„Welche Felder wollen Sie beackern?“
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Joachim Rukwied im Gespräch mit BWagrar
„Welche Felder wollen Sie beackern?“
Joachim Rukwied, Landwirt aus Eberstadt (Landkreis Heilbronn), ist Präsident des Landes- (LBV), Deutschen (DBV) und europäischen Bauernverbandes (COPA). Die Körnerfrüchte sind gedroschen. Bei den Herbstfrüchten kommt es auf das Wetter in den nächsten Wochen an. Beim Bauernverband auf den Präsidenten. Wie der im Herbst heißt, entscheidet sich auf dem Deutschen Bauerntag am 16. Oktober in Erfurt (Thüringen). Rukwied tritt erneut an. Warum und welche Felder jetzt in der Politik zu beackern sind, erläutert er im Gespräch mit BWagrar.
BWagrar: Herr Rukwied, der LBV hat Bilanz der Getreideernte gezogen (BWagrar 35/2020). Wie sieht die Erntebilanz auf Ihrem Betrieb aus?
Rukwied: Die Erntebilanz ist durchwachsen. In Abhängigkeit von den Niederschlägen und der Bonität der Böden hatten wir auch im eigenen Betrieb Ertragsunterschiede von bis zu 4 t/ha. Wir haben beim Weizen auf schwerem Ton 65 dt/ha gedroschen. Im Lösslehm erreichten wir die 100-dt-Marke. Die Ernte fiel leicht unterdurchschnittlich aus.
Mich beschäftigt die Hitze, verbunden mit den im Juli und August geringen Niederschlägen. Das sieht man dem Körnermais und den Sojabohnen an, die gelb werden. Die Rüben leiden. Wir bräuchten dringend einen ergiebigen Landregen (Wunsch ging am 30. August 2020 in Erfüllung; Anm. d. Red.).
BWagrar: Wie steht der Kohl?
Rukwied: Auch der Kohl steht gerade durchschnittlich. Dort, wo wir beregnen können, sind Bestand und Kopfbildung ordentlich.
„Durch die neue Online-Plattform brachten wir 40.000 Erntehelfer auf die Höfe. Deshalb gab es keine Ausfälle in den Regalen.“
BWagrar: Gibt es Ernteeinbußen wegen fehlenden Saisonarbeitskräften?
Rukwied: Der Bauernverband baute gemeinsam mit der Bundesregierung eine Online-Plattform für Saisonarbeitskräfte auf. Dadurch haben wir bundesweit 40.000 Erntehelfer auf die Betriebe bekommen. Deshalb gab es keine Ausfälle in den Regalen. Wobei deutlich erkennbar war: Bei Spargel und Erdbeeren gingen die Erzeugungsmengen um 13 bis 14 Prozent bundesweit zurück.
BWagrar: Kommt von Ihren Weinbergen ein guter Jahrgang in die Keller?
Rukwied: Qualitativ wird es einen guten Weinjahrgang geben. Einzelne Weingärtner werden allerdings durch die Folgen von Spätfrösten belastet, die punktuell auch in Baden-Württemberg auftraten.
Wir erwarten eine durchschnittliche Ernte. Ich hoffe auf gute Witterung und darauf, dass uns die Kirschessigfruchtfliege nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht.
BWagrar: Seit 2012 sind Sie Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Im Oktober kandidieren Sie erneut. Was treibt Sie an?
Rukwied: Ich hatte nie vor – unabhängig davon, ob ich mich ehrenamtlich engagiere oder nicht – mit 60 in den Ruhestand zu gehen. Insofern würde ich, auch wenn ich nicht kandidieren würde, alles andere machen, als mich zur Ruhe zu setzen.
Die Präsidenten-Runde hat mir das Vertrauen ausgesprochen und schlägt mich den Delegierten des Deutschen Bauerntags Mitte Oktober erneut zur Wahl vor. Ich würde mich sehr gerne weiter für die Interessen der Bauernfamilien einsetzen. Wir haben große Herausforderungen zu meistern.
BWagrar: An welche politischen Herausforderungen im Bund denken Sie besonders?
Rukwied: An den Aktionsplan Insektenschutz, das Düngerecht und die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung.
Bei der Dünge-Verordnung gibt es heftige berechtigte Kritik. So, wie sie umgesetzt werden soll, nimmt sie Zukunftschancen und gefährdet viele Betriebe in der Existenz. Sie ist in ihren Durchführungsvorschriften unausgegoren; die fachliche Basis fehlt teilweise. Hier sind Nachbesserungen auf den Weg zu bringen, so dass wir die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und auch künftig noch zum Beispiel Qualitätsweizen erzeugen können.
„Ideologische Agrarpolitik würde in Deutschland Zigtausende, in Europa Hunderttausende von Betrieben zur Aufgabe zwingen.“
Der Aktionsplan Insektenschutz macht mir größte Sorgen. Auch hier gibt es Vorschläge, die nicht fachlich untermauert, sondern ideologisch unterlegt sind. Wir brauchen als Basis die Wissenschaft und Praxis, um unter Berücksichtigung gesellschaftspolitischer Anforderungen die Vorgaben so maßgeschneidert zu gestalten, damit sie die Landwirte in ihren Betrieben umsetzen können. Wir müssen weiterhin in der Lage sein, Qualitäten zu erzeugen, Ernten abzusichern und dabei zugleich die Zukunftsfähigkeit der Betriebe sicherzustellen.
Die gesamte Tierhaltung in Deutschland ist durch zunehmende Auflagen gefährdet; größte Sorgen mache ich mir um die Zukunft der Schweinehaltung. Das möchte ich ganz klar sagen!
BWagrar: Sie haben einige wichtige Herausforderungen auf nationaler Ebene angesprochen. Wie sieht es in Europa aus?
Rukwied: In Europa haben wir einen Vorschlag für den Mittelfristigen Finanzrahmen. Wir sind mit hohen Kürzungsvorschlägen gestartet. Das haben wir weitgehendst bis dato verhindern können. Wir brauchen jetzt dringend die Zustimmung des Europäischen Parlaments, um auf der Basis des Hogan-Vorschlags die zukünftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) auf den Weg zu bringen. Ganz entscheidend ist: Wir Bauern brauchen für die nächsten Jahre Planungssicherheit!
„Die Gemeinsame Agrarpolitik gilt es, auf den Weg zu bringen. Wir Bauern brauchen für die nächsten Jahre Planungssicherheit!“
Für den Green Deal mit Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie ist eine Folgenabschätzung notwendig. Wir brauchen auch hier die Einbeziehung der Wissenschaft bei Themen wie Reduktion des Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatzes. Wir müssen weiter Pflanzen bedarfsgerecht ernähren und vor Krankheiten und Schädlingen schützen können. Eine auf Ideologie basierende Agrarpolitik führt in die Sackgasse und würde in Deutschland Zigtausende, in Europa Hunderttausende von Betrieben zur Aufgabe zwingen.
BWagrar: Welche Lehren sind aus der Corona-Pandemie zu ziehen?
Rukwied: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden uns noch lange beschäftigen, insbesondere die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen, um die Wirtschaft am Leben zu halten. Wir sind da erst am Anfang. Es bedarf großer gemeinsamer Anstrengungen, um die Folgen zu reduzieren.
Corona hat viele Bereiche unseres Sektors getroffen. Beispielsweise die Anbauer von Kartoffeln für Pommes frites, Teile des Weinsektors, die Braugerstenerzeuger und Brauereien, manche Milchviehbetriebe und Molkereien oder die Fleischbranche, insbesondere den Schweinesektor.
Im Lebensmitteleinzelhandel dagegen war der Absatz stabil oder stieg teilweise sogar. Eigenmarken haben zugenommen. Das ist ein Indiz dafür, dass ein Teil der Konsumenten preisorientierter einkauft.
BWagrar: Wie kann sich die Landwirtschaft gegen Krisen noch besser wappnen?
Rukwied: Große Sorge bereitet mir die fortschreitende Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel. Es ist unerträglich, dass derzeit wieder ein harter Preiswettbewerb bei Lebensmitteln zulasten von uns Landwirten durchgeführt wird. Wir brauchen hier dringend eine Stärkung der Maßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken, der sogenannten UTP-Regeln. Wir brauchen ein neues Verständnis, was die Wertschätzung von Lebensmitteln anbelangt. Und wir brauchen beim Einkauf das klare Bekenntnis auch zu regionalen Produktion. Das ist ganz wichtig!
Ich sehe zudem die weitere Konzentration in der Verarbeitung sehr kritisch. Wir brauchen auch Verarbeitung in der Region, beispielsweise regionale Schlachthöfe. Hier ist klare Kritik an der Politik angebracht. Durch ständig neue Auflagen treibt sie kleine Schlachthöfe und private Metzgereien in den Ausstieg. Da brauchen wir ein Umdenken!
„Den EU-Markt für Lebensmittel und Rohstoffe zu öffnen, die deutlich unter unseren Standards hergestellt werden – das geht gar nicht!“
Ich setze weiterhin sehr stark auf regionale, familiengetragene Landwirtschaft. In dieser Sache darf es nicht bei Sonntagsreden bleiben. Hier ist Handeln gefordert!
BWagrar: Wie stehen Sie zum Freihandel?
Rukwied: Handel und Handelsabkommen sind wichtig. Sie müssen aber fair und ausgewogen sein! Unser Kernmarkt ist der Heimatmarkt in Deutschland und Europa. Da gehen rund 95 Prozent unserer Produkte hin.
Den EU-Markt für Lebensmittel und Rohstoffe zu öffnen, die deutlich unter unseren Standards hergestellt werden – das geht gar nicht! Das ist jedoch beim Abkommen mit Mercosur angedacht, dem „Gemeinsamen Markt Südamerikas“. Da ist es notwendig, über eine Besteuerung nachzudenken, welche die unterschiedlichen Standards in der Produktion berücksichtigen. Sonst haben unsere Landwirte keine Chance!
„Man darf die deutschen Bauern nicht zugunsten der südamerikanischen Großgrundbesitzer opfern.“
Meine Meinung dazu ist ganz klar. Man darf die deutschen Bauern nicht zugunsten der südamerikanischen Großgrundbesitzer opfern.
BWagrar: Wie sehen Sie den Aspekt der Lebensmittelversorgung in Deutschland und in Baden-Württemberg?
Rukwied: Ich betone stets, der Kernmarkt ist unser Heimatmarkt. Für die deutschen Bauern also im wesentlichen Deutschland. Für uns in Baden-Württemberg natürlich in erster Linie der Markt vor der Haustür, also Baden-Württemberg, aber auch Deutschland und dann noch Europa.
Es gilt, weiterhin mit heimischen Produkten die Grundversorgung dieses Kernmarktes sicherzustellen. Das ist ganz entscheidend! Diese Grundversorgung können wir nur gewährleisten, wenn die hiesigen landwirtschaftlichen Betriebe eine Perspektive haben. Und dazu muss man die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen. Und man kann nicht ständig zusätzliche Auflagen auf den Weg bringen. Wir brauchen Luft zum Atmen, wir müssen unsere Betriebe weiterentwickeln können. Und es gilt: Wir sind systemrelevant!
BWagrar: Wie hoch sollte die Grundversorgung sein?
„Hinsichtlich der Grundversorgung muss es das Ziel sein, das jetzige Produktionsvolumen in Deutschland und in Baden-Württemberg zu halten.“
Rukwied: Hinsichtlich der Grundversorgung muss es das Ziel sein, das jetzige Produktionsvolumen in Deutschland und in Baden-Württemberg zu halten. Wir haben im Durchschnitt 85 Prozent Selbstversorgung in Deutschland.
Diese Anteile sind zu halten, damit unsere Bevölkerung auch in Krisenzeiten Sicherheit bei der Grundversorgung mit Lebensmitteln hat. Ohne unsere heimischen Bauern wären die Regale im Frühjahr leer gewesen!
Landwirt und Präsident
Joachim Rukwied (59), verheiratet, drei Kinder, bewirtschaftet in Eberstadt (Landkreis Heilbronn) einen Ackerbaubetrieb mit Feldgemüse und Weinbau. Nach Abitur und Lehre schloss er das Studium der Landwirtschaft mit Schwerpunkt Betriebswirtschaft in Nürtingen ab.
Seit 2006 ist Rukwied Präsident des Landes- (LBV), seit 2012 des Deutschen (DBV) und seit 2017 des europäischen Bauernverbands (COPA). Zuvor war er Vorsitzender des Kreisbauernverbands Heilbronn. Seit 2004 engagiert er sich als Vorsitzender des Verbands baden-württembergischer Zuckerrübenanbauer.
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