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Drei Generationen - ein Hof

Echte Familienbande

Sie sind Bauern mit Leib und Seele, die Reutters in Tübingen-Hagelloch. Den Kreuzberger Hof führen sie in der dritten Generation. Die Frage nach der Hofnachfolge stellte sich bei ihnen nie. Neu zu beginnen, sich zu verändern und abzugeben – das ist die Geschichte ihrer Familie.

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Zuchtsauen und Pensionspferde stehen auf dem Betrieb von Familie Reutter, (v. l.) Sebastian, Martha, Christian und Erwin Reutter
Zuchtsauen und Pensionspferde stehen auf dem Betrieb von Familie Reutter, (v. l.) Sebastian, Martha, Christian und Erwin ReutterStötzer
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Was wollen Sie denn wissen?“, tönt es aus der Familienrunde, die sich an diesem nasskalten Vormittag im Februar an einem Tisch im Reiterstübchen versammelt hat. Erwin und Martha Reutter, ihr Enkel Sebastian und Sohn Christian sind etwas skeptisch, als sie Besuch von BWagrar bekommen. Um die alten Zeiten soll es gehen, aber um welche genau? Im Schwedenofen prasselt ein Feuer. Vier Menschen aus drei Generationen werden nun an diesem trüben Tag von ihrem Hof, seinen Anfängen und der Entwicklung erzählen.

„Jetzt ist hier alles ganz anders als früher“, beginnt Christian Reutter, der den Betrieb im Jahr 1998 übernommen hat. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Reutters haben 40 Pensionspferde, 50 Zuchtsauen mit Nachzucht, 24 Milchkühe, Ackerbau, Grünland und Streuobst, das zu Edelbränden verarbeitet wird. Ungewöhnlich vielschichtig für die heutige Zeit. Begonnen hat alles mit dem elterlichen Betrieb von Erwin Reutter, der damals mitten im Ort stand. „Das war kein landwirtschaftlicher Betrieb im heutigen Sinne, es war ein Haus, wie jedes andere auch“, erklärt Erwin Reutter die Situation nach dem Krieg. Alles war auf den Hausgebrauch ausgerichtet: fünf bis sechs Kühe, zwei bis drei Schweine und rund 20 Hektar Ackerland.

Landwirtschaft nach dem Krieg

Erwin Reutter, heute 81 Jahre alt, war von Kindesbeinen an in den Betrieb eingespannt. Sein Vater starb, als er ein Jahr alt war, seine Mutter und ihr Vater führten den Hof weiter. „Ich hätte gerne eine weiterführende Schule besucht, aber es ging einfach nicht“, bedauert er. Die Familie glaubte nach dem Krieg nicht daran, dass es mit der Landwirtschaft wieder bergauf gehen würde und so machte Erwin Reutter eine Lehre als Baumwart. Anfang der Fünfzigerjahre erholte sich die Landwirtschaft jedoch wieder und er stieg hauptberuflich in den Familienbetrieb ein.
Dann kam Martha. „Wir haben uns bei der Hochzeit meines Bruders beim „Kirche führen“ kennen gelernt. Da wir im gleichen Ort wohnten, waren wir uns ohnehin nicht fremd“, erzählt Martha Reutter. Beim Brauch „Kirche führen“ gingen unverheiratete junge Männer und Frauen paarweise vor dem Brautpaar in die Kirche. Die Konstellationen waren damals nicht immer ohne Hintergedanken arrangiert und so heirateten Reutters 1955. Bald darauf kamen nacheinander die ersten drei Kinder, darunter Christian Reutter, zur Welt.
Für Martha Reutter war das Leben auf einem Hof keine große Umstellung, da auch in ihrem Elternhaus Nahrungsmittel für den Eigenbedarf produziert wurden. „Mit Ziegenmilch bin ich groß geworden“, erinnert sie sich noch genau. Als Kind hat sie, wie zu dieser Zeit üblich, bei den Bauern in der Nachbarschaft mitgeholfen: „Heu machen und Kartoffeln auflesen waren typische Arbeiten, bei denen wir Kinder besonders in der Nachkriegszeit mithelfen mussten.“

Der Betrieb siedelt aus

Sieben Jahre später, 1962, war der alte Hof in Hagelloch zu klein geworden und Martha und Erwin Reutter zogen an Weihnachten mit ihren drei Kindern auf den heutigen Kreuzberger Hof. Ihr jüngster Sohn erblickte auf dem Aussiedlerhof das Licht der Welt. Schweine und Kühe nahmen sie mit, aber „das Federvieh ist nicht mit umgezogen. Die Hühner haben mich schon immer geärgert. Ständig waren sie im Weg oder saßen auf den Maschinen und haben alles verdreckt“, erinnert sich der Senior. Wenn, dann hätten sie einen modernen, rundherum geschlossenen Hühnerstall bauen wollen. „Aber wir hatten so schon genug Arbeit. Hühner hätten wir nicht auch noch gebrauchen können“, fügt Martha Reutter hinzu. Sie verwendeten ihre Energie auf Schweine- und Milchkühe: Mit zehn Zuchtsauen und 14 Kühen starteten sie, wobei der neue Kuhstall gleich für 25 Tiere ausgelegt wurde.
Im Stall kam es direkt nach dem Einzug zum ersten Zwischenfall. Martha Reutter erzählt vom strengen Winter 1962/63: „Damals sind uns die Wasserleitungen eingefroren. Tagsüber sind sie aufgetaut, aber nachts mussten wir den Wasserhahn ein bisschen aufgedreht lassen, damit uns die Rohre nicht platzen.“ Sie schaut nickend in die Runde und ist jetzt noch froh, dass damals keine größeren Schäden entstanden sind.

Der Hof liegt heute am Ortsrand von Hagelloch. Reiter, Spaziergänger und Jogger sorgen für regen Betrieb auf den umliegenden Wegen. Anfangs lag der Hof weit abgeschieden vom Dorfleben in Hagelloch. Niemand verirrte sich zum Kreuzberger Hof. „Im Ort haben die Leute gefragt, ob wir keine Angst hätten da draußen“, erzählt die 78-Jährige. Heute kann sie sich die Stille von einst kaum noch vorstellen. „Es kam auch vor, dass wir verschlafen haben, weil wir nur die Natur und Ruhe um uns herum hatten“, erinnert sich Erwin Reutter lächelnd. Ihm hat das einsame Leben immer gefallen.

Flächentausch statt Flächenkauf

Soweit nach draußen sind sie gezogen, weil sich die Platzsuche damals ziemlich schwierig gestaltete. Zahlreiche kleine Flächen gehörten vielen Eigentümern. Es war schwierig, eine ausreichend große Fläche zusammen zu bekommen. „Eigentlich wollten wir auf die Anhöhe bei Hagelloch ziehen, aber es hat nicht geklappt. Ein Grundstück hat uns gefehlt, um auf die erforderlichen 40 Ar zu kommen“, sagt Erwin Reutter. Ein Betrieb, der aussiedeln wollte, musste jedoch eine Mindest-Baugrundstücksfläche von 40 Ar vorweisen, um neu bauen zu können. Mittlerweile sind sie froh, dass es nicht funktioniert hat, sonst würde sich der Hof nun direkt am Rande eines Wohngebietes befinden. Die jetzige Hoffläche bestand aus fünf Grundstücken unterschiedlicher Eigentümer. Gekauft haben Reutters keines, nur getauscht. Oftmals auch zu einem schlechteren Gegenwert.

Rückblickend auf die vielen Veränderungen Ende der Fünfziger und Anfang der Sechzigerjahre, denkt Erwin Reutter noch heute gerne an seinen ersten Mähdrescher zurück. Er war 1959 in Hagelloch der Erste, der einen kaufte: „Es war ein Lanz mit einer Schnittbreite von 1,80 Metern“, sagt er mit fester Stimme. Sein Tonfall verrät, dass sich ihm dieser Mähdrescher eingeprägt hat. Mit der für die damalige Zeit modernen Maschine ist er zum Lohndrusch bis ins Rheinland gefahren. „Wir sind aufs Geratewohl gestartet und haben die dortige Landwirtschaft erkundet. Zu tun gab es genug. Nach acht bis 14 Tagen sind wir wieder nach Hause gefahren.“
Für die Familie war es in dieser Zeit nicht einfach, weil eine Arbeitskraft komplett fehlte. „Da unsere Ernte aber noch nicht anstand, ging es einigermaßen. Der Arbeitsaufwand auf dem Hof hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Grenzen.“ Anschließend fuhr Erwin Reutter zum Lohndrusch auf die Schwäbische Alb. Mit der Aussiedelung des Hofs war Erwin Reutter jedoch auf Dauer so eingespannt, dass er 1963 ein letztes Mal ins Rheinland zum Lohndrusch fuhr.

Moderne Landtechnik hält Einzug

In seinen Erinnerungen schwelgend fällt ihm eine weitere Anekdote ein: Mitten in der Ernte 1964 ist der Mähdrescher kaputt gegangen. „Über den Lanz-Vertreter haben wir einen Landwirt ausfindig gemacht, der seinen Mähdrescher verkaufen wollte. Allerdings musste er noch bis um zehn Uhr abends dreschen. Ich bin dann mit einem Kollegen dahin gefahren und habe die Maschine direkt vom Feld geholt. Um vier Uhr morgens waren wir wieder daheim und unsere Ernte konnte weitergehen.“ Knapp 8000 Mark mussten auf die Schnelle investiert werden. Für den Betrieb, der sich noch im Aufbau befand, war das viel Geld. „Jedoch war damals das Geld viel schneller wieder erwirtschaftet als heute“, erläutert sein Sohn Christian Reutter.

Wie geht es weiter bei Reutters?
Teil II: Brennerei, Hundezucht und Milchquote
Teil III: Die Pensionspferde kommen
 

 

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