Gute Stimmung beim Spatenstich
Am 14. Juli fanden sich zahlreiche Gäste und Partner zum Beginn der Bauarbeiten einer Agri-PV-Anlage in Wetzisreute in der Gemeinde Schlier im Landkreis Ravensburg ein. Eingeladen auf das Gelände im "grünen Gewerbegebiet" hatten die Initiatoren des Projekts „APV Schlier“ Severin Batzill, sein Bruder Merlin Batzill sowie die Mitgesellschafter, die beiden Rädler Brüder Thomas und Michael und Jochen Kreh gemeinsam mit der Ravensburger Solmotion Project GmbH, die das Bauvorhaben begleitet.
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Bei lockerer Atmosphäre mit Häppchen, kühlen Getränken und guten Gesprächen gaben Landwirt Severin Batzill und Michael Keil, Geschäftsführer der Solmotion Project GmbH, Einblicke in ein wohl bundesweit einzigartiges Projekt, welches auch noch andernorts für jede Menge Aufmerksamkeit sorgen dürfte, falls weitere Landwirte auf diesen Zug aufspringen sollten.
Planung verlief zügig
Wie Severin Batzill berichtete, wurde die Idee dem Gemeinderat erstmals vor anderthalb Jahren vorgetragen, parallel dazu wurden dann die Flächen dazu angeworben. „Ich denke, das ist eine Rekordzeit“, freute sich Batzill anlässlich des symbolischen Spatenstichs. Seit Mitte Juni wurden bereits die Ständeraufbauten als Unterkonstruktion für die Paneele in den Boden gerammt. Diese Pfosten stehen im Abstand von wenigen Metern beziehungsweise mit neun Metern Abstand zwischen den Reihen, so dass landwirtschaftliche Maschine, zum Beispiel ein Hackstriegel, problemlos durchfahren können. Bei den Kulturen will man sich zunächst auf Pflanzen nicht höher als 1,20 Meter beschränken, also überwiegend auf Kulturen wie Weizen, Gerste oder Ackerbohnen. Der gewisse Mehraufwand für die Landwirtschaft soll mithilfe der Stromerzeugung mehr als nur kompensiert, so die Hoffnung.
Dank an alle Beteiligten
Ohne den Gemeinderat und dem Rathaus-Team wäre der strenge Zeitplan so nicht einzuhalten gewesen, bedankte sich Batzill, namentlich bei Julia Diemen vom Bauamt sowie bei der Sieber Consult GmbH, die das Bauleitplanverfahren Hand in Hand vorangetrieben haben. Sein Dank gilt auch der örtlichen VR-Bank Ravensburg-Weingarten für die Finanzierung.
Wie es dazu kam
Studiert haben die beiden aus der Landwirtschaft stammenden Batzill-Brüder Maschinenbau. Sie hatten laut Severin Batzill schon sehr früh ein Faible für Energie. Mittlerweile habe sich der Strommarkt so entwickelt, dass man damit Geld verdienen könne, selbst ohne staatliche Förderung. „Gleichzeitig kam das Problem auf, dass immer mehr wertvolle Flächen mit klassischen Freiflächen-Anlagen verbraucht werden, was per se nicht im Sinne der Landwirtschaft ist. Wir wollten dem ein Konzept entgegenstellen, das auch mit der Landwirtschaft funktioniert und beim dem auch nicht unbedingt ein Zaun um die Flächen gezogen werden muss, damit auch der Wildwechsel weiterhin stattfinden kann“, beschreibt Batzill das Vorhaben und die Beweggründe.
Kompakt auf möglichst wenig Fläche
Bei Agri-PV sind von der Gesamtfläche nur 15 Prozent für die PV reserviert, der Rest bleibt der Landwirtschaft vorbehalten. Bei Batzill sind es 15 ha Gesamtfläche, verteilt auf drei Standorten, und davon verbraucht die PV-Anlage aber nur 2,3 ha. Möglichst netzdienlich soll die Sonne vor allem morgens und abends eingefangen werden und weniger zur Mittagszeit, wenn ohne hin alle PV-Anlagen voll einspeisen.
Energieversorgung in der Gemeinde
Die Gemeinde Schlier verbraucht etwa 9 Mio. Kilowattstunden Strom pro Jahr und produziert diese Menge und sogar noch etwas mehr heute schon selbst. „Theoretisch sind wir beim Strom heute schon autark“, so Batzill. Etwa 5 Mio. Kilowattstunden kommen über die PV-Dächer, 4,5 Mio. von zwei Biogasanlagen sowie weiterer Strom über Holzgas. Batzill will mit den drei Anlagen auf den 15 ha künftig 14 Mio. Kilowattstunden produzieren, das ist in etwa die Leistung eines modernen Windrades. Damit würde die Gemeinde Schlier künftig etwa das 2,5-fache ihres Eigenverbrauchs selbst erzeugen. Interessant ist auch, dass man mit den 15 Hektar Agri-PV über das dreifache an Strom produzieren wird, wie heute die beiden Biogasanlagen, die dafür rund 300 ha Fläche benötigen. Vorteil einer Freiflächenanlage gegenüber einer Dachanlage sei, dass man durch den Einsatz moderner bifazialer Module auch von der Rückseite Energie aufnehmen kann, was eine Dachanlage so nicht kann.
Mit Partnern aus der Region
Bazill legt Wert darauf zu betonen, dass man mit der Anlage regional verankert sein möchte und möglichst viel mit Partnern aus der Region arbeitet, allen voran mit der Firma Solmotion als Projektentwickler. Bei der Finanzierung sind keine Großinvestoren, keine Großbanken in Spiel, sondern die VR-Bank vor Ort, was die Initiatoren als Bekenntnis zu ihrer Heimat Oberschwaben betrachten. Die Aufständerung kommt aus Oberbayern, die Wechselrichter aus Heilbronn. Bisher läuft alles Hand in Hand, zeigt sich Batzill zuversichtlich.
Was das Projekt besonders macht
Als außergewöhnlich beschreibt der Solmotion Geschäftsführer Michael Keil das Agri-PV Projekt und verhehlt dabei nicht, dass er künftig gerne möglichst viele weitere solcher Projekte betreuen würde. Die Anfrage zu dem Projekt erreichte ihn über eine lapidare WhatsApp nach dem Motto: „Schauen Sie mal, was wir da vorhaben“. Seine Antwort lautete: „Ein solches Vorhaben möchten wir unterstützen“. Was so klein angefangen hat, könnte sich noch zu etwas ganz Großem entwickeln. Wer weiß das schon? Denn bis heute gibt es kein vergleichbares Projekt in Deutschland. Beide Partner, sowohl die Initiatoren als auch die Projektbegleiter, betreten Neuland. Zumal das Vorhaben weder gefördert noch wissenschaftlich begleitet wird, wie es in Pilotanlagen der Fall ist. Das unternehmerische Risiko liegt vollkommen bei den Initiatoren, die mit einem Investitionsvolumen in Höhe von rund neun Millionen Euro kalkulieren.
Innovatives Tracker System
„Es sind hier landwirtschaftliche Unternehmer, die das Heft in die Hand genommen haben“, lobt Keil den Mut der Initiatoren. Sie haben geschaut, wie man Flächen so umnutzen kann, dass sie der Landwirtschaft nicht verloren gehen. Das hat Pioniercharakter. Den Zuschlag fürs Projekt gab es nicht über die normale Ausschreibung, sondern über die Innovationsausschreibung, es handelt sich um ein innovatives Projekt. Innovativ ist vor allem das sogenannte Tracker System, welches man auf den herkömmlichen Freiflächenanlagen bislang nicht findet. Tracker Systeme kennt man aus der Vergangenheit, als es sich gelohnt hat, der Sonne nachzugehen und jede Kilowattstunde einzusammeln. Heute sind es die hohen Energiepreise in den Morgen- und Abendstunden, die eine Nachführung lohnend erscheinen lassen. Auch wenn ein Tracker System als anfällig und aufwendig erscheinen mag, Keil sieht es für die künftige Wirtschaftlichkeit von Agri-PV als entscheidend an. Denn schließlich fehle in der Region die breite Akzeptanz für große, zusammenhängende Freiflächen, auf denen man sicherlich problemlos auf ein Tracker System verzichten könnte. „Deswegen brauchen wir besonders große Spezialmodule in der Reihe und müssen eine Nachführung vornehmen“, so Keil.
Möglichst hohe Anlagenleistung
„Weil wir flächen- und größenmäßig begrenzt sind, müssen wir den Ertrag steigern, um eine Fixkostendegression zu schaffen. Wir gehen also nicht über die Flächenexpansion, sondern die Ertragsexpansion“, erklärt Keil. Installiert werden außergewöhnliche Module, 2,60 Meter lang und 1,30 Meter breit, von denen jeweils zwei Übereinander gesetzt werden. Da gebe es nur wenige Lieferanten, die hier infrage kommen und mit denen man es schafft, so ein Projekt wirtschaftlich darstellen zu können. Die Ravensburger Firma solmotion hat seit 15 Jahren Erfahrung mit Photovoltaik gesammelt, überwiegend mit Dachanlagen aber auch mit Freiflächenanlagen. „Wir machen pro Jahr 400 bis 500 Einfamilienhäuser in der Region. Dadurch haben wir es uns zugetraut, so ein Projekt zu begleiten und bis heute auch sehr gut mit umzusetzen“, so Keil. Anfragen aus der Landwirtschaft kämen derzeit viele in Richtung Freifläche, weniger für den Dachbereich. „Freifläche ist derzeit leider in aller Munde. Leider in Anführungszeichen. Auch wir wollen Freifläche umsetzen, aber nur aus der Region für die Region“, so Keil. Man müsse aufpassen, dass diese Fläche nicht in die falschen Hände gerät.
Inbetriebnahme im ersten Halbjahr 2024 geplant
Eigentlich hätten die Module für die APV Schlier schon längst angeliefert sein sollen. Sie kommen aus China und werden jetzt Anfang August erwartet. Dabei handelt es sich um Module, die es preislich so in Deutschland nicht zu kaufen gibt. Wie der erzeugte Strom konkret vermarktet wird, sei derzeit noch nicht ganz spruchreif. „Das sehen wir dann spätestens vor der Inbetriebnahme,“ so Keil. Die Inbetriebnahme ist fürs erste Halbjahr 2024 anvisiert.
Schlier gilt als Vorreiter im Landkreis
„Als Bürgermeisterin ist es mir eine große Ehre dieses Projekt in unserer Gemeinde zu unterstützen und voranzutreiben“, sagte Katja Liebmann. Die Agri-PV-Anlage markiere einen wichtigen Schritt in Richtung nachhaltiger Energieversorgung und Umweltschutz. Sie vereint Landwirtschaft und Photovoltaik und ermöglicht es uns, Sonnenergie zu erzeugen und landwirtschaftliche Flächen optimal zu nutzen, so die Bürgermeisterin. Im Landkreis Ravensburg nehme Schlier mit dem klimaneutralen Baugebiet „Am Bergle“ und dem nachhaltigen Gewerbegebiet „Unteres Tal“ eine „gewisse Vorreiterrolle in Sachen Klimaanpassung ein“. Die drei Agri-PV-Flächen stellen aus bauleitplanerischer Sicht einen Meilenstein dar und seien ein wichtiger Faktor der Erneuerbaren. In einer Zeit, in der der Klimawandel spürbar und die Ressourcen auf der Erde knapper werden, sei es unerlässlich, die Weichen für eine nachhaltige Energieversorgung zu stellen. „Die Anlage ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch ökonomisch eine Chance, durch Innovationen unsere Wirtschaft zu stärken“, so Liebmann.
Gemeinsames Handeln
Um das zu schaffen, brauche es ein koordiniertes und entschlossenes Vorgehen auf allen Ebenen. „Es freut mich, dass die Gemeinde Schlier mit dem Gemeinderat die politischen Rahmenbedingungen mit der Änderung des Flächennutzungsplans und den Bebauungsplänen Agri-PV in Wetzisreute, Richlisreute, Eratsrain geschaffen hat.“ Und: „Es ist schön, dass Sie sich als eine Gruppe von Schlierer Bürgern und Landwirten zusammengefunden haben, um diese Investition hier in Schlier zu tätigen. Liebmann bedankte sich bei allen Beteiligten.“ Der Gemeinderat sei von Anfang an aufgeschlossen dem Projekt gegenüber gewesen. Man möchte mit Agri-PV aufzeigen, welche Potenziale in der Energiewende stecken. Dabei gehe es darum, Synergien zu schaffen und die Akteure nicht in Konkurrenz zueinander zu sehen. Agr-PV könne helfen, den Flächendruck zu verringern. So lasse sich eine nachhaltige Nutzung der begrenzten Flächen erreichen.
Verfahren weiter beschleunigen
Dass Deutschland einen Betrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten muss, betonte Axel Müller (MdB, CDU). Bis 2045 bzw. 2040 wolle man klimaneutral werden. Müller bestätige einmal mehr den hohen Flächendruck in der Region. Da sei es besonders wichtig, dass die Landwirtschaft mit eigenen innovativen Ideen aufwartet, um ihren Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten, findet Müller. Er forderte beschleunigte Verfahren, um die Vorhaben schneller umsetzen zu können. Gut sei, dass der Paragraf 35 des Baugesetzbuches geändert wurde, dahingehend das Agri-PV beschränkt bis 2,5 ha privilegiert und als Teil der Landwirtschaft eingestuft wird.
Familienbetriebe und Vielfalt in der Region
„Wichtig für uns ist, die eigene Fläche sinnvoll und wirtschaftlich zu bewirtschaften. Die Familie Batzill steht für Landwirtschaft und für Nachhaltigkeit, wie kaum eine andere und schafft es, dies mit der Wirtschaftlichkeit zu verbinden, lobte Franz Schönberger, der Vorsitzende des Bauernverbandes Allgäu Oberschwaben. Er verteidigte die Privilegierung auf 2,5 ha zu begrenzen, weil sonst die Gefahr zu groß sei, dass sich Investoren die Flächen unter den Nagel reißen. Das sehe man heute schon entlang von Autobahnen und Schienen, wo uneingeschränkt gebaut werden könne. Es herrsche regelrechte Goldgräberstimmung unter den Investoren. Aktuell, so Schönberger, werden 46 Prozent des Stroms mit Erneuerbaren gedeckt, künftig sollen es 80 Prozent werden. Wir bräuchten dazu, um das Ziel bis 2040 zu erreichen, deutschlandweit jedes Jahr 22.000 ha an landwirtschaftlicher Fläche zusätzlich. Im Kreis hätten sämtliche Betriebe nur 92.000 ha zur Verfügung. Das mache die Dimension deutlich. Er plädierte für den unbedingten Erhalt der Familienbetriebe und der Vielfalt in der Region. „Wir brauchen in einer Gunstregion, wie wir sie haben eine Doppelnutzung. Wir können nicht einfach Photovoltaik verbauen und darunter passiert nichts“, mahnte Schönberger.
Den Flächendruck verringern
Entsprechend müsse die landwirtschaftliche Nutzung priorisiert und auch der Naturschutz müsse seinen Stellenwert erhalten. Auf wiedervernässten Mooren zum Bespiel ließe sich PV obendrauf bauen. „So bekommen wir den Flächendruck verringert“, so Schönberger. Falls für den Kreis ein Biosphärengebiet käme, wären weitere mindestens 25.000 ha nicht für erneuerbare Energien nutzbar, gab Schönberger zu bedenken. „Das macht die Sache für uns nicht einfacher. PV-Freiflächenanlagen darf es nur geben, auf Flächen, die landwirtschaftlich benachteiligt sind“, so Schönberger. Und: „Flächeneigentümer und Bewirtschafter müssen unbedingt mit ins Boot geholt werden. Die brauchen ein dauerhaftes Mitspracherecht, ohne fremde Investoren von außen. Denn letztlich sind es die Bauern, deren Fläche weniger wird. Da muss man unheimlich aufpassen.“
Pionier der ersten Stunde
Für die ökologische Landwirtschaft sprach Martin Weiß von Bioland ein Grußwort. Weiß durfte seine landwirtschaftliche Ausbildung in den 1980er-Jahren bei Familie Batzill absolvieren, wie er berichtete. „Albert und Sabine Batzill waren für mich schon als junger Mensch der Inbegriff für Innovation, als Vorreiter für die ökologische Landwirtschaft, was in der damaligen Zeit alles andere als einfach war“, so Weiß. Damals, ebenso wie heute bei den beiden Söhnen, sei die enorme Schaffenskraft und der Unternehmergeist der Familie spürbar. Weiß wünscht sich, dass es über Agri-PV gelingen wird, dass die Photovoltaik zu großen Teilen in der Hand der Landwirtschaft bleibt. Bei Agri-PV handle es sich um eine unternehmerische Entscheidung im Sinne der Nachhaltigkeit und keinesfalls um eine Wohlfühl-Veranstaltung, so Weiß.
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