Kleinste Lese seit 30 Jahren
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Die genossenschaftlichen Weingärtner schauen mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf das Jahr 2020: Für zufriedene Gesichter sorgt die hervorragende Qualität der Trauben mit sehr guten Oechsle-Werten. „Die Weinliebhaber können sich sehr auf den Jahrgang freuen“, berichtete Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), zum Finale der Weinlese in den Räumen der Weingärtner Cleebronn-Güglingen eG in Cleebronn im Landkreis Heilbronn. Dem gegenüber steht jedoch die kleinste Erntemenge der vergangenen 30 Jahre.
Das Wetter steuert die Erntemenge
Die diesjährige genossenschaftliche Lesemenge liegt etwa 25 Prozent unter der durchschnittlichen Erntemenge der vergangenen zehn Jahre und 15 Prozent unter dem ohnehin unterdurchschnittlichen Vorjahresniveau. Ursache hierfür sind Frostschäden, niedrige Temperaturen während der Blüte, Trockenheit im Sommer sowie die außergewöhnlich hohen Temperaturen und warmen Winde kurz vor und während der Lese.
Den negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie konnten die Weingärtner im ersten Halbjahr trotzen. Glaser sieht durch die Krise sogar Chancen für die Weingärtnergenossenschaften, da viele Menschen durch Corona ein ganz neues Bewusstsein für den Wert regionaler Produkte erlangt hätten. Knapp 70 Prozent der Rebflächen in Württemberg werden von Genossenschaften und deren Mitgliedern bewirtschaftet. Glaser rechnet damit, dass dieser Wert in den kommenden Jahren stabil bleibt.
Weniger als 50 Mio. Liter
Die Erntemenge der 36 Weingärtnergenossenschaften in Württemberg liegt dieses Jahr bei sicherlich unter 50 Millionen Litern, im Vorjahr hatten sie noch 63,5 Millionen Liter in die Keller eingebracht. Die Ertragssituation ist dieses Jahr in Württemberg regional sehr unterschiedlich. Vor allem im Zabergäu, am Stromberg, in Hohenlohe und im Taubertal sind große Ertragseinbußen zu verzeichnen. Insbesondere die Burgundersorten blieben deutlich hinter den Schätzungen von vor dem Herbst zurück.
Der Ertrag 2020 liegt bei rund 65 Hektoliter je Hektar Rebfläche (2019: 85,8). Die durchschnittlichen Mostgewichte bei den Hauptsorten liegen in Württemberg wie folgt: Riesling 85 Grad Oechsle, Schwarzriesling 98 Grad, Spätburgunder 98 Grad, Trollinger 76 Grad und Lemberger 86 Grad. Die Hauptlese ist in der vergangenen Woche nahezu abgeschlossen worden.
Lesebeginn Anfang September
Die Lese in Württemberg hat in diesem Jahr bereits Anfang September begonnen. „Dies hätten wir vor einigen Jahren noch als frühen Lesebeginn bezeichnet. Aber die zeitliche Verschiebung scheint zur Regel zu werden, sodass wir uns entschlossen haben, dies künftig als Normalität anzusehen“, berichtet Ute Bader, Fachberaterin Weinbau beim BWGV. Die Weinlese in Württemberg endet in den meisten Weinbergen diese Woche. Die Lese fand dieses Jahr bei warmen und teilweise heißen Temperaturen statt. Nur am Ende wurde das Wetter wechselhaft und man musste teilweise mit hoher Schlagkraft agieren, um die trockenen Stunden auszunutzen.
Der Absatz der württembergischen Weingärtnergenossenschaften mit eigener Kellerwirtschaft und eigenem Vertrieb ist im ersten Halbjahr 2020 um 6,5 Prozent auf 33,8 Millionen Liter Wein und Sekt gestiegen. Der Umsatz legte im gleichen Zeitraum um 2,2 Prozent auf 97,6 Millionen Euro zu. Im Jahr 2019 haben die Weingärtnergenossenschaften 66,7 Millionen Liter Wein und Sekt verkauft, das entspricht einem Minus von 6,1 Prozent. Der Umsatz verringerte sich derweil um 4,3 Prozent auf 207,8 Millionen Euro.
Weinmarkt entwickelt sich unterschiedlich
Der Weinmarkt in Deutschland entwickelt sich coronabedingt sehr unterschiedlich: Während es im ersten Halbjahr im Lebensmitteleinzelhandel deutliche und im E-Commerce äußerst große Steigerungen gab, entwickelte sich der Absatz im Fachhandel nur unterdurchschnittlich und im Direktverkauf leicht rückläufig. Dramatische Rückgänge verzeichnet der sogenannte Außer-Haus-Bereich wie Gastronomie, Feste und Veranstaltungen.
Die Ausgaben der deutschen Haushalte - ohne Außer-Haus - für alkoholische Getränke haben sich nach Marktforschungsdaten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im ersten Halbjahr 2020 deutlich erhöht. Insbesondere Wein und Spirituosen konnten vom Shutdown überproportional profitieren. „Es scheint, als wollten sich viele Menschen etwas gönnen“, berichtet Uwe Kämpfer, Vorstand Marketing und Vertrieb der Württembergischen Weingärtner-Zentralgenossenschaft eG (WZG). Bier, Sekt und Mixgetränke seien hingegen nicht so stark nachgefragt gewesen.
35 Genossenschaften in Württemberg
In Württemberg arbeiten 35 Weingärtnergenossenschaften, darunter 15, die ihre Weine im eigenen Keller ausbauen, dazu kommt noch die WZG in Möglingen. Die Zahl der Mitarbeiter inklusive WZG lag Ende 2019 bei 738 (2018: 729). Die genossenschaftliche Ertragsrebfläche in Württemberg ist leicht um sechs Hektar von 7.410 (2018) auf 7.404 Hektar zum Jahresende 2019 gesunken. Dies entspricht etwa zwei Drittel der Gesamtfläche. 2019 hat sich die Genossenschaft Weinfactum Stuttgart-Bad Cannstatt der Felsengar-tenkellerei Besigheim eG in Hessigheim angeschlossen. Im laufenden Jahr gab es bisher noch keine Fusion.
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