Später Regen rettet die Lese
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Die Lese in Württemberg befindet sich auf der Zielgeraden, so früh wie selten, teilt der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband (BWGV) mit. Nach diesen Angaben lässt sich das Ergebnis des genossenschaftlichen Weinjahrs 2022 auf die kurze Formel bringen: sehr gute Qualität bei durchschnittlichem Ertrag.
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Die genossenschaftliche Lesemenge wird bei rund 75 Millionen Litern liegen – und damit deutlich höher ausfallen als im ertragsschwachen Vorjahr (61,5 Millionen Liter). Im Mehrjahresvergleich ist die Menge zufriedenstellend. Freuen dürfen sich die Weinfreunde auf die Qualität: „Unsere 32 Weingärtnergenossenschaften rechnen mit einem hervorragenden Jahrgang 2022. Da darf man sich ruhig die ein oder andere Flasche mehr in den Keller legen“, betonte BWGV-Präsident Dr. Roman Glaser bei der Pressekonferenz zum Weinherbst in Württemberg am 10. Oktober in Esslingen.
In den Räumen der Weingärtnergenossenschaft Teamwerk Esslingen lobte Glaser den enormen Einsatz der vielen genossenschaftlichen Winzerinnen und Winzer in diesem in mehrfacher Hinsicht herausfordernden Jahr: „Die lang anhaltende Trockenheit und die extreme Hitze haben im Weinberg viel Einsatz gefordert. Die hohe Qualität im Fass und später im Glas ist verdienter Lohn für die Arbeit.“
Kaum Pilzbefall
Das Weinjahr 2022 reiht sich in die Rangfolge heißer und trockener Jahre seit der Jahrtausendwende ein und wird wohl nach 2003 den zweiten Platz einnehmen. Die Reben litten während des Sommers an der Trockenheit und Hitze. „Tiefwurzelnde ältere Reben waren klar im Vorteil gegenüber jüngeren Anlagen, die – vor allem wenn sie auf leichten, wenig Wasser speichernden Böden stehen – bewässert werden mussten“, machte Glaser deutlich. Dabei brachte die Trockenheit auch Vorteile. „Der trockene und sonnenreiche Sommer hat beste Bedingungen für reife und gesunde Trauben geliefert. Mit Schädlingen und witterungsbedingtem Pilzbefall wie im vergangenen Jahr hatten die Weingärtnerinnen und Weingärtner nicht zu kämpfen“, sagte der BWGV-Präsident. Auch Hagelschäden waren in 2022 nicht zu beklagen.
Die Hauptlese in den Weingärtnergenossenschaften ist weitestgehend abgeschlossen, so früh wie selten. Die Niederschläge im August kamen gerade noch rechtzeitig und waren eine Wohltat für die Reben und für die Lesemenge. „Insgesamt nehmen wir im Gespräch mit unseren Weingärtnergenossenschaften wahr, dass die gute Aromareife der Trauben und die guten Mostgewichte die Erwartungen auf einen sehr guten Jahrgang erfüllen werden“, berichtete Glaser. „Dies ist umso bemerkenswerter, da viele Weingärtnerinnen und Weingärtner aufgrund der Hitzewelle im Sommer und der intensiven Sonneneinstrahlung bereits mit Trockenschäden rechneten.“
Der Ertrag 2022 könnte bei 100 bis 105 Hektolitern je Hektar Rebfläche liegen (2021: 90 hl/ha). Die durchschnittlichen Mostgewichte sehen bei den Hauptsorten wie folgt aus: Riesling 82 Grad Oechsle, Schwarzriesling 83 Grad Oechsle, Spätburgunder 87 Grad Oechsle, Trollinger 72 Grad Oechsle und Lemberger 84 Grad Oechsle.
Erstes Halbjahr 2022: Anstieg beim Absatz, leicht gesunkener Umsatz
Der Absatz der württembergischen Weingärtnergenossenschaften mit eigener Kellerwirtschaft und eigenem Vertrieb ist im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 0,9 Millionen auf 31,1 Millionen Liter Wein und Sekt (plus 2,8 Prozent) angestiegen. Der Umsatz sank im gleichen Zeitraum um 0,9 Millionen Euro auf 92,9 Millionen Euro (minus 0,9 Prozent). Im Gesamtjahr 2021 haben die württembergischen Weingärtnergenossenschaften 65,4 Millionen Liter Wein und Sekt verkauft (4,8 Millionen Liter beziehungsweise minus 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Der Umsatz sank um 6,3 Millionen Euro (2,9 Prozent) auf 206,3 Millionen Euro.
Mit 7.314 Hektar werden etwa zwei Drittel der Rebflächen in Württemberg von Genossenschaften und deren Mitgliedern bewirtschaftet. Von den 31 Weingärtnergenossenschaften bauen 15 ihre Weine im eigenen Keller aus. Dazu kommt noch die Württembergische Weingärtner-Zentralgenossenschaft (WZG). Die Zahl der Mitarbeitenden liegt bei 724.
Kosten und Kaufverhalten
Die Entwicklung des genossenschaftlichen Weinabsatzes präsentiert sich damit robuster, als die Gesamtentwicklung des Weinmarkts. „Die hohe Inflation und die Unsicherheit über die steigenden Energiekosten im Winter wirken sich direkt auf das Kaufverhalten privater Haushalte aus. Im Lebensmitteleinzelhandel ist eine starke Kaufzurückhaltung zu spüren“, betont Uwe Kämpfer, Vorstand Marketing und Vertrieb der WZG.
So kam es im ersten Halbjahr 2022 gemäß des „Nielsen IQ Homescan Panels für Wein“ zu starken Rückgängen bei den Weinkäufen: Von Januar bis Juni wurden in Deutschland laut Marktforschung 15 Prozent weniger Wein gekauft als im Vorjahreszeitraum, bei deutschen Weinen betrug der Rückgang sogar 17 Prozent. Der Umsatz reduzierte sich im ersten Halbjahr um 12 Prozent für Wein gesamt beziehungsweise 12,5 Prozent für deutschen Wein.
„Ursache für den deutlichen, mengenmäßigen Rückgang ist vor allem die gesunkene Käuferreichweite“, erklärt Kämpfer. Die Anzahl Wein kaufender Haushalte sank in den ersten sechs Monaten des Jahres auf 47,1 Prozent deutlich gegenüber 50,7 Prozent im Vorjahreszeitraum, ein Trend der sich auch im zweiten Quartal fortsetzt. Auch wenn es einen deutlichen Anstieg des Außer-Haus-Konsums gibt, liegen die Einkaufsmengen und Käuferreichweiten im ersten Halbjahr 2022 sowohl für deutschen als auch ausländischen Wein deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau von 2019, verdeutlicht Kämpfer.
Dennoch gab es bei dieser insgesamt rückläufigen Entwicklung auch Gewinner: So konnte Spanien seinen Vorjahreserfolg weiter ausbauen und sowohl mengen- (11,7 Prozent) als auch wertmäßig (3,9 Prozent) Marktanteile hinzugewinnen. Klarer Verlierer waren die Weine der neuen Welt, die sich in der Menge um 7,5 Prozent und im Wert um 9,6 Prozent reduzierten. Da sich Deutschland sowohl mengen- als auch wertmäßig schwächer als ausländischer Wein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres entwickelte, betrug der Marktanteilsverlust in der Menge 2,7 Prozent und im Wert 0,8 Prozent. Glaser: „Angesichts dieser Zahlen ist es erfreulich, dass unsere Weingärtnergenossenschaften weitestgehend eine stabile Umsatz- und Absatzentwicklung für 2022 sehen.“
Hohe Betriebskosten
Eine große Belastung für die Weingärtnerinnen und Weingärtner sowie die Genossenschaften stellen die explodierenden Preise dar. „Die steigenden Kosten für Energie, Dünger und Pflanzenschutz lassen die Betriebskosten in die Höhe schnellen, ebenso wie die hohen Preise für Flaschen, Verpackungen und Logistik sowie der gestiegene Mindestlohn. Auch wenn unsere Genossenschaften mit ihren effizienten Produktionsstrukturen viel für die Verbraucher abfedern – an Preisanpassungen führt kein Weg vorbei“, machte Glaser deutlich und ergänzte: „Die gestiegenen Kosten müssen auch vom Verbraucher und dem Handel mitgetragen werden.
Gerade im Lebensmitteleinzelhandel dürfen die Regale nicht vermehrt mit ausländischen Weinen bestückt werden. Die im Rahmen der Auftaktveranstaltung zum Strategiedialog Landwirtschaft von Ministerpräsident Kretschmann zusammen mit Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels unterzeichnete Absichtserklärung zur Stärkung von regionalen beziehungsweise lokalen Erzeugnissen im Lebensmitteleinzelhandel muss nun auch beim Wein mit Leben erfüllt werden.“ Glaser erklärt, dass die Weinproduktion insbesondere im Herbst ein energieintensiver Prozess ist. Zum jetzigen Zeitpunkt lasse sich noch nicht zuverlässig prognostizieren wie hoch die Mehrkosten ausfallen. „Aktuell gehen wir von einer Kostensteigerung für die Betriebe in Höhe von rund 20 Prozent aus“, so Glaser. Eine weitere Unbekannte sei, wie stark sich angesichts der hohen Inflation das Konsumverhalten ändere.
Europäische Pflanzenschutzverordnung: Folgen wären dramatisch
Eine klare Absage erteilte der BWGV-Präsident den Plänen zur Europäischen Pflanzenschutzverordnung: „Die Auswirkungen in Deutschland auf die gesamte Landwirtschaft und insbesondere auch die Weinwirtschaft wären verheerend.“ Der Entwurf zur Verordnung sieht vor, dass in sogenannten empfindlichen Gebieten überhaupt kein Pflanzenschutz mehr zum Einsatz kommen dürfte. In allen anderen Gebieten ist eine Halbierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln vorgesehen. Glaser: „Die Folgen wären dramatisch: Ein großer Teil aller Rebflächen in Deutschland könnten dann nicht mehr bewirtschaftet und müssten stillgelegt werden.
Einzigartige Kulturlandschaften würden unweigerlich verloren gehen mit weitreichenden Folgen für die betroffenen Regionen.“ Glaser weist darauf hin, dass in Deutschland sehr viele Gebiete als empfindlich eingestuft sind und es bedeutend mehr Schutzgebiete als in anderen europäischen Ländern gebe. „Unsere Landes- und Bundespolitik ist gefordert, dass es zu einer realistischen Anpassung der überzogenen Reduktionsziele kommt.“
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