
Stolbur macht den Ackerbau schwierig
Die Stolbur-Krankheit hat auch 2024 zu massiven Ernteausfällen geführt, insbesondere bei Kartoffeln und Zuckerrüben. Der Erreger und seine Vektoren stellen Landwirte vor erhebliche Herausforderungen, die sich nur durch integrierte Bekämpfungsstrategien und eine Anpassung der Fruchtfolge bewältigen lassen.
von Dr. Jonathan Mühleisen, Pflanzenschutzdienst am Regierungspräsidium Stuttgart erschienen am 14.10.2024Stolbur hat auch 2024 zu massiven Schäden im Kartoffel- und Zuckerrübenanbau geführt. Zusätzlich sind im Gemüseanbau Chinakohl, Möhren, Rhabarber, Rote Beete, Paprika und Sellerie ebenfalls mit teilweise existenziellen Ertragseinbußen betroffen. Zahlreiche weitere Pflanzen, einschließlich Unkräutern (zum Beispiel Ackerwinde und Brennnessel), Wildpflanzen und Gehölzpflanzen, dienen Stolbur als Wirtspflanzen.
Der Erreger der Stolbur-Krankheit ist das zellwandfreie Bakterium „Candidatus Phytoplasma solani“. Es wird insbesondere von Zikaden-Arten (zum Beispiel Schilfglasflügelzikade, Windenglasflügelzikade, Rosenglasflügelzikade, Pfriemenglasflügelzikade), aber auch von Blattflöhen und Wanzen von einer Pflanze zur anderen Pflanze übertragen. Der Erreger lebt und vermehrt sich in den Nährstoffleitbahnen von Pflanzen (Phloem) sowie in einer Körperflüssigkeit der Insekten (Hämolymphe). Außerhalb von lebenden Pflanzen und Insekten kann der Erreger nicht überleben.
Durch die Besiedlung der Nährstoffleitbahnen und den Eingriff in pflanzliche Stoffwechselvorgänge kommt es in Kulturpflanzen zu Wachstumsstörungen und Welke-Erscheinungen. Diese führen zu Ertrags- und Qualitätsverlusten, einschließlich der Beeinträchtigung der Verarbeitungs- und Lagerfähigkeit, bis hin zu einem wirtschaftlichen Totalausfall.
Symptome und Auswirkungen bei verschiedenen Kulturen
Bei Kartoffeln sind typische Symptome Blätterverfärbungen, je nach Sorte gelb oder rot-violett. Es kommt außerdem zum Einrollen der Blätter, zur Bildung von Luftknollen in Blattachseln sowie zur Bildung von Gummiknollen. All dies verursacht Ertragsausfälle und Qualitätsverluste. Infizierte Knollen können als Fadenkeimer austreiben. Ein Befall mit Stolbur schließt pflanzgutrechtlich eine Anerkennung aus. Infizierte Vermehrungsbestände müssen dann als Konsumware genutzt werden.
Bei Zuckerrüben stirbt der Blattapparat weitgehend ab. Die Rübenkörper bekommen eine gummiartige Konsistenz. Dadurch entstehen einerseits erhebliche Ertragsverluste, und andererseits wird auch die Lager- und Verarbeitungsfähigkeit von Rüben stark beeinträchtigt. Im Gemüseanbau kommt es zum Vergilben bis zum Absterben der Blätter. Bei Paprika geschieht dies zunächst durch das Einrollen der Blätter. Die befallenen Pflanzen kümmern und bleiben im Wachstum zurück oder sterben ganz ab. Teilweise gibt es im Gemüse auch Einschränkungen bei der Verarbeitungsfähigkeit. Ob die Lagerfähigkeit ebenfalls eingeschränkt ist, ist noch offen.
Schwierigkeiten in der Bekämpfung
Die Bekämpfung der Stolbur-Krankheit gestaltet sich schwierig. Das liegt einerseits daran, dass die Krankheit selbst nicht bekämpft werden kann. Der Erreger ist ein zellwandloses Bakterium, das in den Nährstoffleitbahnen der Pflanzen lebt und sich dort vermehrt. Es ist bislang weder möglich, den Erreger in der Pflanze mit zugelassenen Pflanzenschutzmitteln abzutöten, noch kann der Lebensraum des Erregers zerstört werden, da die Kulturpflanze dann auch kaputt wäre. Deshalb bleibt als Ansatzpunkt praktisch nur die Möglichkeit, eine Infektion zu verhindern. Da Zikaden und auch andere Vektoren sehr mobil sind und über mehrere Monate der Kulturdauer aktiv bleiben, ist es sehr schwierig, Infektionen sicher auszuschließen.
Fruchtfolge als nachhaltige Bekämpfungsstrategie
Eine Möglichkeit, die Vektorenpopulationen und damit auch die Infektionswahrscheinlichkeit nachhaltig zu senken, ist die Umstellung der Fruchtfolge. Aus Zuckerrüben gibt es hierzu positive Erfahrungen aus der Schweiz und aus der Modellregion im Leintal. Die Nymphen der Schilfglasflügelzikade entwickeln sich an Wurzelbruchstücken der Zuckerrübe und an den Wurzeln des nachfolgend gesäten Wintergetreides. Wird anstelle des Wintergetreides nach Zuckerrüben eine späte Sommerung, wie zum Beispiel Mais oder Soja, gesät, können sich sehr viele Nymphen nicht entwickeln. Dadurch fliegen im Folgejahr deutlich weniger Zikaden aus dem Boden.
Bei diesem Ansatz ist zu berücksichtigen, dass er nur funktionieren kann, wenn die Fruchtfolgeumstellung in einem größeren, zusammenhängenden Gebiet erfolgt. Hierbei muss bedacht werden, dass die Nymphen nicht nur an Zuckerrüben gefunden werden, sondern auch an Kartoffeln und zumindest teilweise auch an Feldgemüse (Rote Beete, Sellerie). Deshalb müsste in Gebieten mit Fruchtfolgeumstellung auch nach Kartoffeln, Roter Beete und Sellerie auf Winterungen als direkte Folgekultur verzichtet werden. Der Anbau von Winterungen, einschließlich Wintergetreide, ist auch in einem Gebiet mit Fruchtfolgeumstellung möglich. Nur muss das Wintergetreide in der Fruchtfolge dann zum Beispiel nach Mais, nach Raps oder nach Soja stehen und nicht nach Kartoffeln oder Rüben.
Bedeutung der Unkrautbekämpfung
Insbesondere im Kartoffelanbau wird zusätzlich zur Anpassung der Fruchtfolge auch der konsequenten Bekämpfung von Unkräutern (insbesondere Ackerwinde) eine sehr hohe Priorität eingeräumt. Dies ist wichtig, um zu verhindern, dass Vektoren sich an Unkräutern entwickeln und vermehren.
Insektizide zur Unterstützung der Bekämpfung
Neben diesen eher indirekten Maßnahmen werden vermutlich auch Insektizide ihren Teil zur Verringerung der Infektionswahrscheinlichkeit beitragen müssen. In Kartoffeln gibt es Beobachtungen aus Österreich, dass bei einem nicht zu starken Befall mit Zikaden Insektizide sich positiv auf den Ertrag auswirken. Bei einem starken Befall waren auch Insektizide unzureichend.
In diesjährigen Versuchen in Baden-Württemberg mit Insektiziden, die in Deutschland eine Zulassung in Zuckerrüben haben (Acetamiprid und Flonicamid), konnten rein optisch keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt werden. Die Ertragsergebnisse aus 2024 liegen derzeit noch nicht vor. Bei Coragen (Chlorantraniliprole) konnte in Käfigversuchen am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum (LTZ) keine Wirkung auf Zikaden nachgewiesen werden.
Andere Versuche haben gezeigt, dass Lambda-Cyhalothrin (zum Beispiel Karate Zeon) eine sehr gute und schnelle Wirkung auf Zikaden hat. Wegen der langen Flugdauerdauer der Zikaden (die in der Regel bereits im Mai beginnt) waren hier jedoch mehr als 15 Anwendungen notwendig, was weder genehmigungsfähig noch arbeitswirtschaftlich leistbar ist. Bei den systemischen und etwas länger wirkenden Mitteln haben die Pflanzenschutzmittelwirkstoffe Acetamiprid (zum Beispiel Mospilan SG) und Flupyradifurone (zum Beispiel Sivanto Prime) laut einem Versuch in Österreich eine gute Wirkung gegen Zikaden. Bei beiden Wirkstoffen trat jedoch nicht sofort eine ausreichende Wirkung ein, sondern erst nach einiger Zeit. Um zusätzlich zur Dauerwirkung auch eine gute Sofortwirkung zu haben, müsste gegebenenfalls Lambda-Cyhalothrin zugemischt werden.
Notfallzulassungen und integrierte Ansätze
Bislang hat Mospilan SG in Deutschland eine reguläre Zulassung in Kartoffeln (gegen Blattläuse und gegen Kartoffelkäfer). In Zuckerrüben gab es eine Notfallzulassung gegen Blattläuse als Virusvektoren. Karate Zeon hat in Deutschland sowohl in Kartoffeln als auch in Zuckerrüben eine reguläre Zulassung gegen saugende Insekten mit zwei Anwendungen und darf daher auch gegen Zikaden eingesetzt werden. In Österreich gab es für Sivanto Prime eine Notfallzulassung in Kartoffeln gegen Windenglasflügelzikade und für Sivanto Energy in Zuckerrüben gegen den Rübenderbrüssler.
Es bleibt abzuwarten, welche Notfallzulassungen mit welcher Anwendungshäufigkeit im kommenden Jahr in Deutschland gegen Zikaden als Überträger von Phytoplasmen in Kartoffeln, Zuckerrüben und Feldgemüse seitens der Zulassungsbehörden möglich sind. Auch Notfallzulassungen – sofern sie 2025 kommen – werden bei Stolbur nach den bisherigen Erfahrungen keine alleinige Lösung sein, sondern ein wichtiger und schnell wirksamer Baustein in einem integrierten Ansatz.
Guter Ackerbau als wichtiger Faktor
Sowohl bei Kartoffeln als auch bei Zuckerrüben wurde beobachtet, dass ein „guter“ Ackerbau die Auswirkungen von Stolbur mildert. Physiologisch ist das gut nachvollziehbar und wird auch bei vielen anderen Krankheiten beobachtet: vitale und kräftige Pflanzen sind widerstandsfähiger als geschwächte. Deshalb gilt es, Strukturschäden und Verdichtungen zu vermeiden, den Humusgehalt durch regelmäßige organische Düngung und Zwischenfruchtanbau oder Ackerfutter nach Möglichkeit zu erhöhen. Außerdem sollte eine möglichst weite Fruchtfolge gefahren werden und Schäden durch andere Krankheiten oder Schädlinge so weit wie möglich verhindert werden.
Stolbur hat Landwirten schon im letzten Jahr sehr viel abverlangt und in diesem Jahr erneut, sowohl finanziell als psychisch. Die kümmernden und sterbenden Pflanzenbestände setzen jedem Ackerbauern zu. Doch aus der Landwirtschaft wissen wir, dass es immer wieder längere Durststrecken gibt. Der Rückblick auf das Erntedankfest Anfang Oktober, mag manchem Leser die Verheißung Gottes in Erinnerung rufen: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (1. Mose 8,22). Der Ackerbau gehörte zu den ersten Tätigkeiten der Menschheit und wird trotz allen Widrigkeiten weitergehen.
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