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Joachim Rukwied im Gespräch

„Unsere Arbeit muss angemessen honoriert werden!“

Das alte Jahr geht. Corona und schlechte Preise bleiben. Der Landesbauernverband in Baden-Württemberg (LBV) kämpft für bessere Rahmenbedingungen, Planungssicherheit und Honorierung der Arbeit seiner Mitglieder. Voran Joachim Rukwied. Der Bauernpräsident nimmt hierzu in BWagrar Stellung.
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  Landwirt und Weinbauer aus Leidenschaft, Bauernpräsident aus Berufung – Joachim Rukwied im Gespräch mit BWagrar
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BWagrar-Gespräch mit Joachim Rukwied

„Unsere Arbeit muss angemessen honoriert werden!“


BWagrar: Herr Rukwied, die Schweinehaltung befindet sich in schwerer Krise. Sehen Sie eine Zukunft für die regionale Tierhaltung?

Rukwied: Wir erwarten vom Handel endlich eine Abkehr von der Dauerniedrigpreispolitik. Die mangelnde Wertschätzung der Arbeit unserer Bauern muss ein Ende haben. Wir brauchen einen Deutschland-Bonus für Lebensmittel, die aus unserer heimischen Landwirtschaft kommen und in der Regel mit deutlich höheren Standards als Produkte aus dem Ausland erzeugt wurden. Diese Qualität muss ein anderes Preisschild haben. Regionalprogramme wie das Gutfleischprogramm der Edeka Südwest müssen ausgebaut werden. In der aktuellen Krise bieten solche Programme mehr Stabilität.

Von der Politik erwarten wir ein klares Bekenntnis zur regionalen Tierhaltung. Wir brauchen passende Rahmenbedingungen, die eine Weiterentwicklung der Tierhaltung ermöglichen. Die Umsetzung der Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung muss praxisnah stattfinden. Dazu gehört eine Anpassung des Immissions- und Baurechts, damit neue Haltungskonzepte überhaupt umgesetzt werden können. Die Weiterentwicklung der Tierhaltung benötigt Planungssicherheit und muss finanziell abgesichert werden. Hierzu sind die „Borchert-Vorschläge“ wegweisend.

BWagrar: Corona und Schweinepest verschärfen die Situation. Welche Folgen hat das?

Rukwied: Wir haben die Politik aufgefordert, schnellstmöglich die dringend benötigte Liquidität auf die Betriebe zu bringen. Dazu brauchen wir Zugang zu den Corona-Hilfen und steuerliche Erleichterungen. Der vorhandene Rückstand bei den Schlachtungen muss abgebaut werden. Deshalb müssen – unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes für die Mitarbeiter – die Schlachtkapazitäten bestmöglich nutzbar sein.

Ferkelerzeuger und Schweinemäster brauchen dringend höhere Preise. Die Öffnung von Drittlandsmärkten wäre ein sehr wichtiges Signal. Die Verhandlungen darüber müssen mit Hochdruck vorangetrieben werden.

BWagrar: Die Marktmacht des Lebensmittel­einzelhandels (LEH) ist immens. Welche Möglichkeiten gibt es, um das zu ändern?

Rukwied: Damit Landwirte auf Augenhöhe mit dem LEH verhandeln können, brauchen wir grundlegende Veränderungen. Die geplante nationale Umsetzung der EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken ist ein erster Schritt, missbräuchliche Nutzung von Nachfragemacht in der Lebensmittelkette einzudämmen. Der LEH muss sich verpflichten, generell unlautere Handelspraktiken gegenüber allen Lieferanten auszuschließen.
Wir haben die Lebensmittelhändler zudem aufgefordert, sich zu einem Verhaltenskodex zu verpflichten, indem zum Beispiel die Verbraucherkommunikation nicht nur auf niedrige Preise ausgerichtet ist. Auch die Selbstverpflichtung zum Aufbau langfristiger und verlässlicher Liefer- und Vertragsbeziehungen muss Bestandteil sein.

Die Politik muss in künftigen Handelsabkommen spezifische Klauseln vereinbaren, wonach Agrarprodukte nur dann zollfrei gehandelt werden, wenn sie europäischen oder gleichwertigen Umwelt-, Klima- und Tierwohlstandards entsprechen.

BWagrar: Was bleibt bei Novellierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) noch zu tun?

Rukwied: Nach derzeitigem Stand kann die neue GAP frühestens 2023 umgesetzt werden. Bis zur Stunde haben wir jedoch zwei große Ziele erreicht.

  1. Erstens konnten das EU-Agrarbudget, aber auch die GAP-Mittel für Deutschland trotz der Forderungen zahlreicher anderer Interessengruppen und -parteien nahezu konstant gehalten werden. Bei den Mitteln der Zweiten Säule konnte Deutschland sogar ein Plus von über fünf Prozent erzielen.
     
  2. Zweitens haben wir es geschafft, dass die Übergangsverordnung zur GAP unseren Betrieben Planungssicherheit bis Ende 2022 gibt. Jetzt gilt es, die Trilog-Verhandlungen bis zum Frühjahr 2021 im Interesse unserer Betriebe erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Die nationale Umsetzung muss praxisgerecht sein. Die Einkommenswirksamkeit der Ersten Säule zu erhalten, ist essenziell.


BWagrar: Welche Erfolge erzielte der Bauernverband bei den Saisonarbeitskräften?

Rukwied: Gemeinsam mit den zuständigen Ministerien haben wir es im Frühjahr geschafft, die Einreise von Saisonarbeitskräften zu ermöglichen und unsere Betriebe arbeitsfähig zu halten. Unsere Konzepte zur Einreise und den Hygienemaßnahmen funktionieren. Das hat die Politik honoriert. Zudem sind dieses Jahr die Zeitgrenzen für kurzfristig beschäftigte Saisonarbeitskräfte von drei auf fünf Monate angehoben worden. Dies hat zu einer spürbaren Entlastung geführt.

Auf Landesebene besteht jedoch Nachholbedarf. Die Testpflicht für alle Beschäftigten darf nicht pauschal an den Arbeitskräfteeinsatz geknüpft werden, sondern muss sich aus dem individuellen Risiko der Saisonkräfte ergeben. Außerdem dürfen die Kosten der Tests nicht bei den Landwirten verbleiben. Kommendes Frühjahr müssen wir wieder alles daran setzen, die benötigten Arbeitskräfte auf die Betriebe zu bringen.

 

„Mit unserer Forderung nach Binnendifferenzierung haben wir erreicht, dass die Roten Gebiete deutlich reduziert wurden.“


BWagrar: Wie ist der aktuelle Stand bei der Umsatzsteuer-Pauschalierung nach dem Umsatzsteuergesetz (UStG)?

Rukwied: Aufgrund eines EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland musste der Gesetzgeber bei der unbegrenzten Anwendung der Pauschalierungsregelung tätig werden. Eine Komplettstreichung stand im Raum. Diese haben wir verhindert.

Im geänderten § 24 UStG bleibt die Pauschalierungsregelung für Betriebe bis zu 600.000 Euro Umsatz erhalten. Das Gesetz muss allerdings noch durch den Bundesrat.

BWagrar: Seit Juni ist die Dünge-Verordnung in Kraft. Die überarbeitete Länder-Verordnung kommt 2021. Gibt es noch Handlungsbedarf?

Rukwied: Es gibt nach wie vor viele Kritikpunkte. Das volle Ausmaß für den Einzelbetrieb wird vermutlich erst in der Umsetzung der neuen Bestimmungen ersichtlich. Wir befürchten bei den Betrieben, die in den Roten Gebieten liegen, deutliche Ertrags- und Qualitätsverluste.

Wir konnten aber erreichen, dass die Bestimmungen rund um die Messstellen und die bundesweite Gebietsabgrenzung vereinheitlicht und damit insgesamt verbessert wurden. Unsere massive Forderung nach der Binnendifferenzierung und damit einer verursachergerechteren Herangehensweise hatte zur Folge, dass die Roten Gebiete deutlich reduziert werden konnten. In Baden-Württemberg sind anstatt neun nur noch 1,5 Prozent der Landesfläche betroffen.

BWagrar: Welche Spielräume sehen Sie auf Landesebene? Was gilt es noch zu verändern?

Rukwied: Die bodennahe Ausbringung von Wirtschaftsdüngern auf Grünland ab 2025 sehen wir sehr kritisch. Zu Recht stößt das bei betroffenen Landwirten auf großes Unverständnis. Ab 2021 brauchen wir Spielräume für die Ausbringung von stickstoffhaltigen Düngemitteln auf gefrorenen Böden.

Wir fordern zudem die Einrichtung einer Clearingstelle, um alle Fragen und Probleme, die mit den Nitrat- und eutrophierten Gebieten zusammenhängen, möglichst zeitnah und zufriedenstellend für alle Betroffenen lösen zu können.

BWagrar: Aus dem Volksbegehren Artenschutz ist das Biodiversitäts-Stärkungsgesetz entstanden. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Rukwied: Wir Bauern stehen zum Insektenschutz! Das Volksbegehren hätte für die Landwirtschaft katastrophale Folgen gehabt. Wir haben ein Pflanzenschutzmittel-Verbot auf 440.000 Hektar verhindert und Tausende Betriebe davor bewahrt.

Der Einsatz des gesamten Berufsstandes hat den Verlauf des Volksbegehrens entscheidend beeinflusst. Schlussendlich haben wir einen Kompromiss gefunden und die radikalen Vorschläge von proBiene entschärft. Im Gegensatz zum Volksbegehren, das strikte Vorgaben und sehr viel weitergehende Verbote vorsah, basiert das Biodiversitäts-Stärkungsgesetz nun auf Angeboten für die Landwirtschaft, um den Artenschutz zu fördern.

 

„Es ist nicht akzeptabel, dass EU und Bund Regelungen auf den Weg bringen, die unsere Länderlösungen konterkarieren.“

 


BWagrar: Die EU und der Bund haben mit der Biodiversitätsstrategie und dem Aktionsprogramm Insektenschutz eigene Vorschläge vorgelegt. Wie beurteilen Sie das?

Rukwied: Der baden-württembergische Weg hat gezeigt, dass eine Lösung nur im Dialog mit allen Beteiligten gelingen kann. Es ist nicht akzeptabel, dass EU und Bund nun Regelungen auf den Weg bringen, die unsere Länderlösungen konterkarieren.

Natur- und Artenschutz kann, wenn er nachhaltig sein soll, nur gemeinsam mit allen Akteuren funktionieren. Ordnungsrechtliche Lösungen von oben, wie beispielsweise das pauschale Verbot von Pflanzenschutzmitteln, sind ungeeignet. EU und Bund sind daher aufgefordert, die Länderlösungen nicht durch unausgewogene Gesetzesinitiativen zu gefährden.

BWagrar: Die unterschiedliche Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in EU-Mitgliedstaaten wirkt sich massiv zulasten der deutschen Rübenanbauer aus. Was fordern Sie?

Rukwied: Die Vergilbungsviren breiten sich mit rasender Geschwindigkeit in Baden-Württemberg aus. Bereits bei der Ernte 2020 mussten wir durch Vergilbung 30 bis 40 Prozent Ertragsverluste hinnehmen und befürchten in Zukunft noch größere Ausfälle. Der Rübenanbau in Baden-Württemberg ist dadurch existenziell bedroht.

Bis es wirksame Lösungen beispielsweise durch Virus-resistente Rübensorten gibt, brauchen wir – wie es in 13 anderen Staaten der Europäischen Union der Fall ist – dringend eine Notfallzulassung für Beizmittel mit Neonikotinoiden.

 

Zum Thema

Landwirt und Präsident

Joachim Rukwied (59), verheiratet, drei Kinder, bewirtschaftet in Eberstadt (Landkreis Heilbronn) einen Ackerbaubetrieb mit Feldgemüse und Weinbau. Nach Abitur und Lehre schloss er das Studium der Landwirtschaft mit Schwerpunkt Betriebswirtschaft in Nürtingen ab.

Seit 2006 ist Rukwied Präsident des Landes- (LBV) und seit 2012 des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Von 2017 bis September 2020 war er zugleich Präsident des europäischen Bauernverbands (COPA). Zuvor war er Vorsitzender des Kreisbauernverbands Heilbronn. Seit 2004 engagiert er sich als Vorsitzender des Verbands baden-württembergischer Zuckerrübenanbauer.

 

 

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