Kunden für Masteber
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Das Interesse des Lebensmitteleinzelhandels, auf die betäubungslose Ferkelkastration zu verzichten, reicht bald zehn Jahre zurück. Ein Meilenstein dieser Entwicklung ist die Düsseldorfer Erklärung vom 29. September 2008. Darin verständigten sich der Deutsche Bauernverband, der Verband der Fleischwirtschaft und der Hauptverband des deutschen Einzelhandels aus Gründen des Verbraucher- und Tierschutzes auf ein gemeinsames Vorgehen: Die Entwicklung eines alternativen, flächendeckenden Verfahrens zur traditionellen Kastrationsmethode für Ferkel.
Mehr als fünf Jahre Erfahrung
Im Nachgang der Düsseldorfer Erklärung kam ein namhafter Vertreter aus der Fast-Food-Branche auf die Ulmer Schlachthofbetreiber zu. Das aus den USA stammende Unternehmen wollte seinen deutschen Konsumenten so bald als möglich nur noch Schweinefleisch von weiblichen und nicht kastrierten männlichen Tieren anbieten. Der potente Schweinefleischkäufer „sprach sich als erster Kunde unseres Hauses ausdrücklich für den Bezug von Jungeberfleisch und anteilig für weibliche Tiere aus“, erinnert sich Rolf Michelberger. Daraufhin tüftelten seine Mitarbeiter an einem Mastkonzept, das im Mai 2011 zur ersten Schlachtung von jungen, unkastrierten männlichen Schweinen am Schlachthof in Ulm führte.
Seither hat sich der Kundenkreis vergrößert. Zudem arbeitet das Unternehmen kontinuierlich an der Verbesserung der Haltung, der Fütterung, der Schlachtung und der Fleischerzeugung aus jungen Mastebern: „Mit Erfolg“, sagt Michelberger. Die unkastrierten männlichen Tiere unter den 35.000 Schlachtschweinen, die jede Woche im Gewerbegebiet Donautal angeliefert und an zwei Tagen in der Woche geschlachtet werden, stammen von 40 Schweinehaltern aus Baden-Württemberg und Bayern. Weitere Betriebe könnten aufgenommen werden. Ansprechpartner ist der Lebensmittelmanager Daniel Spahn (28), der als Produktmanager seit 2013 das Projekt Ebermast betreut.
Bezahlt wie üblich ohne Abzug
Bezahlt werden die Masteber „wie alle anderen Mastschweine auch“, sagt Geschäftsführer Michelberger. Diese Nachricht hat sich bis nach Niedersachsen herumgesprochen. Der Oldenburger Marktexperte Dr. Albert Hortmann-Scholten, der die Ebermast nicht befürwortet, räumte vor Kurzem bei einer Tagung der Viehzentrale Südwest ein, dass die Müller Gruppe „die beste Ebermaske in Deutschland“ führe. Konkret heißt das:
Junge Schlachteber erhalten den vollen Basispreis wie alle anderen Mastschweine. Alle Programmzuschläge für Süddeutsches Schweinefleisch, Qualitätszeichen Baden-Württemberg oder Geprüfte Qualität Bayern werden bezahlt.
Die untere Gewichtsgrenze wurde von 84 auf 80 Kilogramm Schlachtgewicht gesenkt. Die Auszahlung gilt für alle gelieferten Jungeber (geruchsbelastete Schlachtkörper gehen zulasten des Schlachthofs). Sämtliche Mastbetriebe des Projekts erhalten eine Liefer- und Abnahme-Vereinbarung über die Vermarkter mit der Müller Gruppe.
Das Thema Geruchsbelastung betont der Geschäftsführer besonders. Man wolle die Landwirte mit der Thematik eben nicht alleine lassen. Der Landwirt trage wie in jedem anderen Haltungsverfahren das klassische Produktionsrisiko mit der Haltung und Fütterung. „Das Preisrisiko aufgrund von geruchsbelasteten Tieren tragen wir.“ Diese Feststellung ist dem 54-Jährigen wichtig.
Um die Geruchsbelastung von Eberschlachtkörpern aufzuspüren, treibt Ulmer Fleisch einen gewissen Aufwand. Das zehnköpfige Prüfteam erschnüffelt in zwei Labors, fern von allen Schlachtgerüchen, den Ebergeruch. Die eigentliche Geruchsdetektion nehmen jeweils zwei Frauen vor: „Dazu werden Fleisch-Fett-Proben per Mikrowelle erhitzt und jede Probe einzeln in einem Plastikbecher unter die Nase gehalten“, erklärt Produktmanager Spahn den Arbeitsablauf.
Aus mittlerweile fünf Jahren Erfahrung liegen die Anteile der geruchsauffälligen Tiere zwischen 2,0 und 3,3 Prozent. Rolf Michelberger und seine Kollegen wollen weiterhin Schweinefleisch aus Baden-Württemberg und Bayern vermarkten. Die süddeutsche Herkunft ist ihr Markenzeichen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Schlachtung und Vermarktung unkastrierter männlicher Schweine ist die Ebermast ein gangbarer Weg für die Unternehmensgruppe mit Blick auf das anstehende Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration.
2018 fällt die Entscheidung
Seit der Düsseldorfer Erklärung hat sich viel getan. Der Gesetzgeber hat nachgezogen. Die betäubungslose Ferkelkastration ist ab 2019 verboten. „Für uns heißt das, 2018 steht die Bewertung aller möglichen Verfahren an“, erläutert der Geschäftsführer den unternehmenseigenen Fahrplan.
Die Alternativen zur Ebermast sieht Michelberger differenziert, wie er im Gespräch mit den BWagrar-Redakteuren Petra Ast und Donat Singler erklärt. Die Impfung mit Improvac sei kein Thema für die Müller Gruppe, weil sich augenblicklich kein Kunde dafür ausspreche. Die Betäubung mit Isofluran, Schmerzmittelgabe und anschließender Kastration schon eher. Das Verfahren werde in einem gerade begonnenen Projekt mit süddeutschen Ferkelerzeugern und Tierärzten geprüft. Über den sogenannten vierten Weg, die örtliche Betäubung mit Lidocain, wie er seit 2002 in Norwegen praktiziert werde, fehlten hingegen die Erfahrungen.
Auch die Kunden des Fleischdienstleisters haben sich positioniert. Das Metzgerhandwerk lehnt die Ebermast ab, die Gastronomie sieht das Thema kritisch. Im Lebensmitteleinzelhandel hingegen steigt die Akzeptanz unkastrierter Masteber, berichtete Produktmanager Daniel Spahn. Am weitesten fortgeschritten sind die Geschäfte mit der Verarbeitungsindustrie.
Müller Gruppe
Die Müller Gruppe aus Birkenfeld bei Pforzheim zählt sich zu den größten Inhaber geführten Firmen im Schlachten und Zerlegen von Rindern und Schweinen. Die Allgemeine Fleischerzeitung zählt sie zu den zehn Umsatzstärksten in Deutschland. Danach erwirtschafteten die 665 Mitarbeiter im Jahr 2015 einen Umsatz von 895 Mio. Euro. Zur Gruppe zählen die Firmen Müller Fleisch, Ulmer Fleisch, Bayreuther Fleisch, Ingolstädter Fleisch und das Süddeutsche Schweinefleischzentrum, das den Schlachthof im Gewerbegebiet Ulm-Donautal betreibt.
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