Vorsichtiger Optimismus
- Veröffentlicht am
Der desolate Schweinemarkt war Ende Januar 2021 Thema bei der ersten digitalen Wintertagung der Viehzentrale Südwest (VZ). Unter der Moderation von VZ-Aufsichtsratschef Dr. Reinhard Funk stimmten zwei Branchenkenner die Teilnehmer auf eine Trendwende der Marktlage ein.
Dr. Albert Hortmann-Scholten bleibt zuversichtlich. Der allseits anerkannte Experte für den Fleischmarkt glaubt unbeirrt daran, dass sich die Marktlage für Schlachtschweine noch in der ersten Hälfte des gerade anlaufenden Jahres 2021 deutlich verbessern wird. Wie er bei der VZ-Tagung am Donnerstag vergangener Woche den rund 160 Teilnehmern an den Bildschirmen erklärte, zieht er seine überaus positiven Erwartungen aus dem Frühindikator Ferkelmarkt.
Die Branche gefragt
Während die in Baden-Württemberg gut bekannte Aktuelle Ferkelnotierung aus Schwäbisch Gmünd mit ihrem moderaten Preisanstieg fürs 25-Kilo-Ferkel von derzeit wöchentlich ein bis zwei Euro eine Trendwende allenfalls erahnen lässt, hat sich Marktkenner Hortmann-Scholten in der Branche umgehört. Bei Futtermittelherstellern und Schweinezuchtfirmen in Norddeutschland hatte er sich erkundigt, wie es um die Nachfrage steht.
Beide Wirtschaftsbereiche antworteten auf seine Frage gleich: Die Nachfrage sinkt. Das heißt, die Nachfrage nach Sauen-, Ferkel- und Maschschweinefutter geht ebenso zurück wie der Verkauf von Samentuben. Bei den Spermatuben war der Verkauf im Januar 2021 um 15 Prozent geschrumpft. Für ihn ist damit klar, dass der Ferkelmarkt Anfang Dezember vergangenen Jahres die Wende zu steigenden Preisen vollzogen hat, auch wenn die aktuellen Marktpreise in der Ferkelerzeugung von einer gewinnbringenden Erzeugung noch Lichtjahre entfernt scheinen.
Norddeutsche Sauenhalter und Schweinemäster litten nach seinen Aussagen zudem unter der enormen Teuerung des Eiweißfutters, da sie ihr Mischfutter überwiegend zukaufen würden. Das sinkende Schlachtschweineaufkommen aus deutscher Erzeugung werde sich im Selbstversorgungsgrad zeigen. Hortmann-Scholten erwartet einen Rückgang von 127 Prozent Selbstversorgung im Jahr 2020 auf möglicherweise 115 Prozent im Jahr 2021.
Solche Marktlagen lassen den Fachmann aufhorchen: Bei sinkenden Sauen- und Ferkelzahlen aus deutscher Erzeugung geht der Oldenburger bei einer stabilen Schweinefleischnachfrage der Bundesbürger davon aus, dass spätestens im Mai die Preise für Schlachtschweine in die Höhe gehen werden. Denn der Abbau des Schweinestaus ist für den Geschäftsführer der Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG) nur eine Frage von einigen Wochen. Wenn die Nachfrage für Schlachtschweine wieder anspringt, profitieren auch die Ferkelpreise, zeigt sich Dr. Albert Hortmann-Scholten unverdrossen zuversichtlich.
Am Bedarf vorbei
Ungewöhnliche Erfahrungen verbindet Stefan Müller mit der Fleischherstellung der jüngsten Vergangenheit. Als im familieneigenen Fleischwerk in Birkenfeld bei Pforzheim im vergangenen Jahr sich Mitarbeiter mit Corona infiziert hatten, rollte eine Welle aus staatlicher Kontrolle und öffentlicher Aufmerksamkeit über das Unternehmen hinweg, wie das der Geschäftsführer der Müller Gruppe noch nicht erlebt hatte, räumte er bei der VZ-Tagung ein.
Aus den jüngsten Verwerfungen des deutschen Schlachtschweinemarkts infolge von Corona und Afrikanischer Schweinepest zieht der Fleischmanager heute den Schluss, dass die Branche zuletzt wohl am Bedarf der Verbraucher vorbeiproduziert habe. Der Rückgang des Schweinefleischverbrauchs sei teilweise „ignoriert worden“. Seine Branche müsse „wach werden“, meinte er selbstkritisch. Die Orientierung an gesellschaftlichen Erwartungen sei nicht zu unterschätzen.
In der Spitze und im Tal
Müller sprach sich dafür aus, die Fleischerzeugung künftig in vertraglich gesicherten Vermarktungsketten zu organisieren. So ließen sich Preis- und Angebotsschwankungen begrenzen. Müller wörtlich: „Das kann in der Spitze und im Tal sein.“ Dabei griff er Vorschläge der Borchertkommission auf, die sich für regionale Kreisläufe ausgesprochen habe. „Der Verbraucher will das und die Politik muss das organisieren“, meinte er. Dass die Finanzierung nicht nur aus der Vermarktung kommt, geht für den Unternehmer in Ordnung. Schließlich wünsche der Verbraucher in Umfragen eine Art der Fleischerzeugung, die er dann im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) tatsächlich kaum einkauft.
Müller betonte das Interesse der familiengeführten Schlacht- und Zerlegefirma aus dem Enzkreis an den süddeutschen Schlachtschweinen. Nach seiner Ansicht sollten auch die Ferkel aus den erzeugenden Regionen stammen. Schließlich funktioniere der Marktzugang zu den Verbrauchern heute vor allem über den regionalen Markt mit den Marktteilnehmern Metzger, Gastronomie und LEH. Die Voraussetzung für den Marktzugang sieht er in der Haltungsstufe II und forderte die Tagungsteilnehmer auf: „Machen Sie mit, gehen Sie mit, das ist die Zukunft.“
Dr. Reinhard Funk hatte aufmerksam zugehört. Über die neue Wertschätzung der Schlachtbranche für die Schweinehalter freute er sich. Dabei wies der Moderator seinen Vorredner freundlich darauf hin, dass „die Wertschätzung auch am Preis hängt“. Funk hofft, dass die neuen Töne in der Zusammenarbeit auch dann noch gelten, wenn Corona irgendwann überwunden ist.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.