Agrarrohstoffmärkte im Ausnahmezustand
Die Preise steigen, die Kaufkraft sinkt. Wegen der Knappheit und Unsicherheit an den Agrarmärkten haben Aldi, Lidl und andere Ketten die Preise für viele Produkte erhöht. Mehl und Nudeln sowie Speiseöle aus Raps oder Sonnenblumen rücken angesichts des Ukrainekrieges in den Fokus. Wie wichtig Russland und die Ukraine für den weltweiten Getreide- und Ölsaatenmarkt sind, war Thema im digitalen AMI-Talk am 31. März.
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Die Anspannung an den Rohstoffmärkten ist hoch: „Am 23.2. lag der Weizenpreis bei 290 Euro pro Tonne, dann ging er am 24. um 20 Euro nach oben, danach wieder runter und in den Tagen darauf rauschte er bis 425 Euro nach oben. So etwas habe ich noch nie erlebt”, erinnert sich Agrarrohstoffhändler Wolfgang Sabel, Geschäftsführer Kaack Terminhandel GmbH. Eigentlich geht es an den Terminbörsen um Daten und Fakten, ein Stück weit um Erwartungen und auch etwas um Spekulationen. Doch nach dem russischen Angriffskrieg herrschte erst einmal nur Unsicherheit – eine gewaltige Herausforderung für ihn und seine Kunden, sowohl am Kassamarkt als auch am Terminmarkt. Mittlerweile habe man die Erwartungen einpreisen können. Beim Weizen befinde man sich in einer Konsolidierungsphase, beim Raps sei der Preistrend noch ansteigend. „Ich habe noch nie so hohe Preise gesehen und kann mir nicht vorstellen, dass Länder wie Bangladesch oder Ägypten diese Preise bezahlen können“, meint Sabel. Er erinnert daran, dass im arabischen Frühling 2010 ein Weizenpreis von 280 Euro die damaligen Aufstände mitausgelöst hat.
Lieferungen sind wichtig
„Wenn 20 Mio. t weniger aus der Ukraine kommen sollten, ist das die mittlere Katastrophe. Das bedeutet 200 Mio. mehr Hungernde auf dieser Welt. Würde Russland als Lieferant ausfallen, wäre das der schlimmste Fall in Sachen Lebensmittelknappheit. Ich gehe davon aus, dass die russische Ernte kommt und dass sie auch vermarktet wird”, so Marktanalyst Jan Peters, Jan Peters Agrardaten GmbH. Die hohen Getreidepreise dürften sich auch massiv auf die ohnehin schon unter Druck stehende Veredlungswirtschaft in Europa auswirken. Mit der Folge, dass volle Fleischtheken demnächst zur Vergangenheit gehören könnten. „300 Euro pro t ab Hof für B-Weizen der neuen Ernte, 280 Euro für Gerste und 750 Euro für Raps bei gleichzeitig extrem hohen Betriebsmittel- und Energiepreisen – da sind die Margen weiterhin nicht besonders auskömmlich, die Tierproduktion lohnt sich immer weniger”, sagt Jan Peters. Angesichts der drohenden Knappheit schlägt er vor, in Europa die Intensität des Anbaus für ein bis zwei Jahre zu erhöhen, ohne dabei den Klimawandel, den Arten- und Gewässerschutz und die Biodiversität aus den Augen zu verlieren.
Versorgungslage bleibt angespannt
Wienke von Schenck, AMI-Marktanalystin Pflanzenbau, zeigte sich ebenfalls besorgt. „Wir können nur hoffen, dass wir auf der Nordhalbkugel dieses Jahr ein gutes Wachstums- und Erntewetter bekommen. Sonst wird es mit der Versorgungslage richtig eng.” Angesichts der Brisanz der Lage fordern die Marktexperten für Deutschland, die Stilllegungsflächen für den Getreideanbau freizugeben sowie die Biodiesel/Ethanol-Produktion zugunsten der Lebensmittelproduktion zurückzufahren. „Es kann nicht sein, dass wir unser Rapsöl im Motor verbrennen und dann Palmöl oder Sojaöl essen. Ich halte eine Verschiebung von ,Biodiesel-Mandaten' zugunsten des Lebensmittelbereichs für dringend erforderlich”, forderte Peters. Das Rapsöl geht in Deutschland zu großen Teilen (65 Prozent) in die Biosprit-Produktion, bei Sonnenblumenöl ist der Anteil deutlich geringer.
Sonnenblumenöl aus der Ukraine
Bei Sonnenblumenöl kommen drei Viertel des Welthandels aus Russland und der Ukraine mit einem russischen Anteil von 25 Prozent und 51 Prozent aus der Ukraine. Wichtig für den Weltmarkt ist Russland auch beim Roggen. Bei Weizen hält Russland etwa 19 Prozent Anteil am Welthandel, der EU-Anteil beläuft sich hier auf etwa 15 Prozent. Russland und die Ukraine sind im Übrigen auch wichtige Anbieter von Futter- und Braugerste. Was die Importe in die EU betrifft, so kommen 89 Prozent des importierten Sonnenblumenöls aus der Ukraine. Beim Sonnenblumenschrot sind es 58 Prozent, bei der Gerste 39 Prozent, beim Sojaöl 33 Prozent, beim Weizen 30 Prozent und beim Rapsöl 24 Prozent. Die EU benötigt auch zusätzlich 18 Mio. Tonnen Mais, mehr als die Hälfte davon aus der Ukraine. Viele Importländer auf der Welt fragen sich jetzt, wo ihre Agrarrohstoffe künftig herkommen sollen.
Aldi erhöht die Verkaufspreise bei Lebensmitteln
„Aufgrund der Situation auf den Weltmärkten werden wir Sprünge in den Verkaufspreisen im Lebensmitteleinzelhandel erleben, die es so noch nie gegeben hat“, kündigte Florian Scholbeck, Geschäftsführer bei Aldi Nord, vergangene Woche gegenüber den Medien in Deutschland an. Als Grund für die radikale Preiserhöhung nennt Aldi die explodierenden Kosten vor allem für Weizen, Energie und Futtermittel im Zuge des Ukrainekrieges. Dauert der Krieg noch drei oder vier Wochen, lassen sich vielleicht einige Sommerungen mehr aussäen und das Wintergetreide noch gut behandeln. Geht der Krieg länger, könnte die Erntemenge in der Ukraine um bis zu 40 Prozent fallen, hieß es in der AMI-Talkrunde. Erschwerend kommt hinzu, dass die Logistik und Infrastruktur stark beschädigt ist. Die Landwirte in der Ukraine tun alles, was sie können, um die Aussaat sicherzustellen. Sämtliche Regulierungen im Land wurden außer Kraft gesetzt, damit die Landwirtschaft so gut es irgendwie geht weiter arbeiten kann.
China mit prallvollen Lagern
Nachdem China im Wirtschaftsjahr 2020/21 „wie ein Staubsauer” die Weltlagerbestände an Weizen aufkaufte, wunderten sich viele. Über die Gründe wird viel spekuliert. Nach Angaben des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums (USDA) verfügt China nun über Lagerbestände von 160 Mio. t Weizen. Das ist die Hälfte der weltweiten Lagerbestände.
Ölmühlen unter Druck
„Wir blicken mit großer Sorge auf die kommenden Monate”, meinte Andreas Haase, Geschäftsführer Brökelmann + Co – Oelmühle GmbH + Co. Beim Raps werde die Frage sein, ob andere Länder wie Kanada oder Australien die fehlenden Mengen liefern können. Das Sonnenblumenöl für die Mühle kommt zu 100 Prozent aus der Ukraine. „Da leben wir gerade von der Hand in den Mund. Die Mühle ist bis Ende April versorgt. Wie es dann weitergeht, weiß heute keiner”, so Haase. Zur Not müsste die Politik am Biokraftstoff drehen. „Wir befinden uns mitten in einer Tank-Tellerdiskussion. Wenn die Aussaat nicht so klappt wie erhofft, dürfte diese Diskussion weiter zunehmen”, so Haase.
Noch wenige Vorkontrakte für die neue Ernte
Wolfgang Sabel berichtete von einer geringen Bereitschaft vonseiten der Landwirte, Vorkontrakte für die neue Ernte abzuschließen. Derzeit stünden noch keine 20 Prozent in den Büchern. Zu hoch seien die Verunsicherungen und auch die Erwartungen auf weiter steigende Preise. So dürfte das Risiko für alle Marktteilnehmer weiterhin sehr hoch bleiben.
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