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Zukunftsforum Getreidebau

Roland Waldi: "Wir wissen, was wir wert sind"

Um Wertschöpfungsketten und Vermarktungsstrukturen ging es im Zukunftsforum „Getreidebau wird nachhaltiger“ am 8. Februar in Hayingen-Ehestetten. Es war das zweite von insgesamt vier Zukunftsforen. Eingeladen hatten das Biosphärengebiet Schwäbische Alb, der Kreisbauernverband Reutlingen, die Hochschule HfWU Nürtingen-Geislingen und der Nabu Baden-Württemberg.
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Bei der Vermarktung vor Ort tut sich einiges: Das Bild zeigt (v.l.) Moderatorin Petra Schmettow im Gespräch mit Ingo Hiller, Römersteinmühle; Roland Waldi, Kraichgaukorn; Frank Geiselhart, Albkorn und Michaela Frech, Lichtensteinmühle und Albgemacht.
Bei der Vermarktung vor Ort tut sich einiges: Das Bild zeigt (v.l.) Moderatorin Petra Schmettow im Gespräch mit Ingo Hiller, Römersteinmühle; Roland Waldi, Kraichgaukorn; Frank Geiselhart, Albkorn und Michaela Frech, Lichtensteinmühle und Albgemacht. Borlinghaus
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Wie soll sich die Landwirtschaft entwickeln? Wie wollen wir uns künftig ernähren und wie soll es mit unserer Landnutzung weitergehen? Man wolle sich Gedanken machen und Antworten geben. Für Landrat Thomas Reumann ist das die Aufgabe eines Biosphärengebiets. Aktuell, so Reumann, werden rund 45 Prozent der Reutlinger Kreisfläche landwirtschaftlich genutzt. Auf 55 Prozent dieser Fläche findet Ackerbau statt. Elf Prozent dieser Ackerfläche wird ökologisch bewirtschaftet und auf 15 Prozent der Ackerfläche werden keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt.

Kraichgaukorn - langjährige Erfahrung mit integriertem Anbau

„Wir wachsen langsam und gediegen. Die Politik hilft uns dabei wenig, zumindest im konventionellen Bereich, bei bio ist es ein bisschen besser“, meinte Roland Waldi aus Nußloch-Maisbach. Der erste Vorsitzende von Kraichgaukorn sprach beim Zukunftsforum als einer von insgesamt vier Vertretern zur regionalen Getreide-Vermarktung. Kraichgaukorn ist eine Gruppe von Bauern aus Nordbaden, die sich bereits 1990 zu einer Marktgemeinschaft zusammengeschlossen haben. „Wir haben eine Nische für den Brotgetreideanbau ohne Chemie gesucht. Das ist unser Markenzeichen“, so Waldi. Mit ersten Blüh-und Ackerrandstreifen habe man Pionierarbeit geleistet, heute gibt es gezielte Stellen mit Blühmischungen in den Äckern. Kraichgaukorn habe aktuell rund 50 Landwirte, die 40 Bäckereien und drei Mühlen beliefern. Produziert werden rund 6500 Tonnen Brotgetreide, darunter Weizen, Roggen, Dinkel, Einkorn und Emmer. Waldi kann sich vorstellen, künftig auch an Rewe zuliefern. „Das wäre ein Riesensprung. Dann hätten wir eine zweite Absatzschiene“, so Waldi und stellt aber auch klar: „Über den Preis wird da nicht diskutiert. Den Preis machen wir. Denn wir wissen, was wir wert sind“, so Waldi.

Alte Getreidesorten wieder salonfähig machen

Römersteiner Bauernbrot, Biosphärenbrot oder Mühlen-Weckle: Die leckeren Erzeugnisse von der Mühlengenossenschaft Römerstein aus Römerstein unweit von Bad Urach werden aus alten Weizensorten, sorgfältig gezüchtet und ökologischen Bedingungen angebaut, hergestellt. Der Weizen zeichne sich durch seine wertvollen Inhaltsstoffe aus. „Wir haben 40 bis 45 Getreidelieferanten“, berichtete Ingo Hiller, Mitglied im Vorstand der Genossenschaft. Hiller ist selbst Landwirt und bewirtschaftet einen konventionellen Betrieb mit Ackerbau Milchvieh und Biogas. Bei der Mühle wird das Getreide erfasst und verarbeitet. „Bei uns kommt auch der Kindergarten und schaut was man aus dem Korn alles macht“, berichtete Hiller und machte damit deutlich, dass Bildung und Ausbildung für landwirtschaftliches und handwerkliches Arbeiten eine wichtige Rolle spielt. Ziel der Mühle sei es alte Getreidesorten wieder salonfähig zu machen.

Albkorn ist bereits seit 1995 am Start

Im Herzen der Schwäbischen Alb, mitten im Biosphärengebiet im Raum Münsingen, ist die Erzeugergemeinschaft Albkorn zuhause. Verarbeitet werden der Weizen, Roggen und Dinkel (rund 2500 t) der rund 25 Landwirte in der Getreidemühle Erwin Luz in Buttenhausen, berichtete Albkorn-Landwirt Frank Geiselhart aus Hayingen-Ehestetten beim Zukunftsforum. Die Braugerste (400 bis 500 t) geht an die „Berg Brauerei Ulrich Zimmermann“ aus Ehingen-Berg, ebenfalls Partner von Albkorn. Albkorn gibt es seit bereits 1995 auf Initiative der Bäckerei Sautter aus Eningen, die damals schon spezielle regionale Produkte vermarkten wollte.

Lichtensteinmühle und Albgemacht

Seit 1933 ist die 500 Jahre alte Lichtensteinmühle in Honau im Besitz der Familie Frech. Wie Michaela Frech berichtete, ist inzwischen die vier Generation, mit ihr und ihrer Schwester Ann-Catrin Frech, ins Unternehmen eingestiegen. Bei den Produkten werden keinerlei Backhilfsmittel, Emulgatoren oder Konservierungsstoffe eingesetzt. Die Lichtensteinmühle ist Mitglied im Verein “Albgemacht e.V.” Dabei handelt es sich um eine Gemeinschaftsmarke zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt auf der Schwäbischen Alb. Landwirte müssen Anbaukriterien wie Bracheverträge nach FAKT, Blühmischungen, Ackerextensivierung oder Erhaltung und Förderung von Steinriegel beachten: „Hiervon kann sich jeder Landwirt etwas aussuchen“, so Frech.

In der Vermarktung noch viel Luft nachoben

Laut Schätzungen wäre es möglich, bis zu 30 Prozent der Ackererzeugnisse aus dem Biosphärengebiet vor Ort zu vermarkten, meinte Petra Schmettow vom forum für internationale entwicklung + planung (finep). Sie fragte: „Wie können wir neue Märkte erschließen und Verbraucherinnen und Verbraucher begeistern, diese Produkte zu kaufen?“ Laut Prof. Dr. Maria Müller-Lindenlauf von der Fakultät Agrarwirtschaft, Volkswirtschaft und Management an der Hochschule HfWU Nürtingen-Geislingen gehen rund zwei Drittel des Getreides nicht an regionale Mühlen. Von dem Teil, der an die regionalen Mühlen verkauft wird, gelangen lediglich 20 Prozent an die Verbraucher vor Ort. „Da ist noch viel Luft nach oben, was den Ausbau regionaler Wertschöpfungsketten anbelangt“, meinte Müller-Lindenlauf.

Nachhaltigkeit nach FAO-Richtlinien

Nach Definition der Vereinten Nationen ist laut Prof. Dr. Maria Müller-Lindenlauf eine Entwicklung nachhaltig, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne künftige Generationen in ihrer Fähigkeit einzuschränken ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Bei Nachhaltigkeit gehe es also um Bedürfnisse der Menschen und um Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Grundlage sind die drei Säulen Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte. Idealerwiese sind die Säulen gleich stark gewichtet. Ein großes Risiko im ökologischen Bereich ist der Verlust der biologischen Vielfalt. ( 1. Zukunftsforum Biodiversität). In Deutschland, so Müller-Lindenlauf, gibt es 270 typische Wild-Kräuterarten von denen 30 Prozent vom Aussterben bedroht seien. Zurückgehe auch die Zahl der Vögel, zum Beispiel das Rebhuhn, sowie die Insekten.

Gute Voraussetzungen auf der Schwäbischen Alb

„In Deutschland haben wir im Schnitt einen N-Überschuss von 100 kg pro Hektar“, so Müller-Lindenlauf. Diese Überschüsse gehen in den Boden beziehungsweise irgendwann als Nitrat ins Grundwasser oder als Ammoniak in die Luft. Das Brotgetreide sei insofern eine Risikokultur, weil oftmals eine Spätdüngung üblich sei, um den Eiweißgehalt in den Körnern zu optimieren. Der Standort Schwäbische Alb stelle in Sachen Nitrat jedoch keine Risikoregion dar. Im Gegenteil: Hier gibt es den niedrigsten Nitratgehalt im Grundwasser überhaupt. Gleichwohl kann es im Einzelfall durchaus zu Überschreitungen des Grenzwertes geben. Auch beim Thema Bodenabtrag und Bodenverlust sehe es auf der Schwäbischen Alb gut aus. Dennoch sei es wichtig, die Bodenfruchtbarkeit langfristig unbedingt zu erhalten, Stichwort Humusbilanz.Wichtig für die Ernährungssouveränität sei die Vermittlung handwerklichen Wissens. Es gehe längst nicht allein um ökonomische Kennzahlen, sondern immer auch um Gerechtigkeit und um Qualität. Gefragt seien stabile Beziehungen zu den Handelspartnern. Diese seien „in regionalen Fenstern“ besser zu realisieren.

Machtkonzentration auf allen Ebenen

„Ich glaube der Flaschenhals liegt bei den Bäckern. Für uns ist ein gutes Brot, wenn die ganze Kette daran verdient“, meinte Anke Kähler im Hauptvortrag. Die Bäckermeisterin aus Niedersachen ist Vorsitzende des Vereins „Die Freien Bäcker“. Als Vertreterin dieser Berufsorganisation sprach sie zum Thema „Brot wird regional gemacht“. Kähler beklagte einen starken Konzentrationsprozess überall in der Wertschöpfungskette. In Landwirtschaft gehe der Strukturwandel weiter, ihr Anteil an der Wertschöpfungskette gehe zurück, bei gleichzeitiger Zunahme des Kapitaleinsatzes. Ähnlich bei den Bäckern: „Wir hatten einmal 55.000 Bäckereien in den 50er Jahren heute ist man bei rund 11.000 Betrieben“, so Kähler. Davon hätte der Großteil mit 7000 Betrieben einen Marktanteil von nur acht Prozent. Allein 43 der größten Bäckereien haben einen Marktanteil von 32 Prozent. Noch stärker man die Konzentration im Handel: Hier halten wenige große Lebensmittelketten 75 Prozent Marktanteil. Diese steigen immer mehr in den Brotverkauf ein, was den Wettbewerb für die Bäckereien zunehmend verschärfe. Mühlen gebe es mittlerweile weniger als 200 Stück in Deutschland. Und beim Saatgut kontrollierten drei Großkonzerne 60 Prozent des konventionellen Marktes.

Hauptproblem sind hohe Personalkosten

Das Problem für die Bäcker seien weniger die Rohstoffkosten. Diese lägen bei 15 bis 23 Prozent. „Ein 500 g Vollkornbrot ist maximal 15 Cent teuer wenn es mit regionalen Rohstoffen hergestellt wird. Das lässt sich am Tresen weitergeben“, so Kähler. Hauptproblem seien hohe Personalkosten. Um die regionalen Wertschöpfungsketten zu verbessern, benötige es genügend handwerkliches Know-how. „Viel Wissen verschwindet. Das muss man sich mühselig wieder zurückholen“, so Kähler. Deshalb sei eine gute Aus- und Weiterbildung ein wichtiges Thema im Bäckerhandwerk.

Kritischer Blick auf die späte N-Düngung

Was die N-Spätdüngung angeht, meinte Kähler: „Wir brauchen keine hohen Kleberwerte, sondern müssen uns mit der Sortengenetik auseinandersetzen. Gefragt sei weniger die Klebermenge, als viel mehr die Kleberqualität. „Die späte N-Düngung ist ein Hohn“, so Kähler und fügte hinzu: „Die großen Mühlen ziehen den Kleber raus und schieben die Rohproteinqualitäten in den Export.“ Die Behauptung, Bäcker fordern hohe Proteinqualitäten sei aus ihrer Sicht „der totale Schwachsinn“. Vielmehr hänge die Backqualität an der genetischen Fixierung der angebauten Sorte und nicht an der Düngung. Es sei ein Fehler, wenn Landwirte nach dem Proteingehalt bezahlt würden. „Wir müssen von dieser Spätdüngung wegkommen“, forderte Kähler in Hayingen.

Tipp: Informationen zum Insektensterben finden Sie im Interview mit Josef Settele

FAO-Bericht: Den 1. Weltzustandsbericht für Biodiversität in Landwirtschaft und Ernährung gibt es unter http://www.fao.org/state-of-biodiversity-for-food-agriculture/en/

Mehr über das Biosphärengebiet Schwäbische Alb und das Zukunftsforum finden Sie unter http://www.zukunftsforum-biosphaerengebiet.de

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