Schweinefleisch unter neuen Vorzeichen
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Um unerwünschten Fleischgeruch zu vermeiden, werden männliche Schweine kastriert – noch überwiegend mit Schmerzmitteln, aber betäubungslos. Aus Tierschutzsicht ein nicht tragbarer Zustand. Deshalb verbietet der Gesetzgeber die betäubungslose Ferkelkastration ab dem Jahr 2019. Die Entwicklung der Alternativen ist für Kritiker aber noch nicht am Ziel. Dennoch halten beispielsweise die Einzelhandelsketten Aldi Süd und Rewe an ihrer Absicht fest, ab kommendem Jahr, zumindest beim Frischfleisch, auf Ware von betäubungslos kastrierten Ferkeln zu verzichten; Lidl ist bereits umgestiegen:
Aldi Süd, Mülheim an der Ruhr, antwortete unter anderem, dass „die Unternehmensgruppe ab dem 1. Januar 2017 im Bereich Frischfleisch kein Schweinefleisch kastrierter Tiere mehr anbieten wird. Darüber wurden unsere Lieferanten bereits im April 2015 informiert“. Mit dieser Forderung – früher als gesetzlich vorgeschrieben – sieht sich das Unternehmen „in einer führenden Position zum Thema Tierwohl“. Die Handelskette stehe derzeit mit den Lieferanten im Gespräch über die Umsetzung.
Edeka Südwest Fleisch, Rheinstetten, hatten wir ebenfalls angefragt, aber keine Antwort erhalten. Nach Auskunft von Erzeugergemeinschaften orientiert sich die Handelskette am gesetzlichen Umstellungstermin. Demnach laufen in Zusammenarbeit mit dem Edeka-Fleischwerk bei Karlsruhe mehrere Projekte zur Zweckmäßigkeit der Ebermast und der Immunokastration.
Kaufland, Neckarsulm, legt sich nicht auf ein konkretes eigenes Umstellungsdatum fest: „Kaufland Fleischwaren hat sich zum Verzicht auf eine betäubungslose Ferkelkastration klar positioniert und strebt den frühestmöglichen Termin zur Umsetzung an. Dadurch wollen wir Orientierung und Planungssicherheit an die Vorstufen geben und mit dazu beitragen, den gesetzlichen Termin 1. Januar 2019 sicher zu erreichen.“ Die Unternehmensgruppe antwortete auch auf die Frage nach Alternativen: Im Jahr 2014 „hat Kaufland damit begonnen, gemeinsam mit seinen Vertragspartnern die Eberschlachtung umzusetzen“. Als Alternative zur Ebermast sei die Kastration denkbar, sofern „die Betäubung mit wirksamer Schmerzausschaltung ... praktikabel und rechtlich abgesichert“ sei. Die Immunokastration mit Improvac wird kritisch bewertet.
Auflagen für Frischfleisch
Lidl, Neckarsulm, setzt sich nach eigenen Angaben seit Jahren für die Weiterentwicklung des Tierwohlstandards, der Fütterung, Aufzuchts- und Haltungsbedingungen ein und macht den Produzenten des „Frischfleisch-Sortiments strenge Auflagen“. Deshalb „akzeptiert Lidl Deutschland seit Anfang 2015 nur noch Frischfleisch von nicht kastrierten Schweinen“. Die Handelskette setzt auf ein natürliches Verhältnis von männlichen und weiblichen Schweinen.
Real, Düsseldorf, nennt Tierschutz „ein Thema von höchster Priorität“. Das Unternehmen begrüße das Verbot der betäubungslosen Kastration von Ferkeln ab 2019. Als Mitglied der Initiative Tierwohl stehe die Handelskette der Vermarktung von Jungeberfleisch offen gegenüber, sofern „unsere Lieferanten uns sicher garantieren können, dass wir sensorisch einwandfreie Schlachtkörper erhalten. Leider ist dies aktuell jedoch noch nicht der Fall“. Falls eine veränderte Haltung, Fütterung und Mastdauer das Problem löse, „sind wir der Meinung, dass der Verkauf von Eberfleisch keine Nachteile für den Verbraucher darstellen würde ...“. Offen zeigt sich Real gegenüber weiteren Alternativen der betäubungslosen Ferkelkastration, wie der Betäubung mit wirksamer Schmerzausschaltung. Kritisch jedoch wird die Impfung gegen Ebergeruch (Improvac) bewertet, da die Haltung der Kunden zu derart behandeltem Fleisch nicht bekannt ist.
Firmenleitbild zur Nutztierhaltung
Die Rewe-Gruppe, Köln, verweist auf eine Pressemitteilung vom August 2015. Darin heißt es unter anderem: „Ab dem 1. Januar 2017 will die Rewe Group bei ihren Eigenmarken kein Frischfleisch mehr verkaufen, welches von betäubungslos kastrierten Tieren stammt.“ Die Entscheidung war am 11. August 2015 den Vertragslieferanten mitgeteilt worden. Laut Rewe passt „die betäubungslose Kastration einfach nicht mehr in die heutige Zeit“. Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit dem firmeneigenen „Leitbild zur Nutztierhaltung der Zukunft“.
Die Produktionswünsche von Aldi Süd und Rewe für die Erzeugung frischen Schweinefleischs stoßen in der landwirtschaftlichen Praxis – gelinde gesagt – auf Verwunderung. Dennoch werden die Erzeugergemeinschaften die Vorgaben einhalten: „Die bekommen dann halt weibliche Tiere“, hieß es gegenüber BWagrar. Die Trennung von Mast- und Schlachttieren in weibliche und männliche löst in der Praxis eine Kostenlawine aus. „Das ist ein Wahnsinnsaufwand“, kommentierte ein Geschäftsführer die Lage.
Mehrere Strategien
In der Schlachtschweinee-Erzeugung gibt es mit Blick auf das gesetzliche Verbot der betäubungslosen Kastration ab 2019 noch keinen großen Wurf. Es deuten sich eher mehrere Strategien an:
Grundsätzlich sind die Mitgliedsbetriebe Schweine haltender Erzeugergemeinschaften frei in ihrer Entscheidung, welchen Vermarktungsweg sie wählen. Nach ersten Erfahrungen ist das Interesse an der Ebermast nicht riesig, wie die Antworten auf entsprechende Rundschreiben in Baden-Württemberg ergaben. Deshalb wird der Ebermast ein kleinerer Marktanteil im Südwesten zugetraut. Je länger sich der Vermarktungsweg vom Ferkelerzeuger bis zum Endprodukt erstreckt, desto eher komme die Ebermast ins Spiel, hieß es.
Schweinemäster, die vor allem an Metzger vermarkten, werden so lange als möglich an der Kastration festhalten. Denn den Handwerksbetrieben fehlt die Möglichkeit, die Stinker unter den Ebern aus der Ebermast treffsicher auszusortieren. Die Lieferbetriebe dürften ab 2019 umsteigen auf eine Kastration mit Betäubung per Tierarzt und Schmerzausschaltung. Das Verfahren ist nicht unkritisch wegen des Umgangs mit den Betäubungsgasen. Das Produktionsverfahren verteuert sich auf jeden Fall: Ein weiterer Strukturwandel für Sauenhalter wäre absehbar.
Betriebe ohne eindeutige Zuordnung zu bestimmten Mästern dürften ebenfalls bei der Kastration bleiben, weil kurz nach der Geburt der Ferkel noch nicht klar ist, über welchen Vermarktungsweg die künftigen Schlachtschweine abgesetzt werden.
Nach den bisherigen Erfahrungen sind die Befragten vorsichtig mit ihren Einschätzungen zur Immunokastration. Das Verfahren müsse seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit noch unter Beweis stellen.
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