswirkung auf die biologische Vielfalt gehabt.
Das Gleiche gilt dem Bericht zufolge für den Verlust von Landschaftsstrukturen, etwa indem Hecken, Wegränder und Kleingewässer systematisch im Offen- und Agrarland entfernt wurden. Auch seien artenreiche Wiesen und Weiden in artenarme Hochleistungsgrünländer oder Ackerflächen umgewandelt worden. Zudem seien durch Trockenlegung Mooren und Auen zerstört worden.
Erholung der Natur ist möglich
Dass die intensive Landnutzung einer der bedeutendsten Treiber des menschengemachten Artensterbens ist, zeige im Umkehrschluss allerdings, dass darin auch einer der größte Hebel für den Artenschutz liegen, so die Autoren des Berichts. „Für eine echte Trendwende müssen wir die Natur verstärkt wiederherstellen“, erklärte Prof. Nina Farwig von der Universität Marburg. Vor allem müsse gelernt werden, „mit der Natur zu wirtschaften – nicht gegen sie“, so die Mitherausgeberin des Berichts.
Der Bericht zeige, dass sich durch die richtigen Maßnahmen die Artenvielfalt wieder erholen könne, wenn negative Einflüsse verringert und Lebensräume verbessert würden. Ein Beispiel dafür sei, dass sich die Bestände an Wirbellosen in Fließgewässern seit 1970 durch Abwasserreinigung wieder regeneriert hätten.
Als „am vielversprechendsten“ für die biologische Vielfalt über alle Lebensräume hinweg beurteilen die Autoren des Berichts zwar die Extensivierung der Land-, Gewässer- und Meernutzung. Jedoch könnten auch technische Innovationen einen Beitrag leisten. Als positive Entwicklungen werden beispielsweise digitale Anwendungen genannt, mit denen Dünge- und Pflanzenschutzmittel präziser eingesetzt werden könnten.
Artenschutz braucht Verfassungsrang
Um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, halten die Autoren allerdings einen „transformativen Wandel“ im Rahmen der Verfassung für nötig. Unter anderem müsse der Biodiversitätsschutz im Grundgesetz verankert und verbindlich gemacht werden. Dieser Wandel sei dann denkbar, wenn vielfältige Beweggründe für den Schutz der Biodiversität bestünden und damit von verschiedensten gesellschaftlichen Akteuren getragen würden.
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